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Körpereigene Oxidantien: Biosensor analysiert Stoffwechselbedingungen

Der Oxidationszustand der Zellen im Körper ist für uns von großer Bedeutung: Ist nämlich das normale Gleichgewicht der Verteilung körpereigener Oxidantien gestört oder greifen diese sogar zelluläre Strukturen an, kann die Zelle ihre Funktion nicht oder nur unvollständig ausüben und Krankheiten entstehen. Den Oxidationszustand zu kennen und eines Tages vielleicht auch einmal pharmakologisch beeinflussen zu können, ist deshalb also vor allem bei krankheitsrelevanten Veränderungen außerordentlich wichtig. Bislang gab es aber keine geeignete Methode, um die oxidativen Vorgänge im gesamten Organismus erforschen zu können. Nun hat PD Dr. Tobias Dick mit seinem Forscherteam im DKFZ in Heidelberg einen Biosensor entwickelt, mit dem kleinste oxidative Schwankungen im Stoffwechsel in Echtzeit erfasst werden können und so ganz neue Einblicke in den Körper ermöglicht werden.

Der Oxidationszustand der Moleküle in unserem Körper ist von vielen Faktoren abhängig. Beispielsweise beeinflussen Ernährung, körperliche Aktivität oder Erkrankungen, aber möglicherweise auch das Altern die Verteilung körpereigener Oxidantien in den Zellen und Geweben. Dabei wurde lange Zeit die Meinung vertreten, dass Oxidantien – oft fälschlicherweise pauschal als „freie Radikale“ bezeichnet – generell ungesund seien, weil sie Zellschäden verursachen und damit den Alterungsprozess beschleunigen; Antioxidantien dagegen galten als gesundheitsfördernd, weil sie als Radikalfänger Zellen vor oxidativem Stress schützen. Doch schon vor einiger Zeit stellten Wissenschaftler fest, dass das so nicht stimmt: Körpereigene Oxidantien wirken als essenzielle Botenstoffe und sind deshalb für eine intakte Funktion des Organismus unerlässlich. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Wasserstoffperoxid-Molekül.

Körpereigene Oxidantien entstehen im Laufe normaler Stoffwechselprozesse wie der Zellatmung durch Reduktion von molekularem Sauerstoff, werden aber unter physiologischen Bedingungen gezielt produziert, verteilt und durch zelleigene Enzymsysteme in ihrer Menge kontrolliert. Eine kontrollierte räumliche und zeitliche Verteilung in der jeweiligen Zelle ist von großer Bedeutung. Denn sonst entstehen tatsächlich reaktive Radikale, die nicht mehr rechtzeitig zu unschädlichem Sauerstoff und Wasser entgiftet werden können und Zellstrukturen angreifen.

Oxidantien – wichtige Botenstoffe des Körpers

Die Arbeitsgruppe von PD Dr. Tobias Dick (3. v. links) erforscht im Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg die Funktion und Verteilung körpereigener Oxidantien im Organismus. © DKFZ

Dick beschäftigt sich gemeinsam mit seinem Wissenschaftlerteam im DKFZ schon seit einiger Zeit mit körpereigenen Oxidantien. „Der Fokus unserer Arbeitsgruppe liegt auf der Analyse von Wasserstoffperoxid, das in Zellen gezielt und kontrolliert als Signal produziert wird“, berichtet Dick. „Früher dachte man, das sei ein reines Abfallprodukt des Stoffwechsels. Und bis heute ist das noch in weiten Teilen der Öffentlichkeit so verankert, dass Oxidantien schädlich sind und oxidativen Stress verursachen. Dabei übernehmen die Substanzen wichtige Signalfunktionen im Körper. Sie sind für die normalen Abläufe in der Zelle unerlässlich. Egal, ob bei Reaktionen auf Hormone oder Immunreaktionen – Wasserstoffperoxid ist immer im Spiel und maßgeblich an der Enzymregulation beteiligt. Dies ist ein evolutionär sehr alter und elementarer Mechanismus, der bei allen Lebewesen in unterschiedlicher Ausprägung zu finden ist.“

