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Johanna Schanz: Lebermodell als Alternative für Tierversuche

Das Trägermaterial stammt vom Schwein, alle zellulären Bestandteile werden aus humanen Biopsien isoliert. Mit dieser Kombination gelang Dr. Johanna Schanz vom Fraunhofer IGB das Meisterstück ihrer Doktorarbeit: ein funktionsfähiges System von Blutgefäßen innerhalb einer biologischen Trägerstruktur. Als Lebermodell für Medikamententests kann es helfen, Tierversuche zu vermeiden und wurde 2009 gleich zweimal mit Forschungspreisen ausgezeichnet.

Dr. Johanna Schanz ist stellvertretende Abteilungsleiterin am Stuttgarter IGB. © privat

„Ein Mensch ist eben nicht 70 oder 80 Kilogramm Ratte.“ Mit diesem Satz brachte Dr. Johanna Schanz anlässlich der Biotechnica 2009 einen großen Vorteil alternativer Testsysteme für Medikamente auf den Punkt. Abgesehen von der ethischen Problematik um Tierversuche seien die damit gewonnenen Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar, so die Forscherin. Durch den abweichenden Stoffwechsel treten viele Nebenwirkungen eben doch erst in klinischen Studien mit humanen Patienten zutage.

Alternative künstliche Testsysteme scheiterten bisher jedoch oft an der Komplexität menschlicher Gewebe, besonders der Leber, die extrem schwer nachzubauen ist. „Die Leber ist einer der Stoffwechselgiganten im Körper", bestätigt Schanz. Die Probleme fangen schon bei den metabolischen Enzymen an. Ihre vernetzte Vielfalt und Multifunktionalität komplett künstlich aufrechtzuerhalten ist immer noch nicht machbar. Bei gezüchtetem Gewebe ist es die Nährstoffversorgung über ein Blutgefäßsystem, die Probleme bereitet. Die Vaskularisierung ist beim Tissue Engineering erst ansatzweise gelöst. Mit diesem Stand der Forschung starteten Schanz und ihre Chefin, Prof. Dr. Heike Walles, am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB ihre Arbeiten.

Konsequent und hartnäckig Richtung Forschungsziel

Das erfolgreiche Forscherinnen-Duo arbeitet schon seit vielen Jahren zusammen. Schanz studierte Biologie an der Universität Hannover, als sie dort ihre zukünftige Mentorin kennenlernte und anfing, mit ihr an der Entwicklung von Zellsystemen zu arbeiten. Als sich Walles (damals noch Mertsching) Ende 2004 entschied, nach Stuttgart zu gehen, folgte ihr Schanz als frisch gebackene Diplombiologin und startete Anfang 2005 ihre Promotion in der Abteilung Zellsysteme. „Damit begannen die Vorarbeiten für das vaskularisierte Lebertestsystem“, berichtet Schanz. Schon im Dezember 2007, nach nicht einmal drei Jahren, konnte sie ihre Doktorarbeit erfolgreich beenden. Sie hatte auch die zelluläre Besiedelung organischer Matrizes wesentlich vorangebracht und weiterentwickelt.

Das Modell bietet erstmals die Möglichkeit, Wirkstoffe wie im menschlichen Körper zu den Leberzellen zu bringen und die entstehenden Metabolite zu analysieren. © Fraunhofer IGB

Das Lebermodell ist ein Produkt modernster Biotechnologie, es vereint die neuesten Technologien in der Zellkultur und der Verfahrenstechnik mit dem Tissue Engineering. Der Ansatzpunkt: Wenn das komplexe System „Leber" nicht synthetisch herstellbar ist, greift man eben auf biologische Strukturen zurück. Das IGB-Team verwendet Schweinedarm als Ressource für ein Blutgefäß-System. „Der lange Dünndarm des Schweins bietet genügend Material und Anschlussstellen, außerdem kann er gut präpariert werden. Wenn wir den Darm frei präparieren, sehen wir die versorgenden Gefäßpaare mit bloßem Auge und können sie mit Braunülen anstechen", erklärt Schanz die praktischen Vorteile.

