KDM4 als Angriffspunkt bei dreifach negativem Brustkrebs
Allgemein hat sich die Prognose für Brustkrebs in den letzten Jahren klar verbessert, aber es gibt noch Tumorformen, bei denen die Therapie erschwert ist. Beim dreifach negativen Brustkrebs profitieren die Patientinnen kaum vom Fortschritt in der Krebsmedizin. Gezielte Eingriffe in die epigenetische Regulation von Brusttumoren könnten dies nun ändern. Prof. Dr. Roland Schüle und Dr. Jochen Maurer sind dem epigenetischen Enzym KDM4 auf die Schliche gekommen und haben ein neues Zellmodell entwickelt, das die Wirkstoffentwicklung erheblich erleichtert.
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und genaugenommen eine Gruppe von Erkrankungen. Die gängigen Behandlungen wie Chemo-, Strahlen- und Antihormontherapie erzielen insgesamt gute bis sehr gute Erfolge. Sind die Lymphknoten nicht befallen, liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 95 Prozent. Durch die genetische Analyse von Krebs hat sich die Therapie stark gewandelt und es können nun auch jene Tumoren angegangen werden, deren Behandlung bisher fast hoffnungslos war. Bei etwa 20 Prozent der Brustkrebsfälle handelt es sich um das dreifach negative Mammakarzinom, einen sehr aggressiven Tumor, bei dem viele zugelassene Therapien versagen, da er resistent zu sein scheint. Zudem sind seine Rückfallwahrscheinlichkeit und das Risiko zur Metastasenbildung viel höher. Diese Art ist besonders tückisch, da nach herkömmlicher Chemo- und Strahlentherapie alle bis auf wenige Krebszellen im Körper verschwinden, wobei die wenigen ausreichen, um das Tumorwachstum aufrechtzuerhalten.
Viele Tumoren haben Hormonrezeptoren
Wie wirkt sich die Epigenetik darauf aus, dass Stammzellen differenzieren? Dies untersucht Prof. Dr. Roland Schüle an der Zentrale Klinische Forschung (ZKF) der Uniklinik Freiburg.
© Jürgen Gocke (privat)
Die Diagnose ergibt sich durch Bestimmung des Rezeptorstatus: Tumoren, die sich aus hormonempfindlichen Geweben entwickeln, können an ihren typischen Hormonrezeptoren erkannt werden. Wie Brustzellen haben auch Brustkrebszellen bei vier von fünf Patientinnen mit bösartigen Karzinomen Rezeptoren für Östrogen und Progesteron an der Zelloberfläche. Wichtig wird das, wenn die Hormone auch das Gewebewachstum steuern. Ein hormonsensitiver Tumor, der keine normale Wachstumskontrolle mehr hat, wächst unter hormonellem Einfluss immer weiter. Die Antihormontherapie kann hier Wachstumsreize ausschalten und Metastasen verringern.
Das Fatale am dreifach negativen Brustkrebs ist, dass er Zellen enthält, die weder Östrogen- oder Progesteronrezeptoren noch den HER2/neu-Rezeptor (Wachstumsfaktor der IGF-Familie) an ihrer Oberfläche exprimieren. Diese Zellen sind also mit zielgerichteter antihormoneller oder Antikörper-Therapie nicht erreichbar. Warum es diese Rezeptoren hier nicht gibt, kann unterschiedliche Gründe haben: genetische Deletion oder Mutation, epigenetische Inaktivierung oder sogar induzierte Therapieresistenz. "Eine gängige Theorie ist, dass dies ein Ausweichmechanismus des Tumors ist, um der Therapie zu entkommen“, sagt Prof. Dr. Roland Schüle, Wissenschaftlicher Direktor der Zentrale Klinische Forschung (ZKF) des Uniklinikums Freiburg.
Krebsstammzellen mit epigenetischen Auffälligkeiten
Laut Schüles Theorie ist die treibende Kraft in diesem besonders bösartigen Karzinom das Vorhandensein von Stammzellen im Tumorinneren. „Der Tumor ist sehr heterogen. Es gibt nicht die Tumorzelle, sondern ein ganzes Set verschiedener Tumorzellen innerhalb eines Tumors“, erläutert er. Aus epigenetischer Sicht trägt die Tumorstammzelle ein anderes Modifikationsmuster als andere Tumorzellen, Körperzellen oder Keimzellen.
Veränderungen auf epigenetischer Ebene wie DNA-Methylierung oder Histonmodifikation steuern die Aktivität der Gene und führen zu bestimmten Phänotypen. Inzwischen weiß man, dass die Größenordnung der epigenetischen Modifikationen im Lebensverlauf um ein Vielfaches höher ist als die der genetischen Mutationen. Epigenetik spielt offenbar auch bei der Krebsentstehung eine bedeutende Rolle. Es gibt fundierte Daten, dass bei bestimmten Tumortypen über 50 Prozent der vorhandenen Mutationen in epigenetischen Proteinen zu finden sind.
