Jörg Hinrichs forscht in der Welt der Milchprodukte
Wie bringt man Biologie, Chemie, Physik und das Ingenieurwesen am besten zusammen? Indem man Lebensmitteltechnologe wird – findet Prof. Dr.-Ing. Jörg Hinrichs, der an der Universität Hohenheim das Fachgebiet Lebensmittel tierischer Herkunft sowie die Forschungs- und Lehrmolkerei leitet.
Prof. Dr.-Ing. Jörg Hinrichs leitet seit 2001 das Fachgebiet Lebensmittel tierischer Herkunft sowie die Forschungs- und Lehrmolkerei an der Universität Hohenheim.
© Universität Hohenheim
Auch ein Umweg führt zum Ziel: Der heutige Prof. Dr.-Ing. Jörg Hinrichs machte Anfang der 80er Jahre zunächst eine Ausbildung zum Molkereifachmann bei der Firma Nordkontor im niedersächsischen Zeven. Damit begab er sich beruflich auf die Pfade seiner Vorväter: Sowohl Hinrichs‘ Großvater als auch sein Vater waren Molkereileiter. Nach der Ausbildung folgte Hinrichs jedoch seinen akademischen Ambitionen und studierte Lebensmitteltechnologie an der TU München. „Die Naturwissenschaften und dabei vor allem die Chemie und Physik haben mich schon immer interessiert. Für die Lebensmitteltechnologie habe ich mich entschieden, weil ich hier meine Kenntnisse und Interessen gut kombinieren konnte. Teilaspekte des Maschinenbaus spielen hier ebenso eine Rolle wie Aspekte der Mikrobiologie und der Verfahrenstechnik. Als Lebensmitteltechnologe lernen Sie viele Gebiete kennen und können sich in vieles hineindenken“, so Hinrichs.
Dabei blieb er der Milchtechnologie als Schwerpunkt stets treu, wurde nach der Promotion akademischer Rat am Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie an der TU München und war von 1997 bis 1999 schließlich Akademischer Oberrat auf dem Campus Weihenstephan. Während dieser Zeit habilitierte sich Hinrichs mit seinen Arbeiten über die Ultrahochdruckbehandlung von Lebensmitteln mit den Schwerpunkten Inaktivierung von Mikroorganismen sowie Denaturierung und Strukturierung von Milchproteinen.
Dieses Thema beschäftigt ihn noch heute. „Es ist ein äußerst interessantes Verfahren, durch Druck Proteine aufzufalten und zu denaturieren. Außerdem können wir durch Einwirkung von Druck auch Strukturen aufbauen“, so Hinrichs. Seit seiner Berufung 2001 als Professor für das Fachgebiet Lebensmittel tierischer Herkunft an die Universität Hohenheim befasst sich der Ingenieur unter anderem mit der Textur beziehungsweise Struktur von Lebensmitteln. „Der Strukturbegriff umfasst dabei alles von der Nano- über die Mikrostruktur bis hin zu wahrnehmbaren Makrostrukturen von Lebensmittelmatrices. Der Begriff Textur ist mehr summativ und umfasst alles, was man mit den Augen und im Mund wahrnimmt“, erklärt Hinrichs zur Abgrenzung der Termini. In diesem Zusammenhang interessiert er sich unter anderem für das Fließverhalten und die Gleiteigenschaften von Lebensmitteln bei der oralen Aufnahme. Hinrichs will aufklären, welche chemischen und physikalischen Phänomene dahinter stecken.
Textur von Molkereiprodukten ist entscheidend für ihren Markterfolg
Wird Mozzarella erwärmt, ändert sich seine Mikrostruktur (Proteine sind rot, Fett blau markiert). Solche Veränderungen und Untersuchungen dazu, wie sie gesteuert werden können, gehören zu Hinrichs' Forschungsthemen.
© J. Hinrichs, Universität Hohenheim 2012
Dieses Wissen über die Struktur- und Textureigenschaften der Lebensmittel hat ganz praktischen Nutzen für die Lebensmittelindustrie: Wenn zum Beispiel ein fettfreies Produkt hergestellt werden soll, fehlen die Fettkugeln, was sowohl verfahrenstechnisch bei der Herstellung Konsequenzen hat als auch mikrobiologisch, strukturell und sensorisch. Hinrichs nennt ein anschauliches Beispiel aus dem komplexen Bereich der Schaumforschung in der Milchwirtschaft: „Geschlagene Sahne ist ein auf faszinierende Weise ausbalancierter Fettschaum. Wenn die Sahne zu wenig Fett enthält, fällt der Schaum schnell in sich zusammen. Außerdem bindet Fett Aromastoffe. Wenn man ein fettreduziertes Produkt herstellen will, muss man die Aromastoffmischung anpassen, weil die Verteilungskoeffizienten der einzelnen Aromastoffe zwischen Gasphase und Matrix vom Fettgehalt abhängig sind.“
Da jeder einzelne Aromastoff seinen eigenen Verteilungskoeffizient hat, kann man bereits ahnen, wie kompliziert die Prozesssteuerung bei der Entwicklung und Herstellung geschäumter, fettreduzierter Milchprodukte ist. Hinrichs’ Arbeitsgruppe befasst sich auch mit der Optimierung von Apparaten und Prozessen, um Milchprodukte gezielt zu plastifizieren und ihnen eine bestimmte Textur zu geben. Das ist zum Beispiel bei der Mozzarella-Herstellung gefragt. „Heutzutage wird Mozzarella hauptsächlich im Halbbatch-Verfahren hergestellt. Zusammen mit einigen kleineren Unternehmen wollen wir eine effiziente, kontinuierliche Produktion ermöglichen“, so Hinrichs.
