Karen Lienkamp: Kluge Beschichtungen wehren Mikroben ab
Resistente Keime sind zähe Siedler. Keine Oberfläche ist vor ihnen sicher, und das bereitet Medizinern wie Industrieforschern Kopfzerbrechen. Die Chemikerin Dr. Karen Lienkamp entwickelt als Junior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und als Nachwuchsgruppenleiterin an der Universität Freiburg Materialien für biomedizinische Anwendungen und industrielle Produktionsanlagen. Mikroorganismen sollen keine Chance mehr haben, sich in Kathetern, Schläuchen oder auf Implantaten zu vermehren. Bei der Forschung kommt ein neu entwickelter LEGO-Kasten für biomimetische Polymere zum Einsatz, die selektiv auf die Bakterienabwehr zugeschnitten sind.
Dr. Karen Lienkamp
© privat
Es wird viel gelacht im Labor von Dr. Karen Lienkamp am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg, während die Doktoranden und Doktorandinnen über die leise summenden Magnetrührer, Rotationsverdampfer und Flüssigchromatogaphieanlagen wachen. Ist die Wartezeit neben einer Maschine zu Ende, kehrt Konzentration in die Gesichter zurück und im Raum herrscht wieder Geschäftigkeit. „Ich habe mit der Auswahl meiner Gruppe viel Glück gehabt“, sagt Lienkamp. „Obwohl wir im letzten halben Jahr ein neues Labor aufbauen mussten, haben wir schon erste Vorversuche hinter uns.“ Mitte 2010 kehrte die Chemikerin aus den USA nach Deutschland zurück. Ende 2010 wurde sie zum Junior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) ernannt, kurz darauf erhielt sie von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) eines der begehrten Förderpakete des Emmy-Noether-Programms, um am IMTEK eine Nachwuchsgruppe aufzubauen. Denn so spaßig es in ihrem Labor zugeht, so ernst und vielversprechend ist das Projekt der 1978 in Freiburg geborenen und in Frankfurt am Main aufgewachsenen Forscherin.
Die Gefahr beginnt an der Oberfläche
Eine antimikrobielle Oberfläche im Rasterkraftmikroskop (Atomic Force Microscope, AFM)
© Dr. Karen Lienkamp
Lienkamp ist dabei, neuartige Oberflächen für medizinische Anwendungen zu entwickeln. „Viele immungeschwächte Patienten infizieren sich in Krankenhäusern mit tödlichen Keimen, die sich in Kathetern, Infusionsschläuchen oder auf Körperimplantaten ausbreiten“, sagt sie. „Ausgehend von einem Baukasten für biologisch aktive Moleküle, der im Prinzip wie ein LEGO-Baukasten funktioniert, wollen wir Materialien herstellen, die entweder Mikroben abweisen oder diese abtöten, bevor sie Biofilme bilden können.“ Bakterien scannen mithilfe von Rezeptoren in ihrer Membran die chemische Beschaffenheit der Oberfläche, an die sie sich anheften möchten. Entspricht diese ihren Bedürfnissen, lagern sie sich an, vermehren sich und bilden schließlich Kolonien, die von einer Hülle umgeben sind. Diese undurchdringliche Hülle bietet den Bakterien Schutz gegen Abtötung durch Antibiotika. Beide Schritte, Anlagerung und Biofilmbildung, sollen die neuen Oberflächen verhindern können.
Schon während ihrer Postdoc-Zeit zwischen 2007 und 2010 an der Universität von Massachusetts in Amherst/USA fragte Lienkamp sich, wie man Bakterien effizient bekämpfen kann. Die meisten Antibiotika haben ein spezifisches Ziel innerhalb der Zelle. Sie inhibieren zum Beispiel Rezeptoren, die an der Zellwandsynthese beteiligt sind. Diese Rezeptoren lassen sich durch geringe Mutationen schnell verändern, sodass die Medikamente sie nicht mehr beeinflussen können. Das ist der Grund, warum viele Keime gegen Antibiotika resistent werden. Lienkamp verfolgte daher die Idee, stattdessen unspezifisch an der Zellmembran anzugreifen, die komplex aufgebaut ist und sich nicht so schnell verändern kann wie ein Rezeptor oder ähnliche Antibiotika-Ziele.
