Hohe Anforderungen für die Marktzulassungen im Bereich Tissue Engineering
Seit Dezember 2008 gilt in der EU die neue Verordnung zur Marktzulassung für Arzneimittel für neuartige Therapieverfahren. Prof. Sabine Kloth ist Expertin der TÜV SÜD Product Service GmbH für Materialien tierischen Ursprungs und hat in Brüssel aktiv die Ausgestaltung der neuen Verordnung verfolgt.
Welche Produkte fallen Ihrer Meinung nach unter die sogenannten neuartigen Therapieverfahren?
Prof. Sabine Kloth, Expertin für Materialien tierischen Ursprungs der TÜV SÜD Product Service GmbH
© Prof. Kloth
Meiner Meinung nach sind der größte Teil der im Rahmen der ATMP-Verordnung auf den Markt kommenden Produkte Kombinationsprodukte. Das Endprodukt als solches gilt in jedem Fall nach der Verordnung als ein Arzneimittel. Es wird aber viele Produkte geben, die eine Medizinproduktkomponente enthalten. Als Beispiel kann man hier ein Kollagenflies nennen. Kollagenfliese sind bereits für die verschiedensten Anwendungen als Medizinprodukte zertifiziert, wenn sie aus tierischem Material bestehen. Wenn man also Zellen auf diese Trägermatrix geben würde, so wäre dies ein einfaches Kombinationsprodukt. Ein komplizierteres Beispiel ist ein Hüftimplantat, das mit einer Schicht aus humanen Zellen versehen wird. Hierbei handelt es sich auch um ein Arzneimittel nach Vorgabe der ATMP-Verordnung, es enthält jedoch eindeutig einen Anteil eines Medizinprodukts. Ein weiteres sehr komplexes Beispiel wäre ein Leberunterstützungssystem, das auf der Basis humaner Hepatozyten arbeitet, die in eine Filtereinheit eingebettet sind. Diese Filtereinheit wird von Patientenblut durchströmt. Ein solches System hat einen ähnlichen Aufbau wie ein Dialysegerät. Die Bewertung dieser Geräte erfordert im Gegensatz zur Bewertung herkömmlicher Arzneimittel spezifisches Fachingenieurwissen. Dialysegeräte sind komplexe aktive Medizinprodukte.
ATMP-Verordnung: Die neue Europäische Verordnung für Arzneimittel und neuartige Therapieverfahren (Verordnung 1394/2007/EG) trat im Dezember 2008 in Kraft. Die sogenannte ATMP-Verordnung (ATMP: advanced therapy medical products) regelt die Marktzulassung sowie das Überwachungsverfahren für die aus den Bereichen Gentherapie, somatische Zelltherapie und Tissue Engineering stammenden Produkte innerhalb der EU und ist dem Landesrecht übergeordnet. Eine zentrale Genehmigungsprozedur erfolgt über die Europäische Arzneimittelbehörde (EMEA - European Medicines Agency).
Halten Sie als Expertin eine Einstufung dieser Produkte als Arzneimittel für sinnvoll?
Ob nun eine Einstufung der oben genannten Produkte als Arzneimittel sinnvoll ist, wird vielerorts noch diskutiert. Wir müssen nun mit diesem Faktum leben. Das Problem ist, dass es sich bei einem herkömmlichen Arzneimittel um eine Chemikalie handelt. Ein ATMP hingegen ist keine Chemikalie sondern lebendes Material. Es ist somit schwer möglich, die Richtlinien, die für die herkömmlichen Arzneimittel gelten, auf ATMP-Produkte anzuwenden. Gleiches gilt für die Anforderungen in den klinischen Studien; eine Übersetzung eins zu eins ist hier überhaupt nicht machbar. Da ATMPs nun jedoch Arzneimittel sind, brauchen wir Leitfäden und Ausführungsbestimmungen, die dieser Problematik Rechnung tragen.
