zum Inhalt springen
Powered by

Iris-Tatjana Kolassa - extremer Stress hinterlässt Spuren in jeder Zelle

Der molekularen Psychologie gehört die Zukunft. Nachdem bildgebende Verfahren die Disziplin lange prägten, werden künftig molekulare Biologie und Medizin der Disziplin ihren Stempel aufdrücken. Davon ist die 33-jährige Ulmer Psychologin Iris-Tatjana Kolassa überzeugt. Scheuklappen kennt die dynamische Forscherin nicht. Wenn sie Synergien wittert, sucht sie die Zusammenarbeit mit Toxikologen, Nanowissenschaftlern, Neurologen oder Sportwissenschaftlern, um gemeinsam die Auswirkungen von extremem Stress herauszufinden.

Prof. Iris-Tatjana Kolassa © Universität Ulm
Freudig überrascht hat Kolassa im Lichte jüngster Arbeiten festgestellt, dass ihre beiden Forschungsschwerpunkte Stress und Altern mehr zusammenhängen als anfangs gedacht. Stress führt zu vorzeitigem Altern und lässt sich bis auf die Zellebene verfolgen, lautet ihre Hypothese, die sie bald hochrangig publizieren und weiter untermauern will.

Frühe Eigenständigkeit erfahren

Die Psychologin leitet seit Oktober 2010 den Ulmer Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie und hat bislang eine mustergültige akademische Karriere durchlaufen, stets begleitet von Preisen und Stipendien. Ihre wissenschaftliche Initiation hat sie an der benachbarten Universität Konstanz erfahren. Im dortigen Zentrum für wissenschaftlichen Nachwuchs, dem späteren Zukunftskolleg konnte sie „ganz früh ganz eigenständig" werden. Dort, am „besten Ort, um Nachwuchswissenschaftler zu werden", wie sie heute noch schwärmt, erfährt sie jede denkbare Unterstützung.

„Ich hatte meine Ideen immer schon selber im Kopf", sagt die selbstbewusste Forscherin und Mutter von Zwillingen. Aus einer Chemiker-Familie stammend, entscheidet sie sich für die Hirnforschung, studiert ab 1997 Psychologie an der Universität Konstanz, wo das Fach stark naturwissenschaftlich ausgerichtet ist mit dem Schwerpunkt Biologie. Entgegen üblicher Lebensläufe wechselt Kolassa schon während des Studiums ins Ausland. An der University of Minnesota in Minneapolis absolviert sie in einem Jahr nicht nur zwei Forschungspraktika, sondern schreibt dort auch ihre Diplomarbeit. Ihren Abschluss macht sie 2002 wieder in Konstanz, promoviert in Jena mit einer Arbeit zu bildgebenden Verfahren.

Dann sattelt die inzwischen 26-Jährige um, tut, was ihr wirklich Spaß macht, steigt in die Stressforschung ein, wenig später auch in die Alternsforschung, kehrt an ihre Uni am Bodensee zurück. Dort reift sie im interdisziplinären Umfeld zur Nachwuchsforscherin, die längst erkannt hat, dass auch in ihrem Fach die Dekade der (epi-)genomischen Forschung begonnen hat. Dort knüpft sie viele internationale Kontakte, kooperiert mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt („Warum soll ich als Postdoc ins Ausland? Die Kontakte hole ich mir hierher.“), am Lehrstuhl für Klinische Psychologie, dann als Nachwuchsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Klinische und Neuropsychologie und schließlich eineinhalb Jahre als Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiterin im Fachbereich Psychologie bis September 2010.

Extremer Stress wird auch in Zellen sichtbar

Ambulantes Versorgungszentrum für Genozidflüchtlinge in Uganda © privat

Wie wirkt sich extremer, traumatischer Stress beim Menschen im Gehirn, im Immunsystem, im endokrinen System und auf Ebene der Zellen aus. Besonders interessiert Kolassa, welche biologischen, vor allem molekularen Veränderungen nach extremem Stress auftreten und ob sich diese durch therapeutische Eingriffe rückgängig machen lassen. Diese Fragen erforscht sie anhand der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Diese Störung tritt bei Menschen auf, deren eigene körperliche Unversehrtheit oder die fremder Personen gefährdet ist, und die in dieser Situation extremer Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen ausgesetzt sind. Ausgelöst werden können PTSD durch Naturkatastrophen, Kriege, Völkermord, sexuellen Missbrauch oder Brände. Zu normalem Stress wie Prüfungsstress hat Kolassa auch Studien durchgeführt, doch dessen Auswirkungen auf den Körper seien heterogener, schwerer zu fassen als bei traumatischem Stress, der dramatische Folgen auf den Körper habe, die kurz vor dem urtümlichen Reaktionsmuster des Totstellreflexes anzusiedeln seien.

