Immuntherapie: der steinige Weg in die Klinik
Hans-Georg Rammensee hat ein Ziel: Er will mithelfen, die Immuntherapie bei Krebs erfolgreich in die Klinik zu bringen, und das geht seiner Ansicht nach nur auf individiualiserte Weise. Es gilt, eine spezifische Immunantwort gegen tumorassoziierte Antigene auszulösen. Die Vorarbeiten sind weit fortgeschritten, jetzt geht es darum, die Hürden zur Herstellungserlaubnis für die erforderlichen Substanzen und für die Genehmigung von klinischen Studien zu nehmen.
Therapeutisches Impfen: Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee will die Immuntherapie bei Krebs in die Klinik bringen.
© privat
Im Juli 2010 weihten das Universitätsklinikum und die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen offiziell ihr neues GMP-Forschungsgebäude ein. Auf rund 430 Quadratmetern Nutzfläche könnten seitdem Peptide und Antikörper für Patienten- und tumorspezifische Therapeutika hergestellt werden. Wohlgemerkt könnten – die räumlichen Voraussetzungen sind jedenfalls da und das Personal steht bereit. Allenfalls muss noch hier und da am Innenausbau gefeilt werden. „Es wird in den neuen Laboren auch gearbeitet, aber noch nicht produziert, dafür fehlt uns die Herstellungserlaubnis“, sagt Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee vom Interfakultären Institut für Zellbiologie.
Der Immunologe arbeitet seit Jahrzehnten an der Entwicklung von Immuntherapien zur Bekämpfung von Krebs. Tumorzellen präsentieren aufgrund von Mutationen auf ihren Zelloberflächen Strukturen, die gesunde Zellen nicht aufweisen. Diese Strukturen können identifiziert werden, synthetische Abbilder davon können als Peptide relativ leicht hergestellt und dann dem Patienten injiziert werden. Er wird damit gewissermaßen geimpft, das Immunsystem des Patienten wird scharf geschaltet zur Erkennung von Strukturen, die nur auf den Zellen des jeweiligen Tumors vorkommen. Der Erkennungsvorgang setzt dann eine Signalkette in Gang, die dazu führt, dass patienteneigene Zellen des Immunsystems die Tumorzellen abtöten.
Therapeutisch impfen – und der Körper hilft sich selbst
Dass dieses Konzept tatsächlich funktioniert, wurde bereits mehrfach belegt. Eine erste, allerdings noch unzureichend erfolgreiche, aktive Immuntherapie ist in den USA zugelassen. Die immatics biotechnologies GmbH und die CureVac GmbH, Ausgründungen der Universität Tübingen, sind dabei, bessere Therapien in klinischen Studien zu erproben. Währenddessen forschen Rammensee und seine Mitarbeiter weiter, um die Immuntherapie möglichst breit in der Krebsbehandlung einsetzen zu können. Normalerweise sind die Studien vor der Einführung neuer Therapeutika sehr teuer. Das ist aber nicht Rammensees Hauptsorge: „Industrielle oder anderweitig gewinnorientierte Geldgeber haben kein Interesse daran, die Entwicklung einer individuellen Therapie zu finanzieren, die nicht zum Umsatzträger konventioneller Pharmafirmen werden kann. Aber öffentliche Drittmittel oder solche von Stiftungen können für unsere Studien ausreichen, sofern wir die Peptid-Wirkstoffe mittels eigener GMP-Einrichtungen relativ kostengünstig herstellen können.“