Sie gewinnt bis zu acht Segmente aus einem einzigen Schweinedarm: „Wir verwenden vor allem die magen-nahen Teile, denn weiter unten ist die Gefäßdichte nicht mehr so hoch." Die Darmstücke werden in Waschschritten von zellulären Anteilen befreit. „Wir leiten Tensidlösungen durch das Darmrohr und durchspülen es anschließend mit Salzlösungen. Danach haben wir nur noch die reinen Bindegewebsstrukturen, die vor allem aus Kollagenen bestehen", sagt Schanz. Die Segmente werden dann in einem Glasbioreaktor mit an- und ableitenden Anschlüssen entsprechend den Venen und Arterien versehen. Und sie werden mit menschlichen Endothelzellen und Hepatozyten besiedelt.

Realistische Bedingungen im künstlichen System

Das Lebermodul verfügt über je einen arteriellen und venösen Anschluss für den Blutkreislauf. © Fraunhofer IGB

Die Hepatozyten übernehmen im Reaktor die gleichen Aufgaben wie im menschlichen Körper, das heißt, sie bauen die Bestandteile von Medikamenten ab und um. Die Endothelzellen kleiden wie im natürlichen Pendant das Gefäß aus, geben Nährstoffe an die Hepatozyten ab und leiten Abbaustoffe weg. Über Schlauchpumpen wird das Fluss-System in Gang gehalten, alles funktioniert computergesteuert. Inzwischen hat Schanz das Modell so gut im Griff, dass die Zellen bis zu drei Wochen aktiv sind. Damit ist das Potenzial aber längst nicht ausgeschöpft.

Schanz ist inzwischen zur stellvertretenden Abteilungsleiterin avanciert und arbeitet mit großem Engagement daran, das Modell weiterzuentwickeln und für verschiedene Fragestellungen zu optimieren. Prinzipiell ermöglicht es bereits heute Mehrfachapplikationen und auch für Langzeitstudien will Schanz das Modell fit machen.

Bisher war ihre Arbeit am Leberreaktor ein rein intern gefördertes Projekt des Fraunhofer IGB. Mittlerweile hat es jedoch so viel Furore gemacht, dass die Pharmaindustrie mit eingestiegen ist. „Novartis hat die Arbeiten schon länger interessiert verfolgt und engagiert sich jetzt auch finanziell", freut sich die Wissenschaftlerin. Der Pharmakonzern unterstützt eine Doktorarbeit. „Das Unternehmen betrachtet es zunächst als Investition in die Entwicklung neuer Technologien, als Fernziel soll das Lebermodell zum Beispiel für Toxizitätstests eingesetzt werden", erklärt Schanz.

Zweifach preisgekrönt

Dass die bisherigen Erfolge so gut sichtbar wurden, ist nicht zuletzt den beiden Auszeichnungen zu verdanken, die das Lebermodell im vergangenen Jahr einheimsen konnte. Im Juni erhielten Walles und Schanz den mit 10 000 Euro dotierten Technologiepreis „Technik für den Menschen“ der Fraunhofer-Gesellschaft. Im Oktober freute sich Schanz über den Forschungspreis für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch der Bundesregierung. Er ist mit 15 000 Euro dotiert und wurde beim Symposium der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) in Berlin von Staatssekretär Gerd Lindemann überreicht.

Ganz die bodenständige Wissenschaftlerin investierte Schanz ihre Preisgelder nicht in ein tolles Auto oder ähnliches, sondern legte sie an. „Bisher kam ich in meinem Leben noch nie zum Sparen, das Preisgeld ist jetzt ein erster Grundstock, auch zur Altersvorsorge“, betont Schanz. Eine Ausnahme gibt es aber: „Ich habe mir von einem Teil des Geldes den Porsche unter den Nähmaschinen gekauft - eine Pfaff mit Stickeinheit, mit der ich mir einen großen Traum erfüllt habe und die mir bei vielen Weihnachtsgeschenken geholfen hat“, berichtet die Hobby-Schneiderin.

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