Bei den Arbeiten an der ATMP-Verordnung in Brüssel war wesentlich, dass die Bewertung des in den Kombinationsprodukten enthaltenden Medizinprodukteanteils durch die Experten vorgenommen wird, die dafür trainiert und ausgebildet sind. Jene Spezialisten sitzen nicht bei den Behörden, sondern bei den sogenannten benannten Stellen. Die benannten Stellen sind die Stellen, die nach Medizinprodukterichtlinie für die Bewertung und Zertifizierung von Medizinprodukten zuständig sind, wie zum Beispiel der TÜV SÜD Product Service. Es gibt etwa 80 benannte Stellen für diesen Aufgabenbereich in Europa.
Liegen schon Leitfäden für die Vorgehensweise mit den ATMP-Produkten vor?
Zwei Leitfäden sind 2008 in Kraft getreten. (EMEA/149995/2008: Guideline on safety and efficacy follow-up – risk management of advanced therapy medical products und EMEA/CHMP/410869/2006: Guideline on human cell-based medical products). Hier gibt es also erste positive Schritte zur Unterstützung der Hersteller, dies ist jedoch noch lange nicht ausreichend. Für klinische Studien liegt jedoch noch kein Leitfaden für den Bereich ATMP vor. Auch ein Leitfaden zum Prozedere und Inhalt der Einreichung der Unterlagen bei der EMEA wäre sehr hilfreich.
Wie muss nun ein deutsches Unternehmen vorgehen, das sein ATMP-Produkt in Europa auf den Markt bringen will?
Die anzusprechende Stelle ist in jedem Fall die EMEA. Hier ist es empfehlenswert, ein Vorgespräch zu führen bzw. sich den sogenannten Scientific Advice einzuholen. Handelt es sich um ein neues innovatives Produkt, so kann auch die Innovation Task Force zu Rate gezogen werden.
Wie hoch können die Kosten für eine Marktzulassung eines Kombinationsprodukts ungefähr ausfallen?
Details bietet in diesem Bereich natürlich die EMEA selbst. Wenn man die Kosten für die Zulassung eines hoch komplexen Medizinproduktes zwischen 20.000 bis 50.000 Euro festlegt, so fängt im Vergleich dazu die Arzneimittelzulassung erst bei 200.000 Euro an und kann diesen Wert deutlich übersteigen.
Sind die Firmen in Deutschland auf diese Kosten und den mit der Zulassung neu hinzukommenden bürokratischen Aufwand vorbereitet?
Kleine Start-up-Unternehmen oder Firmen, die aus Universitäten ausgegründet wurden, benötigen auf jeden Fall weiteres Know-how für die Marktzulassung. Dieses Know-how werden sie vermutlich durch die Zusammenarbeit mit Unternehmensberatern erlangen. Ich selbst komme aus der universitären Forschung,habe lange Jahre dort gearbeitet und weiß, dass man sehr gute wissenschaftliche Arbeit leisten kann ohne überhaupt irgendein regulatorisches Verständnis zu benötigen. Wenn man aber ein Arzneimittel an den Markt bringen will, so braucht man regulatorisches Know-how und muss somit entweder dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen Mitarbeiter hat, die dieses Know-how besitzen oder mit guten Beratern zusammenarbeiten. Hier wird vermutlich ein sehr schmerzhafter Lernprozess für kleine Unternehmen stattfinden, denn regulatorisches Wissen ist essentiell, und dies zu kommunizieren ist eine enorm wichtige Aufgabe. Dies ist übrigens auch meine Intention: Das bei der TÜV SÜD Product Service GmbH gesammelte Wissen zurück an die Universität zu bringen, indem ich dort die regulatorischen Aspekte im Rahmen von Vorlesungen vermittle.
Konnte die EU mit der neuen Verordnung Ihrer Meinung nach ihr Ziel erreichen, dass der Patient einen sichereren Zugang zu ATMP-Produkten erhält sowie dass damit ein Bürokratieabbau einhergeht?
