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Klaus Pfizenmaier: Brückenschlag von der Immunologie zur Biomedizin

Prof. Dr. Klaus Pfizenmaier erforscht seit rund 25 Jahren schwerpunktmäßig Zytokine, speziell den Tumornekrosefaktor TNF. Er hat mit seinem Team zahlreiche Facetten dieses zentralen und vielseitigen Signalmoleküls aufgedeckt. Das führte am Institut für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart zu wegweisenden Therapiekonzepten und Wirkstoffkandidaten für die Behandlung von Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen. Daneben engagiert sich der Forscher in der Systembiologie der Universität Stuttgart.

Zytokine sind das Spezialgebiet von Prof. Dr. Klaus Pfizenmaier. © Institut für Zellbiologie und Immunologie, Universität Stuttgart

In seinem Biologie-Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt hatte sich Pfizenmaier zunächst die Mikrobiologie als Hauptfach gewählt. 1974 ging er als externer Doktorand ans Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Mainz und erforschte die antivirale, zellvermittelte Immunität. Hier entdeckte der junge Forscher in der zellulären Immunologie ein faszinierendes Gebiet, dem er von da an treu bleiben sollte und das er an vorderster Forschungsfront begleitete. Als Postdoc ging Pfizenmaier für ein Jahr an das Wistar-Institute nach Philadelphia in den USA – ein erfolgreiches Jahr, das zu drei hochrangigen Publikationen führte. Dann zog es ihn nach Deutschland zurück. „Zum einen hatte ich eine Vereinbarung mit dem Institutsleiter in Mainz, meine Arbeiten dort fortzusetzen, und zum anderen passte das zu unserer Familienplanung“, so Pfizenmaier. Bis 1983 blieb er in Mainz, wo er ab 1980 eine eigene Arbeitsgruppe leitete und 1982 in Immunologie habilitierte.

Mittlerweile zum "Principal Investigator" aufgestiegen, suchte Pfizenmaier nach neuen Perspektiven und fand sie an der Universitätsklinik Göttingen, wo er eine klinische Arbeitsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft leitete. Das war seine erste formal unabhängige Position, die der eines Professors äquivalent war. „Solche Gruppen waren in den 80er-Jahren eine Initiative der Max-Planck-Gesellschaft, um die klinische Forschung in Deutschland voranzubringen. Die Mittel für meine Gruppe kamen in den ersten fünf Jahren von der VW-Stiftung, die Max-Planck-Gesellschaft hat uns administrativ unterstützt, und die Klinik hat uns die Räumlichkeiten und vor allem den wissenschaftlichen Hintergrund gegeben“, erklärt Pfizenmaier.

Forschungsschwerpunkt Zytokine

War er bis dato vor allem als „Mausforscher“ mit immunologischen Fragen befasst, kam er in Göttingen nun zur humanen Biologie und der Krebsforschung. Weitgehend frei von universitären Aufgaben konnte sich Pfizenmaier wissenschaftlich frei entfalten und konzentrierte sich zunächst auf die grundlagenorientierte Erforschung der immunstimulierenden und antitumoralen Wirkung der Interferone. Im Detail ging es um die Wirkmechanismen von Gamma-Interferon und die Charakterisierung der entsprechenden Membranrezeptoren auf Tumorzellen als Grundlage für dessen antitumorale Wirkung. Ähnlich schnell wie die Interferone damals in die klinische Erprobung gingen, lief es auch mit dem Tumornekrosefakor TNF, dessen Gen erst 1985 sequenziert worden war. Göttingen war früh an seiner klinischen Erforschung beteiligt.

„Meine Max-Planck-Arbeitsgruppe war mit der onkologischen Abteilung der Göttinger Universitätsklinik assoziiert, die als international renommierte Prüfklinik schnell Zugang zu neuen Medikamenten hatte, und an der damals klinische Studien auch mit den ‚Biologicals’, rekombinant hergestellten Interferonen und eben auch TNF, durchgeführt wurden. Unsere Grundlagenforschung konnte damit von Beginn an patientennah und studienbegleitend durchgeführt werden“, so Pfizenmaier. International hat sich mit TNF als Leitsubstanz und der Entdeckung einer großen strukturverwandten Genfamilie TNF-ähnlicher Liganden rasch ein bedeutendes Forschungsgebiet der immunmodulatorischen Zytokine neu begründet. TNF selbst konnte zwar die frühen Erwartungen als Allheilmittel gegen Krebs nicht erfüllen. Aber nach und nach erkannten die Forscher das breite Wirkspektrum dieses Zytokins einschließlich seiner wichtigen Rolle als zentraler Botenstoff verschiedener Erkrankungen. Diesen spannenden Bereich machte Pfizenmaier zu einem seiner Schwerpunkte, als er 1990 als Professor und Institutsleiter zur Universität Stuttgart ging.

