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Kein bloßer Zoo für Fischmutanten

Rund 9.000 Aquarien füllen das Fischhaus am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Und bei den Fischen darin ist fast immer etwas falsch gelaufen. Zebrafische mit Gendefekten sind hervorragende Modellorganismen für viele biologische Fragestellungen und stellen daher wertvolles experimentelles Material dar. Prof. Dr. Uwe Strähle und sein Team vom Institut für Toxikologie und Genetik des KIT erforschen seit Langem zum Beispiel die Entwicklung des Fisch-Nervensystems. Warum ist das unter Strähles Leitung gerade entstehende Europäische Zebrafisch-Ressourcenzentrum (EZRC) notwendig? Eines ist klar: Damit Forscher weltweit profitieren können, reicht ein mariner Zoo zum bloßen Anschauen nicht aus.

Der Zebrafisch ist einer der wichtigsten Modellorganismen in der Entwicklungsbiologie. © Prof. Dr. Uwe Strähle

Rund 28.000 Gene müssen manipuliert werden, einzeln oder in verschiedenen Kombinationen. Nur so können Biologen nach und nach die komplexe Dynamik verstehen lernen, mit der die molekularen Interaktionen während der Entwicklung des Zebrafischs ablaufen. Das schillernde Tierchen ist zu einem der wichtigsten Modellorganismen für die Molekular-, System- und Entwicklungsbiologie avanciert, denn seine Embryonen sind pflegeleicht, entwickeln sich schnell und bleiben lange durchsichtig und mikroskopierbar bis ins Innerste. Und auch die Stammzellforschung schätzt den Zebrafisch, nicht zuletzt wegen seiner enormen Regenerationsfähigkeit nach Verwundungen. „Manche der heute bereits existierenden Mutanten sind zufällig entstanden, andere sind erst durch genetisches Screenen gefunden worden“, sagt Prof. Dr. Uwe Strähle vom Institut für Toxikologie und Genetik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „Es wäre sehr schwer, sie neu herzustellen, wenn sie verloren gingen.“

Internet-Bestellshop und Screening-Center

Die Idee hinter dem Europäischen Zebrafisch-Ressourcenzentrum (EZRC) ist einfach: Warum sollte jede Forschungsgruppe auf der Welt das Rad immer wieder neu erfinden? Um gezielt ein bestimmtes Gen auszuschalten und eine sogenannte Knockout-Mutante herzustellen, muss ein Entwicklungsbiologe Millionen Embryonen durchtesten. Das kostet Jahre Zeit und Arbeitskraft. Außerdem muss ein Forscher über die nötigen Geräte verfügen, etwa über teure Fluoreszenzmikroskop-Roboter. Wesentlich einfacher ist es, in einer Datenbank nachzusehen, ob eine solche Mutante bereits existiert. Das EZRC, dessen Aufbau von der Klaus Tschira Stiftung und der Helmholtz-Gemeinschaft gefördert wird, verfügt über rund 9.000 Aquarien, in denen auch die exotischsten Mutanten schwimmen. „Wir wollen langfristig für jedes der rund 28.000 Gene eine Mutante zur Verfügung stellen, mindestens in Form von gefrorenem Sperma, das wir reaktivieren und zu Embryonen anzüchten können“, sagt Strähle. Und das ist kein Spaziergang. Strähles Team hat in den letzten zwei Jahren in mühsamer Arbeit Laborprotokolle entwickelt, mit denen sich mit Hilfe von tiefgekühlten Spermien Fische züchten lassen. Das kann nicht jedes Labor, es bedarf präziser experimenteller Bedingungen und das geschulte Händchen eines erfahrenen Labortechnikers.

In den rund 9.000 Aquarien des Europäischen Zebrafisch-Ressourcenzentrums (EZRC) in Karlsruhe schwimmen Zebrafische, bei denen immer etwas nicht stimmt: Eine riesige Biobank für Mutanten, die in der Biologie unentbehrlich sind. © Prof. Dr. Uwe Strähle

Neben dem Datenbank-Service, der im Prinzip wie ein Internet-Bestellshop funktioniert, können Forscher aus allen Teilen der Welt ab dem offiziellen Tag der Einweihung am 18. Juli dieses Jahres ein sogenanntes Screening-Center nutzen. Interessieren sie sich zum Beispiel für die Entwicklungen der Augen oder des Darms beim Zebrafisch, dürfen sie mit Hilfe der teuren Laboreinrichtung in Karlsruhe eine große Anzahl von Embryonen nach Missbildungen in diesen Organen durchforsten. Mikroskop-Roboter können für sie Tausende durchsichtige Embryonen screenen, sie können sogar selbstständig und automatisiert zeitliche Entwicklungen in den Geweben verfolgen und die relevanten Mutanten identifizieren.

Hochdurchsatz-Automaten für die Sequenzierung und Kartierung des Genoms oder des Transkriptoms und eine Datenbank für Tausende von Chemikalien, mit denen man potenziell in die molekularen Vorgänge in Zellen eingreifen kann - alles das soll Gastwissenschaftlern die Arbeit erleichtern. „Die Ausstattung unseres Ressourcencenters und der Screening-Service, den wir hier anbieten, ist weltweit einzigartig“, sagt Strähle.

Eine neue Ebene der globalen Forschung

Nicht einzigartig soll die Sammlung der mutierten Embryonen und Spermien sein – im Gegenteil. Jetzt, da die Umbauphase der Gebäude abgeschlossen ist, wird die Biobank in den nächsten Monaten weiter ausgebaut und dann „gespiegelt“. Das bedeutet, dass sämtliches Biomaterial verdoppelt und in das Zebrafisch-Ressourcenzentrum in Oregon/USA geschickt wird. Die amerikanischen Kollegen schicken umgekehrt ihr Material nach Karlsruhe und hinterlegen es dort ebenfalls als Backup. „Gerade die eingefrorenen Spermien wären zum Beispiel bei einem Stromausfall gefährdet“, sagt Strähle. „In Japan ist bei dem letzten großen Tsunami eine wertvolle Fischsammlung für immer verloren gegangen.“

Mit der Chemikaliensammlung und mit den dadurch möglichen toxikologischen oder pharmakologischen Experimenten hoffen Strähle und sein Team, langfristig auch etwas für die Klinische Forschung beizutragen. Denn sie selbst interessieren sich für die Biologie des Zebrafischs auch, weil sie grundsätzliche Mechanismen der Entwicklung und der Fehlentwicklung eines Organismus verstehen wollen, auch im Hinblick auf den Menschen. Wie kann man Fehlfunktionen im Nervensystem, etwa im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen, vermeiden oder sogar durch den Einsatz von Pharmazeutika rückgängig machen? Wie lassen sich Stammzellen dazu anregen, gezielt neues Gehirngewebe herzustellen? Und wie lassen sich neue Medikamente finden, die in die komplexen Signalnetzwerke in Zellen eingreifen? Das EZRC wird die Forschung auf dem Gebiet der Entwicklungsbiologie auf eine neue Ebene heben.

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