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Kooperationen im BioValley

Die Verbindung von Theorie und Praxis ist ein oft erklärtes Ziel, das aber gar nicht so häufig erreicht wird. Umso mehr darf die deutsche BioValley Plattform stolz sein auf eine Vielzahl erfolgreicher Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die das Netzwerk vorweisen kann. Beim jüngsten „Science meets Business Day“ präsentierten vier erfolgreiche Tandems ihre Projekte, die hier in zwei Folgen vorgestellt werden sollen. Im Mittelpunkt des ersten Teils stehen Naturstoffe - und zwar nicht irgendwelche, sondern Substanzen mit pharmazeutischem Potenzial.

Weiße Biotechnologie: Innovative Wege zu pharmazeutischen Wirkstoffen
Prof. Dr. Michael Müller, Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, Universität Freiburg
Dr. Pascal Dünkelmann, Codexis, Jülich
Die Natur dient als Vorbild, wenn sich Prof. Michael Müller und Dr. Pascal Dünkelmann an die Arbeit machen. Codexis, wie auch die Forschungsgruppe des Freiburger Wissenschaftlers, suchen nach „intelligenten“ Verfahren zur Gewinnung und Produktion pharmazeutischer Stoffe. Der Herstellungsprozess soll umwelt- sowie ressourcenschonend und möglichst preiswert sein. Wer könnte da ein besserer Ideengeber sein als die Natur.

Die Kooperation zwischen dem Jülicher Unternehmen, das 2002 vom kalifornischen Codexis-Konzern übernommen wurde, und den Pharmazeutischen Chemikern im Breisgau, ist eng und vertrauensvoll. Man tauscht in beide Richtungen Ideen und Enzyme. Enzyme sind Eiweiße, die chemische Reaktionen häufig erst ermöglichen. Sie begünstigen die Entstehung des gewünschten Stoffes, weshalb Fachleute sie auch gerne als Katalysatoren bezeichnen. Codexis schickt beispielsweise Enzyme nach Freiburg, die in den Müller’schen Labors genau untersucht werden: Wie aktiv sind die Eiweiße? Welche Stoffe können sie unter verschiedenen Bedingungen umsetzen? Und welche Produkte entstehen dabei? Aus den Ergebnissen entstehen dann oftmals neue Kooperationen.

Ein höchst anschauliches Beispiel, welch wirtschaftliches Potenzial in dieser badisch-rheinländischen Zusammenarbeit steckt, präsentierten die Partner den interessierten Besuchern des „Science meets Business Day“: Der Cholesterinsenker „Atvorvastin“ war in den vergangenen Jahren eines der erfolgreichsten Arzneimittel auf dem Markt. Allein im Jahr 2006 wurde mit diesem Medikament einen Umsatz von mehr als 12 Milliarden US-Dollar gemacht.
Diversitätsorientierte Synthese nach dem Vorbild der Natur von Bausteinen für Pharmazeutische Produkte (Abbildung: Prof. Dr. Michael Müller)
Sowohl Codexis, wie auch Müllers Arbeitsgruppe, arbeiten an der Optimierung von Verfahren, mit denen eine Seitenkette des Fettsenkers synthetisiert werden kann. Wirtschaftlich ist das höchst interessant, denn für die pharmazeutische Produktion wird diese Seitenkette im Tonnenmaßstab benötigt. Müller wusste zu nutzen, dass auch das in der Krebstherapie eingesetzte Callystatin, ein Naturprodukt, das von Meeresschwämmen gebildet wird, dieses Strukturmerkmal trägt. Inspiriert von dem natürlichen Prozess ist es Müller gelungen, einen neuen Syntheseweg für den begehrten Baustein zu entwickeln. Wie zuvor schon bei anderen Arbeiten, konnte der Freiburger Wissenschaftler zeigen, dass die Natur keine linearen Herstellungswege verfolgt. Mit Hilfe enzymatischer Verfahren lassen sich die begehrte Seitenkette sowie gleich noch drei weitere interessante, bioaktive Produkte herstellen.
Naturstoffe und kommunizierende Zellen: Neue Wege zu neuen Antibiotika
Prof. Dr. Andreas Bechthold, Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie, Universität Freiburg
Prof. Dr. Dirk Bumann, Infektionsbiologie, Fachgebiet: Mikrobielle Pathogene, Universität Basel, Biozentrum
Die Suche nach neuen Antibiotika steht im Zentrum der Arbeiten von Prof. Andreas Bechthold und Prof. Dirk Bumann. Nach einem halben Jahrhundert, in dem man die Infektionskrankheiten schon fast besiegt glaubte, nimmt ihre Bedeutung inzwischen wieder sehr zu. Krankheiten wie die Tuberkulose kehren wieder und immer öfter reagieren Krankheitskeime unempfindlich gegen Antibiotika. Der Schrecken jeder Klinik sind resistente Staphylococcus-Stämme, die berüchtigten MRSA. Auf der anderen Seite schleppt sich die Entwicklung neuer Antibiotika dahin. Seit 2002 wurden erst zwei neue Wirkstoffe zugelassen.