Nach PTSD drohen sekundäre Erkrankungen

Steine markieren traumatische, Blumen schöne Erlebnisse. Mit narrativer Expositionstherapie kann Genozidflüchtlingen geholfen werden. © privat

Bei einem Völkermord wie dem in Ruanda erlebten Menschen eine Reihe traumatischer Ereignisse. Kolassa untersucht, welche gesundheitlichen Auswirkungen dies auf Menschen langfristig hat, was dies für eine traumatisierte Nation wie die ruandische bedeutet. In Uganda, wo eine aus Reihen der Konstanzer Uni gegründete NGO (www.vivo.org), eine Versorgungsklinik aus momentan 15 Therapeuten die traumatisierten Genozid-Überlebenden betreut, hat Kolassa festgestellt, dass 40 Prozent der Überlebenden nach einem Trauma eine PTSD entwickeln. Werden die Menschen mit mehr als 15 traumatischen Erlebnissen konfrontiert, leiden ausnahmslos alle an PTSD.

Psychologisch äußern sich diese Störungen durch Intrusionen, unkontrollierbare Bilderketten der schrecklichen Ereignisse, die nachts als Albträume erlebt werden. Der Körper, erklärt Kolassa, befindet sich in Übererregung, ist hypervigilant; PTSD-Patienten reagieren mit emotionaler Abgestumpftheit, was die Verhaltenswissenschaftler passive Vermeidung nennen und Symptome einer Depression annehmen kann. PTSD beeinträchtigt massiv den Lebensalltag, lässt sich aber gut behandeln, zumindest wenn es ein einmaliges Trauma ist. Bei komplexen Traumata, vor allem auch sexuellen, so Kolassa, kann das mehrere Jahre dauern.

Kolassas Forschungshypothese besagt, dass sich extremer traumatischer Stress langfristig im Körpergedächtnis bemerkbar macht: „Unser Körper merkt sich das nicht nur im Gehirn, sondern sozusagen in jeder Zelle des Körpers". Stress hinterlässt einen biochemischen Abdruck der dramatischen Erlebnisse. Das führe dann zu Symptomen wie Schmerzen. Diese Veränderungen lassen sich messen. Bestimmte T-Zellen im Körper, die Infekte bekämpfen, würden weniger produziert, was die Infektanfälligkeit erhöhe. Auch regulatorische T-Zellen werden bis zur Hälfte vermindert, was die Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen erhöhe. „Wir wissen, dass das Risiko für Autoimmunerkrankungen, Infekte im allgemeinen, Krebserkrankungen, andere endokrine oder metabolische Erkrankungen bei traumatischem Stress oder Stress im allgemeinen erhöht ist." Dass das Risiko für Autoimmunerkrankungen stark steigt, hat Kolassa herausgearbeitet. Unbehandelte Menschen mit PTSD haben ein hohes Risiko für eine Autoimmunerkrankung, folgert Kolassa. Ganz frisch und noch unveröffentlicht ist eine weitere Erkenntnis: In diesen Gruppen von Menschen mit PTSD hat Kolassa und ihr Team festgestellt, dass das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen erhöht ist.

Menschen mit PTSD wie in Uganda oder Ruanda sollten therapiert werden, um sekundäre Erkrankungen zu vermeiden. Immerhin, so Kolassa, „scheint es so, dass wir einen Teil durch die Therapie rückgängig machen können". Schon zehn Sitzungen bei schwer traumatisierten Flüchtlingen schaffen einen beachtlichen Rückgang der Symptomatik, der sich bis auf die Ebene der Zellen auswirkt. Prozesse, die durch traumatischen Stress in der Zelle verändert waren, liefen nach der Therapie wieder so ab wie bei Gesunden.  

Stress und Altern hängen zusammen

Stete Bewegung, dies eine Erkenntnis aus dem WIN-Projekt, fördert gesundes Altern. © privat

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, so Kolassa, dass exzessiver traumatischer Stress auch zu vorzeitiger Alterung führt. Zur Alternsforschung inspiriert wurde die Ulmer Psychologin von einer Ausschreibung zum menschlichen Lebenszyklus der Heidelberger  Akademie für Wissenschaften für Nachwuchswissenschaftler. Zusammen mit einer Konstanzer Chemikerin und einer Ulmer Neurologin stellte Kolassa das WIN-Projekt Neuroplastizität und Immunologie bei kognitiver Beeinträchtigung im Alter auf die Beine, das in diesem Jahr nach fünf Jahren endet.

