Lenhard Rudolph schickt vier Biomarker auf den Weg in die Klinik
Das Quartett verspricht medizinisch-klinischen Fortschritt für alternde Gesellschaften. Es trägt die Kurz-Bezeichnungen EF-1 alpha, Chi3L3, CRAMP und OP 18 und steht für vier Proteine, denen möglicherweise eine Karriere als Biomarker bevorsteht. Treten diese Biomoleküle in bestimmter Konzentration im Blut auf, lassen sich Rückschlüsse auf das biologische Alter und die Erneuerungsfähigkeit von Gewebe und Organen bei Patienten ziehen. Das Marker-Quartett lässt auch Vorhersagen zu altersbedingten und chronischen Krankheiten bei Menschen (wie Tieren) zu.
Zellen scheiden diese Proteine als Antwort auf Telomer-Dysfunktion oder andere Schäden des Erbguts aus und lassen sich im Blut und anderen Körperflüssigkeiten, in Gewebe und Organ-Proben leicht nachweisen.
Ob sein Protein-Quartett als prognostischer Marker für alle Zwecke ausreicht, vermag ihr Entdecker, der Ulmer Stammzellforscher Lenhard Rudolph nicht abzuschätzen. Dass eine Kombination mehrerer Messgrößen bessere Prognosen liefert als eine einzige, hält er für sehr wahrscheinlich. Nicht ausschließen will Lenhard Rudolph, dass ein Mix mit weiteren mechanistischen Markern, die andere biologische Altersursachen abbilden, noch aussagekräftiger wäre als sein Biomarker-Quartett.
Wichtige Entscheidungshilfe für Kliniker
Prof. Lenhard Rudolph hat vier neue Biomarker identifiziert.
© Pytlik
Solche Biomarker wären Klinikern hochwillkommen, weil sie medizinisches Vorgehen, Versorgung und Intervention bei alten Menschen besser planbar machen könnten. Gäbe es solche prognostischen Marker, wüsste der Mediziner nach einer Blutprobe, ob ein alter Patient von einem operativen Eingriff noch profitiert, wüsste er, ob das Risiko zu groß wäre und die Regenerationsfähigkeit des Patienten zu gering. Dann würde dieser alte Patient konservativ behandelt und eine erfolglose OP (oder Transplantation) wäre vermieden. „Das wäre das Ziel", formuliert Rudolph, der die klinische Bedeutung früher Diagnosen in vielen altersassoziierten Erkrankungen und chronischen Krankheiten kennt.
Bislang scheiterte die Bestimmung der Telomerlänge an aufwändigen komplizierten Verfahren und oft fehlendem Material (Biopsie). Zudem verfügt die Telomer-Länge nur über begrenze Aussagekraft zu Zellfunktion und Regenerationsfähigkeit.
Noch hat sich der Leibnizpreisträger nicht entschieden, ob er die Weiterentwicklung zu klinischen Markern selbst angeht oder in die Hände spezialisierter Assay-Entwickler legt. Das könnte über eine Firmenausgründung oder in Zusammenarbeit mit Unternehmen geschehen. Kontakte wurden bereits geknüpft, entschieden sei noch nichts. Dass die Entwicklung von Testverfahren kaum wissenschaftlichen Lorbeer garantiert, sagt Rudolph ausdrücklich. Ein Absprung in die Wirtschaft scheint für den erfolgreichen Forscher keine lockende Aussicht zu sein.
Wehe, wenn die Schutzkappen weichen
Verkürzte Telomere (rot) induzieren chromosomale Schäden und erhöhen das Krebsrisiko. Das Foto zeigt Metaphasechromosomen, die Telomere sind rot markiert. Bei einigen Chromosomenenden fehlt das Telomersignal (dünne Pfeile), weil sich die Telomere im Zuge der vielen Zellteilungen stark verkürzten. Es kommt zur Fusion von Chromosomen (breite Pfeile).
© Lenhard Rudolph
Die Entdeckung dieser vier Biomarker EF-1 alpha, Chi3L3, CRAMP und OP 18 geht im Kern zurück auf ein korrelierendes und kausales Geflecht von Telomer-Dysfunktion und DNA-Schädigung mit Alterung und altersbedingten Krankheiten.
Telomere sitzen bekanntlich wie Kappen an den Enden der Chromosomen und verkürzen sich im Rahmen der Alterung. Bei jeder Zellteilung gehen den einfachen, sich wiederholenden und nichtkodierenden DNA-Sequenzen jeweils 50 bis 100 Basenpaare (beim Menschen) verloren. Das hat Folgen, denn Telomere gelten als Wächter der Genomstabilität; bei fortgesetzter Zellteilung kann, erklärt Rudolph, die dreidimensionale Struktur am Chromosomen-Ende nicht mehr aufrecht erhalten werden, es kommt zur Dysfunktion, zu einer Art DNA-Bruch, was die Zelle mit Zellteilungsstopp, Zelltod und Reparaturversuchen beantwortet. Diese Beziehungen sind meist korrelierend, fasst Rudolph zusammen.