Institut für Zellbiologie und Immunologie aus der Taufe gehoben und zu Erfolgen geführt

ATROSAB ist ein antagonistischer TNFR1-spezifischer humanisierter Antikörper. Er blockiert die TNF-Bindung an TNFR1 und damit die Entstehung von signalfähigen Rezeptor-Ligand-Komplexen in der Plasmamembran. © Institut für Zellbiologie und Immunologie, Universität Stuttgart
Hier baute er nicht nur das komplett neue Institut für Zellbiologie und Immunologie auf, sondern richtete parallel auch eine Arbeitsgruppe am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB ein. „In den ersten zwei Jahren meiner Stuttgarter Zeit habe ich am IGB ein zellbiologisches Labor mit dem Schwerpunkt Hybridoma-Technik für die Herstellung humaner monoklonaler Antikörper etabliert“, so Pfizenmaier. Mit dem Wachstum seiner universitären Themen und der Umsiedlung des Instituts in das Zentrum für Bioverfahrenstechnik konzentrierte er sich dann ausschließlich auf die universitären Aufgaben. Heute hat das Institut mehr als 60 Mitarbeiter und umfasst vier Abteilungen und Professuren. Pfizenmaier betont, dass die Arbeiten nicht zwangsläufig dieser Struktur folgen: „Es gibt eigentlich keine festen Abteilungsstrukturen in der Alltagsarbeit, sondern thematisch orientierte Gruppen. “Das heißt, an einem Projekt können Forscher aus mehreren Abteilungen beteiligt sein und die Projektleitung geht je nach Kompetenz an unterschiedliche Personen. Auch die Chemie zwischen den Professoren und Mitarbeitern stimmt laut Pfizenmaier: „Wir sind menschlich so gut aufeinander abgestimmt, dass sehr effektiv zusammengearbeitet wird. Das ist auch für mich persönlich sehr befriedigend.“ Die zweite Professur wurde kurz nach der Institutsgründung eingerichtet und war Bestandteil von Pfizenmaiers Berufungsverhandlung. Berufen wurde Prof. Dr. Peter Scheurich, der seit den Mainzer Tagen bereits erfolgreich mit Pfizenmaier zusammenarbeitete und laut Pfizenmaier die „erhebliche Evolution“ des Forschungsgebietes Zytokine mitgestaltete. Eine dritte Professur wurde 2004 bei der Deutschen Krebshilfe eingeworben und noch im gleichen Jahr mit Prof. Dr. Roland Kontermann besetzt. Diese Mildred-Scheel-Stiftungs-Professur wird nach zehnjähriger Förderung Anfang 2015 in den Universitätshaushalt überführt werden. Kontermann befasst sich mit Biomedical Engineering und setzt Grundlagenerkenntnisse in therapeutische Produkte wie rekombinante Antikörper, Fusionsproteine und nanopartikuläre Systeme um. Auf die jüngste Professur in Pfizenmaiers Institut wurde 2011 Prof. Dr. Monilola Olayioye berufen, die sich mit molekularer Tumorzellbiologie befasst. „Sie hat bei uns vorher eine SFB-Nachwuchsgruppe geleitet, und das mit so großem Erfolg, dass sie eine Heisenberg-Professur der DFG erhielt“, freut sich Pfizenmaier mit ihr.

TNF und seine Rezeptoren als Impulsgeber für therapeutische Eingriffe

Nach den für ihn persönlich wichtigsten Erfolgen befragt, nennt Pfizenmaier ganz klar die TNF-Ergebnisse und als Beispiel einen der Schlüsselbefunde aus seinem Labor: Es gibt zwei Formen des TNF, eine membranständige und eine davon durch proteolytische Abspaltung entstehende lösliche Form. Die Stuttgarter Forscher konnten nachweisen, dass diese unterschiedlich aktiv sind. „Die unterschiedlichen Formen sprechen verschiedene Rezeptoren, TNFR1 und 2 an, die ihrerseits unterschiedliche Signale vermitteln und damit verschiedene zelluläre Reaktionen zur Folge haben. Es gibt immer noch offene Fragen zu molekularen Mechanismen sowie zur physiologischen beziehungsweise pathophysiologischen Bedeutung der beiden TNFR, denen wir nachgehen. Außerdem suchen wir nach Möglichkeiten, die Erkenntnisse therapeutisch zu nutzen“, sagt Pfizenmaier.

