Hoffnung für mRNA-Impfstoffe trotz Dämpfer
Neuartige Impfstoffe auf Basis von Messenger-RNA zur Bekämpfung von Krebs oder zum Schutz vor Pandemien werden zurzeit mit Hochdruck entwickelt. Als Krebs-Monotherapie hat die mRNA-Impfung dieses Jahr einen Rückschlag erlitten. Dennoch ist die Branche zuversichtlich, denn es gilt als erwiesen, dass die Vakzine die körpereigene Immunabwehr auf den Plan ruft.
Wissenschaftschefin und Vorstandsmitglied Dr. Mariola Fotin-Mleczek ist seit 2006 bei CureVac.
© CureVac
Das Prinzip klingt einfach: Man spritze die abgelesene genetische Bauanleitung, die mRNA, für ein ausschließlich in Krankheitserregern vorkommendes oder tumorassoziiertes Protein unter die Haut und lasse es vom Körper selbst produzieren. Das körpereigene Immunsystem erkennt diese sogenannten Antigene im Idealfall als fremd und reagiert darauf wie nach einer realen Infektion.
Erst im Jahr 2016 haben Forscher des Tübinger Biotech-Unternehmens CureVac AG zeigen können, dass die mRNA-Moleküle an der Injektionsstelle von verschiedenen Zelltypen aufgenommen werden. Die Zellen schütten daraufhin Entzündungsmediatoren aus, die weitere Immunzellen anlocken, und starten mit der Antigenproduktion. Diese erreicht nach 24 Stunden ihr Maximum und sinkt dann langsam ab. Die fremden Antigene präsentieren die Zellen auf ihrer Oberfläche patrouillierenden spezifischen Immunzellen in den nahen Lymphknoten, die daraufhin aktiv werden.
Anders als für herkömmliche Impfstoffe, die abgeschwächte oder inaktivierte Erreger oder nur isolierte Antigene enthalten, braucht es keine Massen an Hühnereiern oder Zellen, um mRNA-Impfstoffe herzustellen. Lediglich das gewünschte Gen, das ablesende Enzym und die vier mRNA-Bestandteile sind nötig. „Der Produktionsprozess ist immer gleich und muss nicht für jeden Impfstoff angepasst werden“, sagt Dr. Mariola Fotin-Mleczek, wissenschaftliche Entwicklungs-Chefin bei CureVac. Etwa sechs Wochen dauere es, einen mRNA-Impfstoff herzustellen, verglichen mit mehreren Monaten für bisherige Impfstoffe. Man könne daher schnell auf rasch mutierende Viren, etwa das Influenzavirus, reagieren. Auch mehrere Impfstoffe parallel herzustellen, sei kein Problem.
Zufall bringt mRNA-Impfstoffe voran
Im Jahr 2003 hatte CureVac zusammen mit Kollegen der Universität Tübingen weltweit das erste Mal mRNA als Impfstoff direkt unter die Haut von Hautkrebspatienten injiziert. Das drei Jahre zuvor gegründete Unternehmen mit Niederlassungen in Frankfurt und Boston hat bis heute rund 355 Millionen Euro Kapital für die Entwicklung seiner patentierten mRNA-Impfstoffe eingeworben. Acht klinische Studien zu verschiedenen Krebs- und Infektionskrankheiten sind inzwischen gestartet. Mittlerweile forschen eine Handvoll weiterer Pharma- und Biotechfirmen in Europa und den USA um die Wette, um den ersten kommerziellen mRNA-Impfstoff für Menschen zu entwickeln – wobei die Tübinger die Entwicklung bisher am weitesten vorangetrieben haben.
Die gefriergetrockneten mRNA-Impfstoffe brauchen keine Kühlung.
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Zwar hatte der Franzose Dr. Frédéric Martinon bereits 1993 gezeigt, dass eine mRNA-Impfung in Mäusen eine spezifische Immunantwort hervorrufen konnte, doch die Fachwelt blieb skeptisch. mRNA galt als zu instabil, um sie medizinisch zu nutzen, weil sie rasch von allgegenwärtigen Ribonukleasen abgebaut wird. Durch Zufall fand der spätere CureVac-Mitgründer Dr. Ingmar Hoerr schließlich in seiner Doktorarbeit heraus, dass mRNA ein sehr stabiles Molekül ist und eine spezifische Immunantwort auslöst, sofern man diese Enzyme fernhält. Es sollte die Geburtsstunde des Unternehmens werden.