Prinzip des LEGO-Baukastens für künstliche antimikrobielle Polymere
© Dr. Karen Lienkamp
Sie entwickelte zusammen mit ihren damaligen Kollegen schließlich mithilfe ihres Baukastens ein Set von künstlich synthetisierten Polymeren (den sogenannten Synthetic Mimics of Antimicrobial Peptides, kurz SMAMPs). Der Baukasten besteht aus einem Gerüstmolekül, an das hydrophile (wasserliebende) oder hydrophobe (wasserabweisende) Seitenarme angehängt werden können. Aus diesen Elementen können Makromoleküle zusammengebaut werden, die auf der hydrophilen Seite eine positive Ladung tragen und sich damit an die negativ geladene Membran von Bakterien anlagern, diese dann mit den hydrophoben Gruppen durchdringen und sie so zum Zerreißen bringen. Für Mikroorganismen ist dies tödlich. Eine Anpassung ist dabei extrem unwahrscheinlich, sehr viele Mutationen wären gleichzeitig nötig, damit sich die Hüllschicht verändern kann und das Bakterium trotzdem noch überlebensfähig wäre. „Trotz dieser unspezifischen Wirkung auf die Membran wirken solche Polymere sehr selektiv, Zellmembranen anderer Organismen weisen keine negative Nettoladung auf“, sagt Lienkamp. „ Für etwaige medizinische Anwendungen beim Menschen ist das essenziell.“
Optimale Berg- und Tallandschaften
Mit dem LEGO-Baukasten aus künstlichen biomimetischen Einzelteilen lassen sich auch Polymere herstellen, die sogenannte Antibiofouling-Eigenschaften aufweisen. Solche Molekülketten werden stark von Wasser gequollen. Eine mit ihnen beschichtete Oberfläche wäre von einem Wasserfilm überzogen, und an eine solche Schicht lagern Bakterien sich nur ungern an. „Die Idee ist letztendlich, der Bakterienzelle eine Oberfläche anzubieten, die möglichst ungünstig für sie ist“, sagt Lienkamp. „Und wenn sie sich doch auf ihr niederlässt, tötet diese Oberfläche sie ab.“
Zurzeit testen die Forscher am IMTEK unterschiedliche Verfahren für die Herstellung solcher Oberflächen. Hierzu bauen sie etwa mithilfe von verschiedenen Strukturierungsmethoden nanometergroße Muster aus Polymeren auf glatte Oberflächen auf. Im Rasterkraftmikroskop sind dann Berg- und Tallandschaften zu sehen. Diese Landschaften könnten in Zukunft zum Beispiel schachbrettartig gemustert sein und abwechselnd Mikrodomänen mit antimikrobiellen und mit Antibiofouling-Eigenschaften aufweisen. „Was die optimale Architektur unserer Oberflächen anbelangt, stehen wir noch am Anfang“, sagt Lienkamp. „Wir wollen aber in rund einem Jahr mit den ersten Zellversuchen beginnen, die wir in Kooperation mit Arbeitsgruppen von der Universitätsklinik Freiburg planen.“ Viel Arbeit ist dazwischen zu leisten. Für Lienkamp, die gerade Mutter geworden ist, eine organisatorische Herausforderung. „Das geht nur mit dem besten Ehemann der Welt“, sagt die Chemikerin und lächelt. Jetzt, da ihr Labor aufgebaut und die Gruppe vollständig ist, freut sie sich auf die Forschungsarbeit. In den nächsten Monaten möchte sie hierfür auch den Austausch mit Kollegen vom FRIAS ausbauen. Für ein Projekt, das an der Grenze zwischen Chemie, Medizin und Materialwissenschaften steht, wird ein interdisziplinärer Austausch mit Sicherheit inspirierend sein.
Weitere Informationen zum Beitrag:
Dr. Karen Lienkamp
Chemie und Physik von Oberflächen
Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK)
Universität Freiburg
Tel.: 0761/ 203 - 74 15
Fax: 0761/ 20 37 162
E-Mail: lienkamp(at)imtek.de