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KIT: Herzmuskelzellen aus der Petrischale

Aus Stammzellen wollen Regenerationsmediziner in Zukunft ganze Organe neu züchten. Aber die mikroskopischen Alleskönner sind nicht gerade selbstständig. Wie man sie in der Petrischale dazu kriegt, sich zum Beispiel in Herzmuskelzellen zu verwandeln, untersuchen Dr. Alexandra Rolletschek und ihr Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ihre Arbeiten zeigen, dass eine möglichst natürliche Umgebung für die Differenzierungsprozesse entscheidend ist. Wie bekommt man spontane Kontraktionen auf dem Glasplättchen? Forschung, die nicht nur dem Menschen helfen wird, sondern auch Tieren die Haut rettet.

Aus embryonalen Stammzellen abgeleitete Herzmuskelzellen nach immunzytochemischer Färbung. Rot: Sarkomerprotein Aktinin; grün: Connexin43 (Gap-junction-Protein, das Zell-Zell-Kontakte vermittelt); blau: Zellkerne. © Dr. Alexandra Rolletschek

Vielen Herzpatienten, die dringend eine Gewebetransplantation benötigen, wäre geholfen. Denn aus einer Stammzelle kann im Prinzip fast jeder spezialisierte Zelltyp entstehen. Aber die molekularen und zellulären Bedingungen, die das im natürlichen Gewebe eines Organismus ermöglichen, sind äußerst komplex; es ist sehr schwierig, diese Bedingungen außerhalb des Körpers nachzubilden.

Regenerationsmediziner und Zellbiologen, die versuchen, Nerven-, Leber- oder Herzgewebe aus den Alleskönnern zu züchten, stehen vor einer großen Hürde. Grundlagenforschung in diesem Problemfeld leisten die Forscher um Dr. Alexandra Rolletschek vom Institut für Biologische Grenzflächen I (IBG I) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

„Uns geht es in erster Linie darum, die molekularen und zellbiologischen Vorgänge während der Entwicklung von Herzmuskelvorläuferzellen zu reifen Herzmuskelzellen zu verstehen“, sagt Rolletschek. Ihre Arbeit zeigt vor allen Dingen eines: Es reicht nicht, Stammzellen in eine Petrischale zu packen und ihnen einen Cocktail aus Wachstumsfaktoren zu verabreichen, damit das entsprechende Entwicklungsprogramm angeschaltet wird.

Eine komplex organisierte Umgebung

In unserem Körper kleben die Zellen nicht einfach unorganisiert zusammen wie in einem Klumpen. Ein komplexes dreidimensionales Netzwerk aus Proteinen und Kohlenhydraten (die sogenannte extrazelluläre Matrix) bietet ein räumliches Gerüst, in das sich verschiedene Zelltypen in einer genau definierten Weise einpassen. Blutgefäße versorgen die Gemeinschaft aus Zellen mit Nährstoffen und transportieren Abfälle ab. „Unsere Arbeit hat gezeigt, dass auch in einem künstlichen System wie der Petrischale ähnlich geordnete Bedingungen herrschen müssen“, sagt Rolletschek.

Für ihre Züchtungsversuche benutzen Rolletschek und ihre zwei festen Mitarbeiter daher schon seit langem sogenannte Kokulturen. Sie pflanzen ihre Versuchsobjekte in Petrischalen, in denen bereits sogenannte Endothelzellen eine Art Gerüst bilden. Diese Zellen produzieren zum einen Wachstumsfaktoren, die Zellwachstum und Differenzierung fördern. Zum anderen bilden sie die extrazelluläre Matrix aus Proteinen und Kohlenhydraten, in die sich andere Zellen einlagern können.

Aus dem Mausherzen isolierte primäre Endothelzellen nach 16 Tagen In-vitro-Kultur und immunzytochemischer Färbung. Rot: Endothelzellmarker CD31; grün: Kollagen IV, ein Extrazellulärmatrixprotein, das die Endothelzellen produziert und abgegeben haben; blau: Zellkerne. © Dr. Andrea Rolletschek

„In unseren Versuchen an Mäusen benutzen wir Endothelzellen, die wir aus 17 Tage alten Mäuseembryonen isoliert haben“, sagt Rolletschek. „Das ist zwar eine sehr große handwerkliche Herausforderung, denn die Mausherzen sind etwa so groß wie der Kopf eines Streichholzes. Aber diese Endothelzellen bilden schon nach kurzer Zeit Blutgefäße aus, und es entsteht ein sogenanntes Endokard, eine Struktur, die der innersten Schicht des Herzens entspricht.“ Und hier herrschen optimale Bedingungen für Differenzierungsprozesse. Implantieren die Forscher in ein solches „Nest“ Vorläufer von Herzmuskelzellen, dann treten nach etwa drei Tagen spontane Kontraktionen auf. Die Zellen beginnen sich zusammen- und wieder auseinander zu ziehen wie echte Muskelzellen. Und das ganz ohne Zutun. „Die Kontraktionsfähigkeit in einer Kokultur mit Endothelzellen hält mindestens eine Woche länger an als bei Züchtungsverfahren ohne Endothelzellen“, sagt Rolletschek.

Einen Grund dafür haben die Karlsruher ebenfalls enthüllt. In einer Kokultur bilden die Endothelzellen ein Molekül mit dem Namen Endothelin 1. Dieses Molekül diffundiert in die sich entwickelnden Herzmuskelzellen und fördert dort die Bildung von Stickoxid, einem Gas, das die Erregbarkeit von Muskelzellen erhöht.

Perspektiven für Mensch und Tier

Die Erfolge von Regenerationsmedizinern, die schon heute implantierbares Gewebe aus Stammzellen züchten, belegen die Wichtigkeit von Endothelzellen. Die Techniken werden immer besser; wichtige Grundlagen für die Technologien stammen von Rolletschek und Co. Die Karlsruher Forscher indes experimentieren heute mit noch komplexeren Systemen. So untersuchen sie zum Beispiel, wie man den Züchtungserfolg steigern kann, indem man die Kokulturen in dreidimensionalen Matrizes aus Peptiden anlegt, in denen sich Blutgefäße noch besser ausbilden können.

In einem eher angewandten Projekt geht es hingegen um einen entscheidenden Vorteil von embryonalen Stammzellkulturen, der nicht nur dem Menschen irgendwann das Leben retten könnte. Zusammen mit Forschern vom Institut für Humangenetik der Universität Heidelberg versuchen Rolletschek und ihre Mitarbeiter Vorläufer von Herzmuskelzellen ausgehend von embryonalen Stammzellen zu züchten, die eine Mutation im Gen SHOX2 tragen. Mäuse, bei denen dieses Gen fehlt, sterben schon am 14. Tag nach der Befruchtung. Experimente an diesen Mäusen sind also unmöglich, dabei sind sie für die Forschung besonders interessant. Denn SHOX2-Knockout-Mausembryonen zeigen schwere Herzfehler und wären hervorragende Modellsysteme für das Studium der Entwicklung von Herzgewebe. „In In-vitro-Kokulturen kann man die Vorläufer von Herzzellen solcher SHOX2-Mäuse durchaus züchten und damit der Forschung zugänglich machen“, sagt Rolletschek. Und ganz nebenbei hätte man damit ein experimentelles System, das ganz auf die Tötung von Versuchstieren verzichtet. Forschung mit Herz also.

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