Viele Korrelationen, wenig einfache Rückschlüsse
Allerdings gibt es nach seinen Worten auch Hinweise, die für mehr als eine Korrelation sprechen. Und zwar bei Erkrankungen, die frühzeitig Gewebe altern lassen. Verursacher sind Mutationen in Genen (Telomerase oder telomerbindende Proteine), die für den Erhalt der Schutzkappen wichtig sind. Treten diese Veränderungen dort auf, besitzen Patienten verkürzte oder strukturell veränderte Telomere, was beides zu Telomer-Dysfunktion und frühzeitigem Organversagen führt.
Dieser Zusammenhang wurde bei Lungenfibrose, Leberzirrhose und Knochenmarksversagen aufgezeigt. Daten aus Versuchen am Tier (Maus und Fisch), wo das Enzym Telomerase verändert wurde, brachten ähnliche Ergebnisse. Einfache Rückschlüsse sind dennoch verfehlt, mahnt Rudolph. Ob diese verkürzten Telomere einen Menschen „normal altern“ lassen, ohne dass diese Telomer-Gene verändert sind, wissen die Forscher deswegen noch lange nicht.
Jüngere haben weniger, Alte mehr Markerproteine
Gefunden hat Lenhard Rudolph „seine" Markerproteine in Zellkultur. Er maß, welche Proteine ausschließlich im Kulturüberstand von Knochenmarkszellen von Mäusen (bei denen die Telomerase ausgeschaltet wurde) mit verkürzten Telomeren auftauchten, also im Medium von Zellen mit funktionellen Telomeren fehlten. Die Proteom-Messung konnte später im Blut bestätigt werden, was für die klinische Praxis wichtig wäre. Auch in Niere, Leber, Lunge, Gehirn, Milz und Herz von Mäusen mit verkürzten Telomeren fanden Rudolph und Mitarbeiter erhöhte Werte dieser Marker, bei Mäusen mit langen Telomeren nicht. Die Ergebnisse bestätigten sich bei humanen Fibroblasten, deren Erbgut durch Bestrahlung geschädigt worden war.
In weiteren Studien stellte Rudolphs Gruppe fest, dass diese Protein-Werte beim Menschen im Alter ansteigen, während junge Menschen im Blut weniger dieser Markerproteine aufwiesen. Weitere Analysen ergaben, dass alte kranke Menschen - Patienten in einer geriatrischen Klinik - mehr dieser Marker im Blut besitzen als relativ gesunde Alte.
Die vier Proteine selbst haben Lenhard Rudolph und Mitarbeiter keiner funktionellen Untersuchung unterzogen, sondern als Marker auf ihren Zusammenhang mit Alter und Erkrankungen verwendet.
EF-1 alpha steht für elongation factor 1 alpha und kontrolliert die translationale Proteinsynthese. Protein Nummer Zwei Chi3L3 steht für Chitinase-3-like Protein 3. Chitinasen sind eher aus der Insektenwelt bekannt, die enzymatische Aktivität lässt sich gleichwohl im Menschen messen. Als Rudolph in der Maus ein ähnliches Enzym fand, führte die Suche danach auch beim Menschen zum Erfolg. Das dritte Protein OP18 ist auch unter dem Namen Stathmin bekannt. Das kleine Eiweiß kontrolliert in der Zelle die Stabilität der Mikrotubuli, die Beweglichkeit und die Mitose. CRAMP schließlich (Cathelicin-related anti-microbial protein) ist ein Protein, das in aktivierten Makrophagen gefunden wurde und wie Chitinase mit der angeborenen Immunantwort in Verbindung gebracht wird.
Diese Biomarker können noch mehr
Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die Anhäufung von Erbgutschäden und Telomer-Dysfunktion als Risiko- und Prognose-Marker altersbedingter Krankheiten taugt. Das trifft nach Rudolphs Worten für Gefäßerkrankungen, Diabetes mellitus, Demenz oder Schlaganfälle zu. Die neuen Biomarker lassen sich nicht nur im Blut, sondern auch im Speichel oder im Liquor nachweisen. Das könnte auch im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen von Bedeutung sein, deutet der Ulmer Forscher an. Bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse Anfang 2012 muss Rudolph schweigen. Dann wird er viel reden und erklären müssen - so viel scheint schon jetzt klar zu sein.
Literatur:
Jiang H., Schiffer E. et al.: Proteins induced by telomere dysfunction and DNA damage represent biomarkers of human aging and disease, PNAS, 12. August 2008, 105, Nr. 32, 11299-11304.
Song Z., Von Figura G. et al.: Lifestyle impacts on the aging-associated expression of biomarkers of DNA damage and telomere dysfunction in human blood, Aging Cell, 9: 607-615 (doi:10.1111/j.1474-9726.2010.00583.x)
Jiang H., Rudolph KL, Telomere shorteing and ageing, Z Gerontol. Geriatry 2007, 40: 314-234