Aus einer Gruppe von vielleicht 80 bis 100 tumorspezifischen Oberflächenpeptiden will das Team jeweils die zehn bis 15 identifizieren, die die besten Ziele für eine Immuntherapie abgeben. „Dazu benutzen wir bioinformatorische Methoden, die wir selbst entwickelt haben“, so Rammensee. Bestellt man derartige Peptide bei einem darauf spezialisierten Hersteller, kostet das laut Rammensee pro Peptid und Patient rund 150.000 Euro. Damit kommt schnell eine nichtfinanzierbare Summe zusammen. „Wir können ein Peptid jedoch für rund 5.000 Euro erhalten, wenn wir es in der eigenen Einrichtung herstellen, die nun vom Land und vom UKT finanziert worden ist. Das geht außerdem erheblich schneller“, sagt Rammensee. Diese Vorteile überzeugen auch Geldgeber. „Wir erhalten unter anderem Geld vom BMBF. Es wird erkannt, dass es sinnvoll ist, am Universitätsklinikum wissenschaftsgetriebene klinische Studien durchzuführen. Eine Professur für Experimentelle Immuntherapie zur Verfolgung einer weiteren Strategie, der passiven Immuntherapie mit optimierten Antikörpern, wurde bereits vor einigen Jahren von der Deutschen Krebshilfe finanziert.“
Alles an einem Klinikum: Wirkstoff produzieren, Wirkstoff verabreichen
Warum stehen also nicht alle Zeichen auf Grün für die Produktion von Immuntherapeutika? „Bis 2004 konnten an der Universität beziehungsweise einem Uniklinikum Studien durchgeführt werden mit Substanzen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllten und die die behandelnden Ärzte nach entsprechender Bewertung für richtig hielten. Das geht heute so nicht mehr. Durch die Änderung der Gesetzeslage haben sich die Regularien erheblich verschärft“, erklärt Rammensee. Dabei ist er weit davon entfernt, Regularien abzulehnen. Er plädiert lediglich dafür, nicht alle Therapeutika und Therapien über einen Kamm zu scheren. „Das Arzneimittelgesetz AMG stellt an Kopfschmerztabletten für quasi gesunde Menschen die gleichen Anforderungen wie an Therapeutika für schwerstkranke Hirntumor-Patienten. Das halte ich nicht für gerechtfertigt. Das Gesetz sollte um einen Passus ergänzt werden, der in gewissen Fällen die Herstellung von Substanzen für frühe klinische Studien erleichtert.“
Arzneimittelgesetz sollte nachgebessert und an neue Therapien angepasst werden
Vom Labor in die Klinik: Das neu errichtete GMP-Gebäude der Uni Tübingen eignet sich für die GMP-konforme Antikörper-Produktion für klinische Pilotstudien. Diese Einheit kann Antikörper in industrieller Qualität und Quantität liefern: Bei der "disposable technology" erfolgen die Fermentation ("upstream", Abb. oben) und die Reinigung (downstream, Abb. unten) unter Verwendung von Einmalmaterialien.
© Dr. S. Aulwurm, Synimmune GmbH
Rammensee kennt Antrags-Odysseen aus eigener Erfahrung. 2008 hat sein Team zum ersten Mal eine Herstellungserlaubnis für Immunvakzine beantragt – der Antrag wurde aus unterschiedlichen formalen Gründen zurückgewiesen. Schließlich wurden die wesentlichen Probleme unter großen Anstrengungen gelöst, und im März 2010 wurde ein neuer Antrag eingereicht. Daraufhin erhielt das Team eine neue Mängelliste und das Verfahren ging in die Nachbesserung. Inzwischen ist die Sache so weit gediehen, dass Rammensee zuversichtlich ist, in Kürze das Zertifikat zur Herstellung von Arzneimittelwirkstoffen und zeitversetzt eine Herstellungserlaubnis nach dem AMG zu erhalten.
Trotzdem übt er Kritik am System. „Nehmen wir zum Beispiel unsere Reinräume. Hier gelten strengere Richtlinien als im OP. Das passt nicht zusammen.“ Der Grund ist historisch zu sehen, findet der Forscher. „Die Fachleute, die das Arzneimittelgesetz gemacht haben, konnten die neuen Therapien und unsere Anforderungen nicht vorhersehen. Natürlich sehen wir, dass die Vorschriften für die Prozesse, für die sie gemacht wurden, richtig sind.“ Rammensee und seine Mitarbeiter machen allen Schwierigkeiten zum Trotz weiter damit, die Immuntherapie in die Klinik zu bringen – und sie hoffen, dass im Dialog mit dem Gesetzgeber Möglichkeiten gefunden werden, die Gesetzeslage schneller an grundlegende Innovationen anzupassen.