Der Grund, weshalb die Wissenschaftler nur schwer neue Antibiotika finden, ist simpel: Es gibt in allen Bakterien gerade mal eine Handvoll unverzichtbarer Stoffwechselwege, die uneingeschränkt funktionieren müssen, damit das Überleben der Krankheitserreger gesichert ist. Das heißt im Umkehrschluss, es gibt nur ganz wenige Punkte im Lebenszyklus von E. coli und Co., an denen Antibiotika angreifen können. Dirk Buman sprach im Freiburger Konzerthaus denn auch von „unglaublich robusten biologischen Netzwerken.“ So hatten sich die Wissenschaftler im Stoffwechsel von Salmonellen 2.200 Enzyme genauestens angeschaut und keine einzige neue Angriffsstelle für ein Medikament gefunden. Also bleibt ihnen nur eines: Altbekannte Wege müssen neu betrachtet werden. Buman beispielsweise forscht mit innovativen Methoden nach Elementen im Erbgut verschiedener Bakterien, die den Aufbau der Zellwand regulieren und an denen vielleicht doch neue Medikamente angreifen können.
Streptomyceten (Foto: Prof. Dr. Andreas Bechthold)
Auch Bechthold kennt manchen verheißungsvollen Kandidaten schon länger. Denn eine weitere Strategie heißt: Alte Antibiotika gilt es neu zu entdecken. Die von dem Pharmazeuten mit anderen zusammen gegründete Berliner Firma Combinature Biopharm hat gerade gezeigt, wie das funktionieren kann. In ersten Studien hatte eine antibiotische Substanz, die den Aufbau der Bakterienzellwand verhindert, lebensbedrohliche Nebenwirkungen hervorrufen. Das Forschungsprojekt wurde daraufhin abgebrochen. Doch in den Labors von Combinature Biopharm bekam der Stoff eine zweite Chance. Das Lipopeptidantibiotikum wurde so lange modifiziert, bis der gesundheitsschädliche Effekt ausgemerzt war. Seit vergangenem Juli wird es in der Schweiz klinisch getestet.

Die Forscher gehen aber noch andere Wege, um zu neuen Antibiotika zu gelangen. Sie fahnden in ökologischen Nischen, wie etwa im Meeresboden der Tiefsee, nach neuen Bakterien, die vielleicht unbekannte Antibiotika bilden könnten. Und sie glauben an den Erfolg der bakteriellen Genomforschung. Dafür werden Gensequenzen möglicher natürlicher Antibiotikaproduzenten ganz genau angeschaut. Diese Informationen helfen den Wissenschaftlern bei der Kopie von Naturstoffen und beim Bau neuer Grundgerüste mit antibiotischer Aktivität. Sie schaffen neue Produktionswege für bioaktive Substanzen und mit Hilfe versierter biotechnologischer Kniffe bilden Bakterien dann gleich mehrere Dutzend völlig neuer Naturstoffe. Aus der Kombination von Buman und Bechtholds Arbeitsgebieten - dem Screening neuer Elemente, an denen Antibiotika angreifen können, und der Etablierung neuer Verfahren zur Generierung neuer Naturstoffe - soll im Lauf des Jahres 2008 die „Freiburger Antibiotika Fabrik“ entstehen.

kb – 04.02.08
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