Krebs durch Rindfleisch und Kuhmilch?
Die Häufigkeit von Brust- und Darmkrebs beim Menschen könnte durch Viren erklärt werden, die mit dem Verzehr von Fleisch und Milchprodukten aufgenommen werden. Das ist die provozierende These des Nobelpreisträgers Harald zur Hausen. Inzwischen haben er und seine Mitarbeiter über epidemiologische Hinweise hinaus auch gewichtige experimentelle Befunde vorgelegt, die diese These erhärten.
Für seine Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Papillomviren ausgelöst wird, war Harald zur Hausen, dem ehemaligen, langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, der Medizin-Nobelpreis verliehen worden. Schon in seiner Stockholmer Nobel Lecture am 7. Dezember 2008 betonte er, dass er eine Krebsentstehung durch Viren keineswegs für eine Ausnahme hielt. Bei mehr als 20 Prozent aller Krebsfälle weltweit spielten Virus- und Bakterieninfektionen eine entscheidende Rolle. Zur Hausen spricht bei den Viren von Krebsrisikofaktoren; den Begriff „Krebsursache" vermeidet er lieber. Denn die Krebsentstehung ist ein multifaktorielles Geschehen, und die infektiösen Erreger selbst bewirken auf unterschiedliche Weise - direkt oder indirekt - die Transformation normaler Zellen in Krebszellen.
Durch Infektionen ausgelöste Krebskrankheiten
Harald zur Hausen auf dem Lindauer Nobelpreisträgertreffen 2014.
© Lindau Nobel Laureate Meetings
Neben den weltweit etwa 500.000 Fällen von Gebärmutterhalskrebs pro Jahr sind humane Papillomviren auch für etwa 70.000 Krebsfälle der Mundhöhle verantwortlich. Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren sind an der Entstehung von schätzungsweise 80 Prozent aller Fälle des äußerst bösartigen Leberzellkrebses beteiligt. Auch bei etwa 80 Prozent aller Magenkrebsfälle auf der Welt (das sind ca. 750.000) spielen Infektionen mit dem im Magen vorkommenden Bakterium Helicobacter pylori eine entscheidende Rolle; hinzu kommen weitere 90.000 oder mehr Fälle von Magenkrebs, an denen das Epstein-Barr-Virus beteiligt ist.
Neben diesen häufigen Krebsarten hat man Viren als Risikofaktoren bei einer Anzahl weniger bekannter Tumoren, darunter dem Kaposi-Sarkom, Merkelzellkarzinom und Nasopharynxkarzinom, identifiziert. Wie Harald zur Hausen auf dem Lindauer Nobelpreisträgertreffen 2014 darlegte, kann aber auch die Entstehung von zwei der häufigsten Tumorerkrankungen – dem Kolorektalkarzinom (Dickdarm- und Enddarmkrebs) und dem Mammakarzinom (Brustkrebs) - am besten durch infektiöse Faktoren wie Viren erklärt werden. Aufsehen erregte sein Vortrag mit der These, dass es sich bei diesen Erregern um Viren handeln könnte, die durch den Verzehr von Rindfleisch- und Milchprodukten auf den Menschen übertragen werden.
Krebs-Risikofaktoren im Rindfleisch
Rindersteak „medium rare“ – eine Infektionsquelle für Krebsviren?
© EJ
Zusammen mit seiner Frau, der Virologin Professor Ethel-Michele de Villiers, hat zur Hausen am DKFZ in seiner Abteilung „Episomal-Persistierende DNA in Krebs- und chronischen Erkrankungen" aus Fleisch und Serum gesunder Rinder zahlreiche neuartige episomale DNA-Sequenzen isoliert, die eine enge Verwandtschaft mit zirkulären Einzelstrang-DNA-Viren zeigen. Mindestens einige von ihnen sind für menschliche Zellen infektiös. Homologe Sequenzen, die sich aus humanem Gewebe oder Serum isolieren ließen, deuten auf den Konsum von Rindfleisch als möglichem Übertragungsweg hin. In zahlreichen Studien ist gezeigt worden, dass der Verzehr an rotem Fleisch und Fleischprodukten das Risiko erhöht, an Kolorektalkarzinom zu erkranken und zu sterben. Als Ursache vermutete man meist karzinogene Verbindungen (v.a. polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine), die bei der Zubereitung des Fleisches, beispielsweisen beim Braten oder Grillen entstehen.
Oben: Hausrind (Bos taurus; hier: Ungarisches Steppenrind), wahrscheinlicher Überträger von Krebsviren auf den Menschen. Unten: Hausyak (Bos mutus), wahrscheinlich kein Überträger.