Eine besondere Rolle spielen die Oxidantien bei der Anpassung der Zellen an Belastungssituationen. Beispielsweise setzt eine körperliche Beanspruchung Mechanismen frei, die die Zellen schützen und an die neue Situation anpassen sollen: „Hier steht Wasserstoffperoxid im Verdacht, der Vermittler zu sein“, so der Zellbiologe. „Wenn die Mitochondrien überbeansprucht werden, setzen sie gezielt Wasserstoffperoxid frei. Und das dient dem Rest der Zelle als Signal, dass jetzt eine Anpassung stattfinden muss, zum Beispiel mehr Mitochondrien gebildet werden müssen. Dabei reagieren eine Reihe von Transkriptionsfaktoren und Enzyme auf die Moleküle, die dann ihrerseits das Signal in den Zellkern weiterleiten: Hier muss eine Anpassung an neue Bedingungen stattfinden.“

Leuchtender Biosensor ermöglicht Einblicke in den Organismus

Oxidantienbildung im Gewebe, visualisiert mit Biosensoren auf einem Gewebeschnitt. © DKFZ

Wann und wo die Signalübermittlung durch Oxidantien im Kontext des gesamten Organismus abläuft, ist bislang noch sehr wenig verstanden. Um organismische Vorgänge erforschen zu können, entwickelten die Heidelberger Forscher zuletzt ein Verfahren, mit dem sie Veränderungen des Wasserstoffperoxids in Gewebeschnitten visualisieren können. Dabei können die Biologen mit Hilfe eines genetisch kodierten Biosensors die Anwesenheit und Verteilung der Oxidantien in den Schnitten einfach mikroskopisch ablesen. Bei dem Biosensor handelt es sich um ein Protein, das nach entsprechender Anregung Fluoreszenzsignale entwickelt. Die Erbinformation für den Sensor wird ins Genom der zu untersuchenden Mäuse integriert, die das Protein dann in allen ihren Zellen exprimieren. Bei dieser Methode wird das entnommene Gewebe nach der Entnahme blitzschnell in flüssigem Stickstoff kryokonserviert, um den in vivo Redoxzustand des Biosensors zu erhalten. Die Wissenschaftler stellten jedoch fest, dass dieser natürliche Zustand sich änderte, sobald die Proben wieder aufgetaut werden. Deshalb entwickelten sie ein chemisches Konservierungsverfahren, bei dem alkylierende Agenzien beim Schneiden über das Gewebe geflutet werden, sodass der Biosensor sehr schnell und effektiv in seinem ursprünglichen Zustand blockiert wird. „Egal, was man danach mit dem Gewebeschnitt macht: Der ursprüngliche Redoxzustand des Biosensors bleibt erhalten“, erklärt der Biologe.

Oxidantien im ganzen Körper analysieren

Mithilfe des Biosensors haben die DKFZ-Forscher schon Oxidantien in den verschiedensten Gewebearten untersucht, zum Beispiel in einem wachsenden Tumor oder einem Muskel unter Hungerbedingungen. „Hier hatte man schon Wasserstoffperoxid-Signale vermutet“, sagt der Wissenschaftler. „Und mit dem Biosensor haben wir sie tatsächlich sehen können.“ Diese positiven Ergebnisse sieht der Biologe als einen ersten Schritt, um den Einfluss von Krankheiten und Wirkstoffen auf die Verteilung der Oxidantien im ganzen Körper analysieren zu können. Und um fehlgeleitete Oxidationsbedingungen eines Tages einmal pharmakologisch beeinflussen zu können. „Pro- oder antioxidative Agenzien stehen uns schon lange zur Verfügung“, so Dick. „Aber diese im lebenden Organismus zu untersuchen – etwa zu klären, wo sie hingelangen und wie sie wirken – war bisher immer ein Problem. Mit dem Biosensor erhalten wir jetzt Einblicke in diese Vorgänge.“