Immer deutlicher werde, dass lebenslange körperliche Bewegung, gesunde Ernährung, geistige Aktivität und wenig Stress das gesunde Altern fördere. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass das Alzheimer-Risiko mit körperlicher Inaktivität steige. Interventionsstudien zeigten die vorbeugende Wirkung und dass sich der kognitive Abbau im Alter verlangsamen lasse. Demenzkranke eines Pflegeheims „profitieren unheimlich von nur zehn Wochen körperlicher Aktivität", berichtet Kolassa von einer Studie in einem Konstanzer Pflegeheim. Körperliche Aktivität und sensorisches Training beispielsweise führten dazu, dass Neuronen auf genetischer Ebene mit der Produktion von Botenstoffen beginnen, die das neuronale Überleben fördern und den Zelltod verhindern. Obwohl man diesen das Prinzip der Neuroplastizität ausnützenden Effekt von körperlicher und geistiger Aktivität noch nicht genau kenne, so sei doch ihre positive Bedeutung für ein gesundes Altern klar.

Sport ist das Beste, was wir momentan gegen Demenz tun können. Kolassa glaubt an den großen Einfluss körperlicher Aktivität. Im WIN-Projekt hat sie auch wie viele andere Alzeimer-Forscher die Erfahrung gemacht, dass sich Grundlagenforschung (im konkreten Fall der beta-Amyloid-Autoantikörper als Biomarker für Alzheimer) oft in Erkenntnisgewinn erschöpft.

Stressforschung soll ausgeweitet werden

In weiteren Projekte erforscht Kolassa den Einfluss von traumatischem Stress auf Prozesse der Zellalterung wie DNA-Reparatur (zusammen mit Alexander Bürkle, Molekulare Toxikologie, Konstanz) und Telomerlänge (zusammen mit Lenhard Rudolph, Institut für Molekulare Medizin und Max-Planck-Forschungsgruppe für Stammzellalterung, Universität Ulm). Daneben bestehen Kooperationen, innerhalb derer transgenerationale Effekte von traumatischem Stress auf der Verhaltens- und biologischen Ebene (Epigenetik) untersucht werden.

Gerade erst ist es Kolassa gelungen, ein biologisches Labor für ihre Forschung zu etablieren. Und schon denkt sie an ein molekularpsychologisches Labor – eine Vision, das sagt sie selbst. Dass ihr Unterfangen, die Biowissenschaften neu mit der Psychologie zu vernetzen, international wahrgenommen wird, freut und bestätigt die 33-jährige, die im Mai genau dafür einen Preis einer US-Fachgesellschaft in Empfang nimmt.

Ihre Stressforschung will sie ausweiten, auf die komplexere Traumatisierung wie die Borderline-Störung. Auch Arbeiten zur Transgenerationalität will Kolassa vorantreiben und wissen, was eine traumatisierte Mutter an ihr Kind auf biologischer Ebene weitergibt, und ob eventuell diesen transgenerationalen Erkrankungen vorgebeugt werden kann. Eine ihrer ersten und nach eigenem Bekunden besten Arbeiten entsprang einer Kooperation mit dem Schweizer Forscher de Quervain. Dort gelang der Nachweis, dass eine bestimmte genetische Variation zu einem besseren emotionalen Gedächtnis – im Guten wie im Schlechten – führt. Diese Arbeiten zur Genetik der PTSD will sie in einer Folgestudie fortführen und dann untersuchen, ob ein Therapieerfolg von der genetischen Konstellation abhängt.

Momentan fehlt ihren vielen Ideen etwas das Geld, fehlen die Drittmittel. Jetzt müsse sie erfolgreich Anträge schreiben, schmunzelt Kolassa und demonstriert Beharrlichkeit und hohe Frustrationstoleranz: „Ich will alle Themen beackern und werde das irgendwie hinkriegen."

Literatur:
Sommershof, A., et al. (2009), Substantial reduction of naïve and regulatory T cells following traumatic stress, Brain, Behavior, and Immunity, 23, 1117-1124.

Kolassa, I.-T., et al. (2010). Association study of trauma load and SLC6A4 promoter polymorphism in PTSD: evidence from survivors of the Rwandan genocide, Journal of Clinical Psychiatry. 71(5):543-547.

Kolassa, I.-T., et al. (2010), The risk of Posttraumatic Stress Disorder after trauma depends on trauma load and the COMT Val158Met polymorphism,  Biological Psychiatry, 67(4), 304-308.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/iris-tatjana-kolassa-extremer-stress-hinterlaesst-spuren-in-jeder-zelle