Produkte aus dem Bereich Tissue Engineering fallen unter die neue Verordnung. (Foto: BVMed)
Den Abbau der Bürokratie kann ich nicht unmittelbar erkennen. Was wir jetzt haben, ist regulatorische Sicherheit und ein harmonisierter Marktzugang. In Deutschland war die Zulassung bisher gut geregelt, allerdings konnte der Hersteller damit nur den Deutschen Markt bedienen und der ist natürlich klein. Wenn der Hersteller auf den Europäischen Markt kommen will, so bietet die ATMP-Verordnung dafür eine solide Grundlage. Für diesen neuen Markt nimmt man dieses „Mehr" an bürokratischem Aufwand eben in Kauf. Die Zulassungsverfahren für Arzneimittel als Chemikalie als auch der Marktzugang für Medizinprodukte sind gut etabliert. Bei dieser neuen Art von Produkten muss man berücksichtigen, dass Deutschland und Europa schon auf 40 Jahre Umgang mit zellbasierten Produkten zurückblicken kann. Blutprodukte werden seit mehr als 40 Jahren eingesetzt. Hier musste man teilweise schmerzhafte Erfahrungen sammeln und die Sicherheitsstandards weiterentwickeln. Dadurch wurde das Bewusstsein für die Risiken dieser Produkte geschärft. Dieses Bewusstsein muss nun auf die ATMP-Produkte übertragen werden. Dies wird durch die Einbindung von Institutionen wie des Paul-Ehrlich-Instituts gewährleistet.
Wer ist nun dafür verantwortlich, ob ein Produkt zugelassen wird oder nicht?
Schlussendlich verantwortlich ist die EU-Kommission. Das Committee for Advanced Therapies (CAT) macht einen Vorschlag, ob es sich um ein akzeptables Produkt handelt oder nicht. Dieser Vorschlag richtet sich an das Committee for Medical Products für Human Use (CHMP). Das CHMP bewertet den Vorschlag und leitet ihn mit einer positiven Stellungnahme an die EU-Kommission weiter.
Wie viel Zeit wird dieser Vorgang in Anspruch nehmen?
Die Arbeitszeit, die ausschließlich durch die EMEA benötigt wird, ist im Gesetzestext festgelegt und beträgt für konventionelle Arzneimittel 210 Tage. Bevor diese 210 Tage beginnen, muss die EMEA im Besitz einer vollständigen Einreichung sein. Liegt hier zum Beispiel keine Bewertung des Medizinprodukteanteils durch eine benannte Stelle vor, so könnte diese von der EMEA eingefordert werden. Wie die EMEA hier vorgehen wird, ist derzeit noch nicht bekannt.
Ein weiteres Ziel der EU war die Rückverfolgung der Produkte. Wird diese Ihrer Meinung nach gewährleistet?
Die EU-Kommission hat einen Workshop eingesetzt, der sich ausschließlich mit der Rückverfolgbarkeit und Kodierung von Zellen befasst. Die Arbeitsgruppe konnte sich noch nicht auf ein System zur Kodierung festlegen. Denn es sollte nicht nur ein System sein, das eine Rückverfolgung gewährleistet, sondern auch möglichst preiswert sein. Die Ergebnisse dieses Workshops sind daher noch nicht in Leitfäden zum allgemeinen Vorgehen eingeflossen. Gleiches gilt für den Bereich Pharmakovigilanz. Im Zweifel wird sich jedoch die EMEA an die Leitfäden für herkömmliche Arzneimittel halten. Dies wäre meiner Meinung nach eine schwierige Konstellation, da es sich bei den herkömmlichen Arzneimitteln um Chemikalien handelt, die eine völlig andere Anforderung als ATMP-Produkte haben.
Das Interview führte Dr. Ariane Pott für die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH.