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Janine Reis – Dem Gehirn das Lernen leichter machen

Einen Teelöffel Zucker in eine Tasse Kaffee zu geben scheint uns trivial. Für Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, ist die Koordination der Hand und der Finger aber zumeist eine schier unüberwindbare Herausforderung. Wie sich feinmotorische Fähigkeiten schneller und besser erlernen lassen, untersucht die Assistenzärztin und Forscherin Dr. Janine Reis von der Neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg.

Dr. Janine Reis © privat

Selbst gesunde Menschen tun sich zunächst schwer, feine Bewegungsabläufe zu lernen. Versuchen Kinder etwa zum ersten Mal, eine Tasse Tee oder Saft zum Mund zu führen, dann muss ihr Gehirn verschiedene Informationen integrieren: etwa die Rückmeldung aus den Muskeln der Hand und des Arms oder die visuelle Information über die momentane Position der Tasse. Nervenzellen müssen lernen, in genau definierter Weise zu feuern, neue Verknüpfungen müssen entstehen. Erst nach und nach etablieren sich die Schaltkreise, die einen reibungslosen Ablauf der Einzelbewegungen vermitteln. Schlaganfallpatienten haben es noch schwerer. Bei ihnen sind unter Umständen große Teile dieser Schaltkreise zerstört, sie müssen sich neu ausbilden, und das ist mühsam, weil das Gehirngewebe von Erwachsenen nicht mehr so plastisch ist wie das von Kindern. Dr. Janine Reis von der Neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg versucht gesunden und kranken Menschen auf eine zunächst unkonventionell anmutende Weise auf die Sprünge zu helfen: mit elektrischer Stimulation.

Lernen unter Strom?

„Bis vor kurzem habe ich noch in den USA gelebt“, erzählt Reis. „Dort habe ich ein wissenschaftliches Projekt zu dem Thema abgeschlossen.“ Die 1977 in Haan (NRW) geborene Reis studierte zunächst Medizin in Marburg. Während ihrer Doktorarbeit in der Epileptologie kam sie zum ersten Mal mit der neurowissenschaftlichen Forschung in Berührung. Damals ging es um die Frage, wie Antiepileptika die Erregbarkeit des Gehirns beeinflussen. Reis untersuchte das Problem mit nichtinvasiven Stimulationstechniken, sie manipulierte also die elektrischen Impulse im Gehirn von Probanden mit einem Magnetfeld, ohne dieses in das Gehirn hineinzubringen und das Gewebe zu schädigen. Die Arbeit mit solchen Stimulationstechniken, zuletzt durch auf der Schädelhaut aufliegenden Elektroden, setzte sie auch am National Institute for Neurological Disorders and Stroke (NINDS) bei Washington D.C. fort. Einen Forschungsaufenthalt für zwei Jahre ermöglichte ihr ein Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, das sie während ihrer Assistenz in Marburg erhielt. Weitere neun Monate finanzierte sie ein „visiting fellow award“ der National Institutes of Health (NIH).

Ein Proband beim Versuch © Dr. Janine Reis

Lernen Menschen motorische Fertigkeiten besser, wenn ihr Gehirn gleichzeitig mit elektrischem Strom gereizt wird? „Zu dieser Fragestellung gab es damals einige Untersuchungen“, sagt Reis. „Aber ich stellte fest, dass es kaum Langzeitstudien gab.“ Also entwarf sie Experimente, die einen bis zu drei Monate anhaltenden Lerneffekt testen sollten. Sie verwendete dazu die sogenannte anodale transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), bei der ein durch eine Anode erzeugter Gleichstrom das motorische Areal des Cortex erregt. Die Probanden sollten an fünf aufeinander folgenden Tagen üben, einen Cursor über einen Bildschirm zu bewegen, in dem sie durch genau abgestimmtes Drücken eines Kraftüberträgers die Richtung seiner Bewegung beeinflussten. „Eine solche Aufgabe ist nicht trivial“, sagt Reis. „Sie erfordert sowohl den Input aus den Augen als auch aus den Muskeln, wir maßen hier also jeden Tag die visuo-motorische Lernleistung.“ Über einen Zeitraum von drei Monaten sollten weitere Messungen zeigen, wie gut die Probanden ihre Fertigkeiten nach einer längeren Zeit noch beherrschten.

Gespannt auf die Zukunft

Personen, deren motorischer Cortex während der Versuchsdurchgänge mit einer Elektrode stimuliert wurde, lernten die Aufgabe schneller und exakter als die Kontrollgruppe, die lediglich mit Placebo-Elektroden behandelt wurde. „Das Paradoxe daran war, dass die Probanden nicht etwa während der Durchläufe besser lernten“, erklärt Reis. „Der Effekt kam erst nachts zustande, sie vergaßen während des Schlafs weniger als nichtbehandelte Personen.“ Die Stimulation half also dabei, die Bewegungsabläufe zu konsolidieren. Die Langzeitmessungen zeigten, dass stimulierte Probanden die Aufgabe auch noch nach drei Monaten schneller und exakter beherrschten als die Kontrollgruppe. Beide Gruppen vergaßen ihre Fertigkeiten in dieser langen Zeit zwar gleich schnell. Aber weil die stimulierten Probanden nach Abschluss der Experimente besser waren, war ihre Leistung auch nach drei Monaten insgesamt noch höher.

Seit fünf Monaten hat Reis in der Neurologischen Abteilung die Stelle einer Assistenzärztin inne, sie möchte ihre Ausbildung zum Facharzt zu Ende bringen. Aber sie ist auch ganz euphorisch, wenn sie von ihren zukünftigen Forschungsprojekten spricht. „Freiburg ist nicht nur eine tolle Stadt, sondern auch eines der größten Zentren für Bildgebung in Deutschland“, schwärmt sie. „Außerdem ist hier die kritische Masse für alle möglichen anderen interdisziplinären Projekte vorhanden.“ So plant sie mit ihrer Kollegin Dr. Brita Fritsch aus der gleichen Abteilung, in zellbiologischen Tier-Experimenten zu klären, warum stimulierte Patienten besser lernen. Mit bildgebenden Verfahren möchte sie außerdem genau prüfen, was während der Stimulation in den Gehirnen der menschlichen Versuchspersonen passiert. Und momentan laufen schon Versuche mit Schlaganfallpatienten, denn Reis sieht das große Potenzial des nichtinvasiven Stimulationsverfahrens im klinischen Bereich. „Zur Zeit prüfen wir, ob die Stimulation bei Patienten nach einem Schlaganfall ähnliche Effekte zeigt“, sagt die Medizinerin. „Vielleicht können wir unser Verfahren schon in fünf bis zehn Jahren in der Therapie verwenden.“

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