Das Enzym KDM4, das im dreifach negativen Brustkrebs für die Eigenschaften von Stammzellen im Tumor und somit für seine Therapieresistenz verantwortlich ist, konnten die Wissenschaftler um Schüle erfolgreich hemmen. (KDM4 entfernt Methylgruppen an bestimmten Lysinen in Histonen und reguliert so die Gene.) Die Tumorstammzellen besitzen, ähnlich wie Körperstammzellen, die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und beständig neue Krebszellen zu produzieren. Die ausdifferenzierten Tumorzellen, die Tumormasse, werden von der Standardtherapie eliminiert, sodass der Tumor schrumpft und man einen scheinbaren Erfolg verzeichnet. „Das Problem: Diese Stammzelle sitzt irgendwo im Tumor und ist nicht responsiv auf gängige Krebstherapeutika, da sie sich nur selten teilt und die drei Rezeptoren nicht ausbildet“, meint Schüle, „sie kann noch Tage oder Jahre ausharren und plötzlich wieder anfangen, sich zu teilen.“ Vermutlich hat die Tumorstammzelle von der Masse der anderen Zellen „gelernt“, dass ein chemischer Angriff stattgefunden hat und versucht, sich zu schützen. Hier kommt die Epigenetik ins Spiel.
Sphäroid-Zellmodell und Wirkstoffdesign
Dr. Jochen Maurer hat das neue Sphäroid-Zellmodell entwickelt. Es liefert neue Einsichten in die Eigenschaften der Krebsstammzellen.
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Die Demethylase KDM4 stellt eine vielversprechende Therapieoption dar. Dr. Jochen Maurer vom Zentrum für Translationale Zellforschung der Uniklinik Freiburg zeigte zusammen mit dem Schüle-Team in einem neu entwickelten Zellmodell, wie KDM4 in Zellen gehemmt wird und diese dann die gefährlichen Stammzelleigenschaften verlieren. Maurer leistete Pionierarbeit, denn es gelang ihm, Krebs-Stammzellen aus Tumoren von Patientinnen mit dreifach negativem Brustkrebs in vitro zu kultivieren und bis zu einem Jahr am Leben zu erhalten. Normalerweise bewirken die Bedingungen bei In-vitro-Experimenten, dass die Zellen ihre Stammzelleigenschaften verlieren und sofort differenzieren. Mit einem besonderen Mix, einer hypoxischen Atmosphäre von nur drei Prozent Sauerstoff und einem Rho-Kinase-Inhibitor schuf Maurer die spezielle Mikroumgebung, die die Stammzelle Stammzelle bleiben lässt.
So bildete er ein 3D-Modell, einen Sphäroiden, in dem sich Stammzellen und andifferenzierte Tumorzellen in verschiedenen Stadien befanden. Damit gab es ein Testmodell, das den gesamten Tumor außerhalb des Körpers nachbildete und in dem – ohne über Tiermodelle zu gehen – eine Reihe von Hemmstoffen für KDM4 untersucht werden konnte. Gleichzeitig realisierte das Schüle-Team gemeinsam mit der Firma Quanticel Pharmaceuticals (seit Oktober 2015 Celgene Quanticel Research, San Diego, CA, USA, Anm. d. Red.) ein ausgeklügeltes Wirkstoffdesign zur Identifikation der Enzymhemmer mit antiproliferierendem Effekt. „Angefangen haben wir mit einer halben Million unterschiedlicher Moleküle, die wir in biophysikalischen Ansätzen auf Bindungs- und Blockadefähigkeit getestet haben“, erklärt Schüle. In einem langwierigen Prozess optimierten sie dann eine Substanz (QC6532), die sich passgenau in die Tasche des aktiven Zentrums von KDM4 einfügt und es lahmlegt. Behandelt man nun einzelne Stammzellen mit QC6532, verlieren diese ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung und differenzieren zu Tumorzellen, die für Standardtherapien erreichbar sind.
Rückgang des Tumors in ersten Versuchen
Um herauszufinden, ob dies ein spezifischer oder nur ein toxischer Effekt ist, separierten die Forscher aus einem Sphäroid jede einzelne Zelle und behandelten sie eine Woche mit dem Hemmstoff. Sie schauten, ob diese Zellen anschließend noch in der Lage waren, neue Sphäroide zu bilden. Ohne Inhibitor entstanden etwa hundert, mit Inhibitor zwei neue Sphäroide. Aus den beiden neuen Sphäroiden wurden wieder Zellen vereinzelt, aber nicht noch einmal behandelt. Das Ergebnis: „Selbst in Abwesenheit des Hemmstoffs bilden sich keine neuen Sphäroide mehr“, betont Schüle, „demnach ist der Effekt einerseits spezifisch und andererseits reicht es, die Tumorzelle einmal in einem Zeitfenster zu behandeln, in dem sie für den Wirkstoff sensitiv ist.“
Epigenetische Veränderungen erfolgen in der Regel langsam, manifestieren sich aber in der zweiten Generation. Die Substanz mit wenig Toxizität und wenig Nebenwirkungen verhindert in vitro bei Brustkrebszellen, dass KDM4 Methylgruppen entfernt und je nach Zelltyp entsprechende Gene zur Proliferation oder zum Metabolismus aktiviert oder nicht aktiviert werden. Auch im Tiermodell zeigte sich ein Rückgang des Tumors. Es bleiben noch viele Experimente zu machen: „Wenn sich das in weiteren Modellen bestätigt, hätte man zumindest ein Konzept, wie man den Tumor auslöschen könnte“, hofft Schüle.