Der mRNA-Abbau lässt sich noch weiter verzögern und die Übersetzung in Proteine lässt sich ankurbeln, wenn die Impfstoffexperten nichtkodierende mRNA-Bereiche durch stabilere austauschen und einzelne Nukleotide ersetzen, ohne die genetische Information zu verändern. Die optimierten mRNA-Impfstoffe vertragen sogar Temperaturen bis zu 60 Grad Celsius und eignen sich daher auch für Entwicklungsländer, in denen eine Impfstoffkühlung schwierig ist. Dafür erhielt das Tübinger Unternehmen 2014 den Innovationspreis der EU für hitzestabile Vakzine.
Klinische Studien – Leid und Freud
Doch Anfang des Jahres teilte CureVac der Öffentlichkeit mit, dass sein mRNA-basierter Prostatakrebs-Impfstoff CV9104 in der am weitesten fortgeschrittenen klinischen Studie der Phase IIb gescheitert ist. Die Patienten überlebten nach Injektion von mRNA-Molekülen, die für sechs tumorassoziierte Antigene kodierten, nicht länger als nach einer Placebo-Impfung. Für Fotin-Mleczek, die bei CureVac an zahlreichen Patenten zur Impfstofftechnologie beteiligt ist, ist die mRNA-basierte Krebsimmuntherapie dennoch nicht gescheitert: „Wir haben mittlerweile gelernt, dass wir für eine wirksame Krebsbehandlung verschiedene Ansätze kombinieren müssen“.
Ein weiteres Problem bei Krebs-Impfstoffen: Viele Tumor-Antigene werden in geringeren Mengen auch von gesunden Zellen gebildet. „Das Immunsystem toleriert sie zu einem gewissen Grad, und diese Toleranz müssen wir brechen“, sagt die Biologin. Um eine stärkere Immunantwort hervorzurufen, könne die Kombination mit neuen Immuntherapeutika aus der Klasse der sogenannten Checkpoint-Inhibitoren ein vielversprechender Ansatz sein. Dieser soll in Kooperation mit dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim und dem Ludwig Institute for Cancer Research in klinischen Studien bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs getestet werden.
Zuversichtlich stimmen Fotin-Mleczek auch die Zwischenergebnisse aus einer Phase-I-Studie mit einem Tollwut-Impfstoff, in der das Unternehmen erstmals die Sicherheit und Immunogenität einer Schutzimpfung am Menschen testet. Der Impfstoff CV7201 enthält mRNA, die für das virale Glykoprotein kodiert. Er habe bereits in der geringsten Dosierung von 80 Mikrogramm bei 17 von 21 intradermal geimpften Probanden Antikörpertiter hervorgerufen, die von der Weltgesundheitsorganisation als schützend definiert werden. Auch mRNA-Schutzimpfungen gegen Infektionserreger, an denen Impfstoffexperten bislang verzweifeln, erforscht CureVac zurzeit mit verschiedenen Partnern. Beispiele sind das Respiratorische Synzytial-Virus und HIV.
mRNA – ein vielseitiges Molekül
Damit ist das medizinische Einsatzpotenzial der mRNA-Moleküle aber noch lange nicht erschöpft. Längst entwickelt CureVac neben seinen RNActive® genannten Impfungen auch RNA-basierte Wirkungsverstärker für Protein- oder mRNA-Impfstoffe. Bei diesen RNAdjuvant®-Produkten handelt es sich um nichtkodierende, langkettige RNA-Moleküle im Komplex mit positiv geladenen Peptiden. Da sie durch diese Verpackung quasi RNA-Viren ähneln, werden sie von Gefahrensensoren unserer Zellen, sogenannten Toll-like-Rezeptoren, detektiert, woraufhin weitere Immunzellen an die Injektionsstelle gelockt werden. Im Prinzip kann mittels der mRNA-Technologie jedes erdenkliche therapeutische Protein im Körper erzeugt werden – Antikörper zur passiven Immunisierung genauso wie Proteinersatz für defekte Protein. So forschen die Tübinger beispielsweise an mRNA, die Antikörper gegen das HI-Virus kodiert (RNAntibody®).
„Unser Ansatz, chemisch nicht modifizierte Nukleotide für die mRNA-Optimierung zu verwenden, zusammen mit einer verbesserten mRNA-Verpackung ist die beste Grundlage für mRNA-Produkte jeglicher Art“, ist Fotin-Mleczek überzeugt. Zurzeit baut das Unternehmen eine neue Produktionsanlage in Tübingen, um künftig bis zu 30 Millionen Impfstoffdosen pro Jahr herstellen zu können.