Für die Krebsbehandlung setzt er auf Fusionsproteine. Eine verkürzte lösliche Variante des TNF-Liganden TRAIL (TNF-related apoptosis-inducing ligand) wird gentechnisch mit Antikörper-Fragmenten fusioniert, die zum Beispiel selektiv an Oberflächenproteine von Tumorzellen binden. Die Bindung fokussiert und verstärkt die Wirkung des TRAIL, der in der Folge die Apoptose, also den programmierten Zelltod der Tumorzelle auslöst. Dass das prinzipiell funktioniert, konnten die Forscher bereits im Tiermodell zeigen; im Detail gibt es noch viel Forschungsbedarf. Hoch interessant ist zum Beispiel die Entwicklung von Molekülen, bei denen solche Fusionsproteine über bestimmte Peptid-Linker gezielte Di- oder Trimere ausbilden. Dadurch kann die spezifische Aktivität des Fusionsproteins stark verbessert werden. Neben Tumorzellmarkern adressieren die Forscher des Instituts auch Oberflächenproteine des Tumorstromas und von Tumorblutgefäßen, die den Tumor mit Nährstoffen versorgen: „Wenn es hier gelingt, durch gezielte Apoptose die Versorgung zu unterbrechen und die Tumorzellen praktisch auszuhungern, könnte das ein weiterer Weg zu einer Krebstherapie sein.“

Da bestimmte TNF-Liganden nicht nur Apoptose auslösen können, sondern auch immunstimulierend wirken, entwickeln Arbeitsgruppen des Instituts auch Immuntherapien, bei denen bi-funktionelle Fusionsproteine spezifische Oberflächenmarker auf Zellen des Immunsystems und der Tumorzelle erkennen. „Das zielt darauf ab, zum Beispiel nach einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie das körpereigene Immunsystem so zu aktivieren, dass verbleibende Tumorzellen erkannt und effektiv eliminiert werden können“, so Pfizenmaier.

Ein Schlüsselbefund der Stuttgarter Forschung ist, dass lösliche und membrangebundene TNF-Liganden unterschiedlich aktiv sind. © Institut für Zellbiologie und Immunologie, Universität Stuttgart

Zellbiologie weiterdenken: in Richtung Medizin und Biotechnologie

Wie es das breite Vorkommen und die Vielseitigkeit des TNF bereits nahelegen, sind auch bei anderen Erkrankungen entsprechende Therapiekonzepte denkbar. Ein weiterer Schwerpunkt für Pfizenmaier und sein Team sind chronisch entzündliche Erkrankungen wie Rheuma und Psoriasis, aber auch neurodegenerative Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson und Alzheimer. Für ihre Behandlung hat das Stuttgarter Team bereits einen Wirkstoff-Kandidaten namens Atrosab entwickelt. Dahinter verbirgt sich ein Antikörper, der selektiv nur an den TNF-Rezeptor vom Typ I bindet und dadurch die Sicherheit und Effizienz einer Anti-TNF-Therapie erhöhen soll. „Mit Atrosab haben wir über unseren Partner quasi einen Fuß in der Klinik, die Phase-I-Studien starten im Juli 2012“, sagt Pfizenmaier.

Bei diesen wie bei allen anderen Projekten hat der Institutschef auch immer den Anwendungs-Aspekt im Blick. „Zu Anfang erforschen wir das Wirkprinzip, dann kommen jedoch sofort auch Fragen zur Stabilität des Wirkstoffs und zum Produktionsprozess auf, denen wir zuerst in unseren eigenen Laboren nachgehen“, sagt Pfizenmaier. Trotzdem sind für ihn Kooperationen unverzichtbar und wesentlicher Bestandteil der Erfolge. „Wir arbeiten interdisziplinär mit anderen Gruppen zusammen und sind auch mit der pharmazeutischen Industrie gut vernetzt.

Interdisziplinarität ist auch oberstes Gebot für das neue Forschungsgebiet der Systembiologie, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Rechnergestützte Datenanalyse und mathematische Modellierung sollen Hand in Hand mit der experimentellen Forschung helfen, komplexe biologische Prozesse zu verstehen. Im Zentrum für Systembiologie (CSB) der Universität Stuttgart ist Pfizenmaier einer von acht Direktoren, die diesen Forschungszweig vorantreiben. In engem Schulterschluss mit Ingenieurwissenschaftlern entstehen hier dynamische mathematische Modelle. „Die Komplexität biologischer Systeme ist nicht mehr intuitiv ganzheitlich zu erfassen. Ziel der interdisziplinären Projekte des CSB ist es, durch Entwicklung prädiktiver mathematischer Modelle nicht nur die experimentelle Forschung bei der Aufklärung von Mechanismen zu unterstützen, sondern auch in der klinischen Forschung die Wirksamkeitsprüfungen neuer Therapeutika zu beschleunigen. Systembiologische Zugänge werden in der biomedizinischen Forschung in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein“, so das Statement Pfizenmaiers.

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