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In der Nische ist noch Platz

1991 wurde das erste Weblog initiiert. Behutsam wächst seitdem in Wissenschaftskreisen das Interesse, mittels Internet-Tagebüchern Wissen zu vermitteln, über Wissenschaft zu berichten, sie zu kommentieren und einzuordnen. Für die Wissenschaftskommunikation sind Weblogs eine Bereicherung.

Ihre Namen sind ungewöhnlich und ihre Botschaften stammen aus dem prallen Wissenschaftsleben. Wer im Internet nach „Einsteins Kosmos“, „Skeptic as hell“ oder „Zwerge auf den Schultern von Riesen“ sucht, ist schnell mittendrin in der Welt der wissenschaflichen Blogs. Der Begriff Blog ist die Abkürzung für Weblog, die sich wiederum aus Web und Log zusammensetzt und nichts anderes beschreibt als ein Internettagebuch.

In wissenschaftlichen Blogs berichten Wissenschaftler, Journalisten und andere Sendungsbewusste aus und über Wissenschaft. In den öffentlichen Tagebüchern wird erzählt, bewertet, Position bezogen, Meinung gemacht, diskutiert und auch mal gelästert. Wissenschaftliche Blogs gehören zu den ganz neuen Spielarten in der Wissenschaftskommunikation.

Fakten und Augenzwinkern

Dabei geht es meist fachlich fundiert und dennoch nicht immer tierisch ernst zu. Blogger, so werden die Tagebuchschreiber genannt, zwinkern auch mal mit den Augen. „The angry lab rat“ (Die verärgerte Laborratte) kommentierte am 04. Juni 2008 die erste Sequenzierung eines Frauengenoms wie folgt: „Nun, da sie die X-Chromosomen einer Frau sequenziert haben, sagen die Wissenschaftler, dass sie die Vielfalt von X-Chromosomen besser untersuchen könnten. Das ist schön. Aber was mich vielmehr interessieren würde ist, welche Gene kontrollieren den Wunsch und die Fähigkeit einer Frau, alles zu planen? Oder wie sie es schafft, ihre Bluse mit mintgrünen Stöckelschuhen abzustimmen? Und wie kann sie mit ihrem winzigen Mobiltelefon ein Gespräch führen, gleichzeitig die Nase eines Kindes putzen, ein anderes Kind davon abhalten, auf ein Bücherregal zu klettern, und einen Bericht für ihre steile Karriere ausarbeiten?“

Verständlich, vielfältig, vernetzt

Trotz dieser eher launigen Betrachtung des Wissenschaftsgeschehens sind Wissenschaftsblogs auch eine Fundgrube für alle, die sich für die ernsthaften Seiten von Wissenschaft, Forschung und Technologie interessieren. Blogs sind aktuell, von Fachleuten geschrieben und in vielen Fällen so verfasst, dass auch interessierte Laien sie verstehen. Wissenschaft aus erster Hand also, über Kunstgeschichte, Soziologie, Physik oder Biowissenschaften. Außerdem vernetzen die Blogger ihre Beiträge. Moderne Internettechnologie macht es möglich, dass der Leser Texte aus verschiedenen Blogs, die sich mit demselben Thema befassen, finden und lesen kann. Und wer auf dem Laufenden bleiben will, abonniert die Neuigkeiten per Newsfeed, eine Art themenspezifischer Nachrichtenticker.
Wissenschaftsblogs decken eine große Bandbreite an wissenschaftlichen Themen ab (Abbildung: BIOPRO)
Wissenschaftsblogs decken eine große Bandbreite an wissenschaftlichen Themen ab (Abbildung: BIOPRO)
Vielleicht sind diese Merkmale die guten Gründe für den Erfolg, den Wissenschaftsblogs in Deutschland derzeit verzeichnen. „Wissenschaftsblogs haben in Deutschland steigende Zugriffszahlen, während die der übrigen Blogs sinken“, sagt Beatrice Lugger, verantwortliche Redakteurin beim Blogportal scienceblogs.de.

Wissenschaft und mehr

In Wissenschaftsblogs geht es nicht allein um wissenschaftliche Ergebnisse. Blogs ordnen Forschung in den gesellschaftlichen Zusammenhang ein und setzen sich (selbst)kritisch mit den Funktionen von Wissenschaft und Technologie auseinander. Selbst die Diskussion über die Rolle der Blogs in der Wissenschaftskommunikation wird geführt. Die Pädagogin Monika Armand hat in ihrem Blog „Neuropädagogik“ Fragen nach der Qualität von Wissenschaftsblogs aufgeworfen. Die Diskussion darüber ist rege. Die Szene reflektiert über sich selbst, zwar akademisch, doch damit versetzt sich die Bloggergemeinschaft in die Lage, ihr Selbstverständnis und ihre Ziele gegebenenfalls weiterzuentwickeln.

Wildwuchs

Was die Anzahl der Weblogs im World Wide Web anbelangt, regieren die Schätzungen. Legt man die Daten des Blogverzeichnisses Technorati zugrunde, dann gibt es, Stand Juli 2008, weltweit fast 113 Millionen Blogs. Doch die Zahl ist trügerisch, denn sie gibt keinen Hinweis darauf, wie viele Blogs tatsächlich aktiv sind, und sie berücksichtigt ausschließlich diejenigen Blogs, die Technorati erfasst hat. Stand November 2007 soll es in Deutschland laut Christoph Neuberger, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Münster, etwa 130.000 Blogs gegeben haben, die zumindest alle acht Wochen aktualisiert werden. Beatrice Lugger schätzt, dass sich davon etwa 2000 mit Wissenschaft befassen. Wissenschaftsblogs besetzen demnach eine Nische. In diese drängen jedoch immer mehr publikationswillige Menschen, die sich für Wissenschaftsthemen begeistern können.

Strukturhilfe durch Blogportale

Die Welt der Wissenschaftsblogs ist unstrukturiert. Immerhin haben sich in der jüngeren Vergangenheit die ersten Blogportale etabliert, die die relevanten Wissenschaftsblogs zusammenführen. Scienceblogs.com heißt das amerikanische Vorbild, das seit 2006 online ist. Initiator und Betreiber ist die Seed Media Group in New York. Zunächst war völlig unklar, ob das Konzept tragfähig ist. „Als wir mit scienceblogs.com starteten hatten wir wenig Vorstellung davon, wie es ablaufen könnte," berichtet Katherine Sharpe von ScienceBlogs, „weshalb wir es gerne als Experiment betrachten. Wir fragten uns was wohl passieren würde, wenn wir ein Dutzend der besten Wissenschaftsblogs auf einer einzigen Plattform zusammenführten.“
Heute, zwei Jahre später, muss das Experiment als Erfolgsgeschichte betrachtet werden. In den mittlerweile 71 Blogs werden pro Tag etwa 100 Einträge, so genannte „posts“, hinterlegt, und jeden Monat verzeichnet das Portal fast sechs Millionen Seitenaufrufe.
Das Blogportal Scienceblogs.com startete im Jaahr 2006 und hat aktuell 71 Blogs integriert. (Abbildung: scienceblogs.com)
Das Blogportal Scienceblogs.com startete im Jaahr 2006 und hat aktuell 71 Blogs integriert. (Abbildung: scienceblogs.com)
Die Macher von Scienceblogs.com standen anfangs vor mehreren Herausforderungen. Es musste ein Format entwickelt werden, das es den Lesern und Nutzern ermöglichte, die verschiedenen Blogs als Einheit und nicht als Sammlung zu erfassen. Auf der anderen Seite bedurfte es bei manchen Bloggern einiger Überzeugungsarbeit. Viele der Tagebuchschreiber schätzen die Unabhängigkeit, sie begaben sich nur zögerlich auf das unbekannte Gelände einer Blog-Plattform.

Deutsche Medienunternehmen entdecken Wissenschaftsblogs

Inzwischen steigt auch in der deutschen Blogger-Gemeinschaft der Vernetzungsgrad. Das Wissenschaftscafe, betrieben von Marc Scheloske aus München, Sozialwissenschaftler und einer der aktivsten Wissenschaftsblogger in Deutschland, vereint unter wissenschafts-cafe.net Blogbeiträge aus völlig unterschiedlichen Fachrichtungen. Die Blogs bleiben dabei unabhängig, sie sind nicht Teil der Plattform. Vielmehr führt das Wissenschaftscafe die neuesten Posts der teilnehmenden Blogs zusammen.

Sogar zwei bekannte deutsche Medienunternehmen haben die Bloggerei über Wissenschaft für sich entdeckt und betreiben entsprechende Portale. Im Herbst 2007 startete scilogs.de, ein Projekt des Spektrum Verlags Heidelberg, der wiederum zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört. Ausgewählte Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten publizieren in 55 Blogs, die auf die Kategorien Wissenslogs, Brainlogs, Kosmologs und Chronologs verteilt sind.

Ebenfalls erst wenige Monate alt ist der deutsche Ableger von scienceblogs.com. Der Burda Verlag stieg bei scienceblogs.com ein und initiierte die deutsche Variante scienceblogs.de, die im Februar 2008 mit 21 Blogs online ging. Nach nunmehr fast sechs Monaten ist das Portal auf 29 Blogs angewachsen. „Das Portal wird von den Lesern inzwischen sehr gut angenommen“, berichtet Beatrice Lugger. Weil die Macher von Beginn an eine Medienpartnerschaft mit Focus online hatten, wuchs der Bekanntheitsgrad schnell. Die drei aktuellsten Blogbeiträge werden als „Surftipp“ auf der Wissensseite von focus.de angezeigt. Lugger: „Wir konnten auf diesem Weg User gewinnen, die vorher keine Blogs gelesen haben.“ Inzwischen bestehen auch Kooperationen mit der Süddeutschen Zeitung und dem Online-Wissensmagazin Scinexx.

Gegenöffentlichkeit mit Kraft

Wissenswertes und Kritisches vom heimischen Rechner aus ins Netz gestellt: Blogs werden als Gegenöffentlichkeit angesehen. (Foto: BIOPRO/Bächtle)
Wissenswertes und Kritisches vom heimischen Rechner aus ins Netz gestellt: Blogs werden als Gegenöffentlichkeit angesehen. (Foto: BIOPRO/Bächtle)
Die Wissenschaftskommunikation profitiert von den vielen engagierten Blogschreibern im Internet. Blogger sind unabhängig, keinen redaktionellen Zwängen unterworfen, wählen ihre Themen selbst und auch die Form der Darstellung. Dadurch werden sie zu dem, was Medienforscher als „Gegenöffentlichkeit“ bezeichnen. Blogs sind Informationsinstrumente, die oft mit journalistischen Mitteln und in hoher Qualität Zusammenhänge aufdecken und präsentieren. Ganz aktuell ist der Fall Hademar Bankhofer, ein Gesundheitsexperte aus Österreich. Bankhofer soll, so berichtete am 21. Juli das Blogportal boocompany.com, in verschiedenen Fernsehsendern, darunter die ARD, Schleichwerbung für Heilmittel gemacht haben. Den Stein ins Rollen gebracht haben die Blogger hockeystick und strappato. Wer die weitere Entwicklung verfolgen will, wird im Blog „Stationäre Aufnahme“ fündig, eine Zusammenfassung gibt es bei "placeboalarm".

Keine Konkurrenz zu journalistischen Formaten

Für viele spannende Ereignisse aus den Wissenschaften sind Blogs ein probates Mittel, um den Weg in die Öffentlichkeit zu finden. In den klassischen Medien sind Wissenschaftsthemen zwar seit Jahren schwer im Kommen, in der Breite sind sie von Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk aber nicht abzubilden. Blogs werden daher nicht als Konkurrenz zu klassischen Medien gesehen, sondern eher als Ergänzung betrachtet. Richard Zinken, beim Spektrum Verlag als Chefredakteur für spektrum direkt verantwortlich, sagte im November 2007 auf dem Fachkongress „Wissenswerte“: „Scilogs.de ist eine Kommunikationsplattform für Themen, die sonst nicht im Heft unterkommen.“ Und Marc Scheloske erklärt in seinem Blog wissenswerkstatt.net: „In zehn Jahren werden wir rückblickend darüber schmunzeln, dass einst Blogs und der konventionelle Redaktionsjournalismus als Gegensatz und Konkurrenz angesehen wurden.“

Dass die Wissenschaftsblogs erst jetzt so richtig das Laufen lernen, ist verwunderlich. Bereits 1991 stellte ein Wissenschaftler am Kernforschungszentrum CERN in Genf regelmäßig die Fortschritte seiner Forschungsprojekte ins Netz. Dieser Geburtshelfer des Wissenschaftsblogs ist kein Unbekannter: Tim Berners Lee, der Erfinder des Internets.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/in-der-nische-ist-noch-platz