Bislang werden die Untersuchungen vornehmlich an Gewebeschnitten durchgeführt. In einer Kollaboration mit der Universität München wurde zwar das sogenannte „In-vivo-Imaging“ am lebenden Organismus bereits praktiziert. Hier blickten die Forscher zur Erforschung der Zustände bei Multipler Sklerose in Echtzeit ins Rückenmark. Diese Art der Anwendung ist aber gegenwärtig noch sehr limitiert, weil in tiefer liegendem Gewebe die Lichtsignale des Biosensors kaum mehr wahrnehmbar sind. „Aber diese Techniken entwickeln sich gegenwärtig auch weiter und werden uns in Zukunft sicher auch noch mehr Untersuchungsmöglichkeiten am lebenden Organismus bieten“, meint Dick. Organe, die entnommen und in Kultur weitergezüchtet werden, können hingegen verfälschte Ergebnisse liefern, sobald sie aus dem natürlichen Kontext isoliert werden. „Deshalb ist das Verfahren zur Konservierung der Biosensor-Redoxzustände im Gewebeschnitt für uns so wichtig“, sagt Dick. „Hier können wir den Zustand des Biosensors dauerhaft genau im Zustand der Entnahme konservieren. Aber der Nachteil dabei ist natürlich, dass das nur einen Schnappschuss zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt darstellt.“

Peroxiredoxine: Empfindlichste, körpereigene Biosensoren

In einer zweiten Studie verfolgten die Heidelberger Wissenschaftler dann das Ziel, den Biosensor noch empfindlicher zu machen. „Hierfür haben wir kein gänzlich neues Prinzip entwickelt, sondern wir hatten die Idee, ein körpereigenes Detektionssystem – die Peroxiredoxine – zu nutzen“, so Dick. Bei den Peroxiredoxinen handelt es sich um Proteine mit der höchsten bekannten Empfindlichkeit gegenüber Wasserstoffperoxid. Die neuen Biosensoren koppeln die Reaktion eines Peroxiredoxins an ein Fluoreszenzsignal und sind so empfindlich, dass sie auch kleinste stoffwechselbedingte Schwankungen in der Oxidantienproduktion sichtbar machen können. Zunächst wurden die neuen Sensoren in Hefezellen getestet, wo die Forscher sogar die Bewegung von Oxidantien zwischen einzelnen subzellulären Strukturen mitverfolgen konnten(Morgan et al.). In einem nächsten Schritt sollen die Peroxiredoxin-basierten Sensoren nun auch im Mausmodell erprobt werden. Das längerfristige Ziel der Forscher aber ist es, mit Hilfe der Biosensoren nach neuen Wirkstoffen zu suchen, die die oxidativen Signale verstärken oder unterdrücken, das heißt, die den Oxidationszustand der Zelle gezielt verändern. „Das müssen wir aber natürlich erst im Tiermodell etablieren, bevor wir dies in der Humanmedizin anwenden können“, sagt der Zellbiologe.

Literatur

Fujikawa Y, Roma LP, Sobotta MC, Rose AJ, Diaz MB, Locatelli G, Breckwoldt MO, Misgeld T, Kerschensteiner M, Herzig S, Muller-Decker K and Dick TP (2016) Mouse redox histology using genetically encoded probes. Science Signaling 2016, DOI: 10.1126/scisignal.aad3895

Morgan B, Van Laer K, Owusu T, Ezerina D, Pastor-Flores D, Amphonsah P, Tursch A and Dick TP (2016) Real-time monitoring of basal H2O2 levels with peroxiredoxin-based probes. Nature Chemical Biology 2016, DOI: 10.1038/NCHEMBIO.2067

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