© EJ, Tierpark Berlin-Friedrichsfelde
Zur Hausen verwies jedoch darauf, dass bei ähnlich zubereitetem Geflügelfleisch und Fisch ebenfalls hohe Konzentrationen an chemischen Karzinogenen entstehen, ohne dass das Risiko für Darmkrebs erhöht ist. Offenbar liegt das Risiko auch nicht generell im roten Fleisch, sondern in rohem oder nicht ausreichend gegartem Rindfleisch. Der Nobelpreisträger zeigte auf, dass viele potenziell krebserzeugende Viren ihre Infektionseigenschaften auch bei Temperaturen von über 70 °C behalten; in der Mitte eines „medium" oder „rare" gebratenen Rindersteaks liegen die Temperaturen aber stets deutlich darunter.
Japan und Südkorea, in denen das Kolorektalkarzinom früher nur selten auftrat, gehören heute wie Australien, Kanada und USA zu den Ländern mit den höchsten Erkrankungsraten. In Japan stieg die Darmkrebssterblichkeit von 1975 bis 1995 um mehr als das Doppelte; Korea zeigte fast den gleichen Anstieg zwanzig Jahre später. In beiden Ländern hatte zuvor, mit ihrer Öffnung für den amerikanischen Markt, der Import an Rindfleisch stark zugenommen. Sowohl Japaner als auch Koreaner essen gern rohes oder nur halbgegartes Fleisch – im Gegensatz zu Saudi-Arabien, wo zwar der Verzehr von Rindfleisch auch stark zugenommen hat, die Steaks aber „well-done" bevorzugt werden. Dort ist die Darmkrebsrate relativ niedrig. Die ebenfalls niedrige Rate in der Mongolei, in der sehr viel Fleisch - auch im Rohzustand als eine Art Tartar - gegessen wird, erklärt zur Hausen damit, dass man dort neben Hammel und Ziege vor allem Fleisch vom Yak (Bos mutus) isst, der zu einer anderen Art als das weltweit verbreitete Hausrind (Bos taurus) gehört und nicht im Verdacht steht, potenzielle Krebsviren auf den Menschen zu übertragen.
Koinzidenz zwischen Darm- und Brustkrebs
Vergleicht man die Häufigkeiten von Dickdarmkrebs und Brustkrebs in verschiedenen Regionen der Welt miteinander, so zeigt sich für die meisten Länder eine bemerkenswerte geografische Koinzidenz, die durch ähnliche Risikofaktoren bedingt sein könnte. In ihrer jüngsten Publikation beschrieben zur Hausen und de Villiers auch DNA-Sequenzen mutmaßlich viralen Ursprungs, die sie in der Milch gesunder Kühe nachgewiesen haben und die einen hohen Grad an Homologie mit entsprechenden Isolaten aus menschlichem Gewebe besitzen. Diese Befunde, zusammen mit epidemiologischen Untersuchungen, legen den Schluss nahe, dass der Konsum von Milch und Milchprodukten (von Bos taurus) in frühen Lebensjahren einen der Hauptrisikofaktoren zur Entstehung von Brustkrebs darstellt. Indien beispielsweise, der größte Milchproduzent der Welt, wo aber Vegetarismus weit verbreitet ist, gehört zu den wenigen Ländern, in denen die Brustkrebsrate hoch, die Darmkrebsrate aber niedrig ist. Kürzlich wurde auch gezeigt, dass bei Individuen, die wegen einer Laktose-Intoleranz in ihrem Leben nur wenig Kuhmilch zu sich genommen hatten, das Brustkrebsrisiko verringert war. Und dieser Effekt war nicht genetisch in den Familien angelegt.
Natürlich zweifelt Harald zur Hausen nicht an der Bedeutung genetischer Faktoren für die Entstehung von Krebs. Praktisch alle Infektionen, die beim Menschen zu Tumoren führen, erfordern Modifikationen in bestimmten Signalketten der Wirtszelle oder spezifische Onkogen-Mutationen. Diese Veränderungen werden durch chemische und physikalische Karzinogene erleichtert. Die virale Infektion über Rindfleisch oder Kuhmilch wäre ein für die Krebsentstehung essentieller Faktor. Doch es gibt gute Gründe, synergistische (nicht notwendigerweise synchrone) Effekte durch chemische Karzinogene anzunehmen. Mit leichtem Spott aber wandte sich zur Hausen in seinem Vortrag auf der Lindauer Nobelpreisträgerkonferenz aber gegen das verbreitete Konzept von Krebs als einer genetischen Fehlregulation: „Die übliche Vorstellung ist es, dass Krebs beim Menschen entsteht aufgrund eines Ungleichgewichtes zwischen Proto-Onkogenen und Tumorsuppressor-Genen. Dass virale Infektionen Krebs verursachen, stört dieses schöne Bild."