Hohenheimer Membrantechnologien modernisieren die Milchwirtschaft
Bakteriophagen wie diese, sind Viren, die Bakterien befallen. Wenn es sich dabei um Bakterien handelt, die in der Käseproduktion nützlich sind, sind Bakteriophagen äußerst unerwünscht. Das Hohenheimer Team entwickelt Membrantechnologien, um Bakteriophagen aus der Molke abzutrennen.
© H. Neve, Max-Rubner-Institut 2012
Rund um die Käseproduktion gibt es noch zahlreiche weitere Projekte der Hohenheimer Arbeitsgruppe. Ein Fokus liegt dabei auf der Entwicklung innovativer Membrantechnologien. So wurde in Hohenheim eine Elektromembranfiltration entwickelt, bei der ein elektrisches Feld über eine Membran gelegt wird, um aus Proteinhydrolysaten kleine bioaktive Peptide zu gewinnen oder um große Peptide anzureichern, die als Emulgatoren Grenzflächen stabilisieren können.
Neuartige Membrantechnologien sind auch gefragt, um Bakteriophagen aus Molke abzutrennen. Es gibt eine Reihe von Bakteriophagen, die sich auf Bakterien spezialisiert haben, die zur Käsung gebraucht werden. So verleihen Lactococcus-Bakterien dem Käse die säuerliche Komponente und Leuconostoc-Arten das Aroma. Diese Bakterien sollen also möglichst nicht von Bakteriophagen dezimiert werden. „Phagen sind immer in der Rohmilch vorhanden und rund 90 Prozent sind thermisch so stabil, dass sie eine Pasteurisierung überstehen“, sagt Hinrichs. Damit sind die Bakteriophagen natürlich auch in der Molke enthalten, die bei der Käseherstellung abfließt. Die Molke wird zum Abtrennen des Fettes zentrifugiert, dann pasteurisiert, konzentriert und weiter verarbeitet. Das abgetrennte Fett, der Molkenrahm, wird in den Käsungsprozess zurückgeführt.
„Wir untersuchen dabei unter anderem, auf welche Weise und wie hoch der Molkenrahm erhitzt werden muss, um die Phagen zu inaktivieren, damit es zu keinen Qualitätsproblemen beim Käse kommt. Außerdem untersuchen wir, wie wir die fettfreie Molke mithilfe der Membrantechnologie behandeln können, um daraus Molkenprodukte mit nativen Proteinen, jedoch ohne Bakteriophagen herzustellen“, so Hinrichs weiter. Unternehmen der Milchindustrie sind höchst interessiert an den Ergebnissen, denn solche Produkte können risikolos als ergänzende Substrate für Fermentationen eingesetzt werden.
Von der Forschung zur Anwendung
Als Querschnittswissenschaftler ist Hinrichs stets darauf aus, naturwissenschaftliche und technische Aspekte zusammenzubringen, auch auf dem weiten Feld der Enzyme. Sie können zur Aromabildung dienen oder zur Strukturbildung eingesetzt werden. Hinrichs hat es vor allem auf die enzymatische Bildung von Lactulose abgesehen. Auf natürlichem Weg entsteht dieser Zweifachzucker bei der intensiven Wärmebehandlung von Milch durch eine teilweise Isomerierung der Lactose. Das macht den Lactulosegehalt zu einem geeigneten Parameter, um die thermische Belastung von Milchprodukten zu charakterisieren. Hinrichs ist jedoch eher an zwei anderen Aspekten interessiert: Ab einer gewissen Konzentration wirkt der Zucker prebiotisch, fördert also das Wachstum der positiven Darmflora und damit die Verdauung. In höherer Konzentration wirkt Lactulose als Laxativ. „Diese Eigenschaften kann man sich zum Beispiel bei Produkten für ältere oder pflegebedürftige Menschen zunutze machen. Wir wollen gemeinsam mit unseren Partnern ein Produktionsverfahren entwickeln, um enzymatisch direkt im Milchprodukt eine definierte Menge an Lactulose zu erreichen, die prebiotisch wirkt“, so der Forscher.
Die Anwendungsseite seiner Forschung ist für Hinrichs generell ein wichtiger Ansporn: „Natürlich werden unsere Ergebnisse nicht immer direkt umgesetzt, aber ich freue mich stets, wenn ich von Unternehmensseite erfahre, dass unsere Ideen und Erkenntnisse in eine Produktentwicklung eingeflossen sind.“ Für die Summe seiner anwendungsnahen Projekte hat Hinrichs 2010 den mit 10.000 Euro dotierten Innovationspreis der Milchindustrie erhalten, was den praktischen Nutzen seiner Forschung unterstreicht. „Manche Projekte waren vor allem wissenschaftlich spannend, manche industriell und manche, weil wir etwas dabei gelernt haben“, fasst Hinrichs zusammen. Seine langjährige Erfahrung mit Industrieprojekten nützt ihm auch als Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses im Forschungskreis der Ernährungsindustrie e. V., kurz FEI. Hier bringt er vor allem seine ingenieurwissenschaftliche Sicht mit ein. Hinrichs unterstützt den Vorstand bei der Bewertung von Projektanträgen an die Allianz industrielle Forschung (AiF) und hilft damit Antragstellern, ihre Anträge wissenschaftlich zu präzisieren, ohne die wirtschaftliche Bedeutung aus dem Auge zu verlieren.