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Lichtblick im Neuronendunkel

Die berührungslose Kontrolle des Verhaltens einzelner Nervenzellen durch bloßes Ein- und Ausschalten von Lichtreizen lässt jeden Neurowissenschaftler ins Schwärmen geraten. Offenbaren sich doch dadurch neue Erkenntnisse über verborgene und komplizierte Vorgänge im Gehirn. Dank Optogenetik ist dies seit ein paar Jahren keine Fiktion mehr. Wissenschaftler um Dr. Birthe Rubehn und Prof. Dr. Thomas Stieglitz vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) haben in Zusammenarbeit mit dem Bernstein Center der Universität Freiburg und dem Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel ein multimodales Implantat entwickelt. Mit diesem lassen sich die erforderlichen genetischen Veränderungen, die Steuerung durch Lichtreize sowie die Messung der Zellaktivität vornehmen.

Kanalrhodopsine lösen in Nervenzellen Impulse aus, wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf sie trifft. © MPI für Biophysik

Vor drei Jahren erklärte die Zeitschrift Nature Methods die Optogenetik zur „Methode des Jahres 2010“. Sie ist der Zusammenschluss aus optischen und genetischen Verfahren zur detailgenauen Untersuchung auf molekularer, zellbiologischer und Netzwerkebene im lebenden Organismus.
Lichtsensitive Proteine, sogenannte Opsine, aus Algen und Bakterien lassen sich gentechnisch verändern und in die gewünschten Zielzellen einbringen. Anschließend lässt sich unter Lichteinfluss die elektrische Aktivität der Zellen selektiv steuern.


In Algen und Bakterien dienen die Opsine der Energiegewinnung und fungieren als Ionenkanäle in den Membranen der Zellen, deren Leitfähigkeit für bestimmte Ionen durch sichtbares Licht gesteuert wird. Die Gene dieser Kanalproteine, die sich je nach Art in ihrer Spektralempfindlichkeit unterscheiden, liefern in gentechnisch modifizierter Form das Fundament für die Optogenetik. Sie werden von Neurowissenschaftlern mittels einer „Genfähre“ oder eines Vektors, einem umkonstruierten Virus, in das Gehirn von Mäusen eingespritzt. Die Veränderung der Gene bewirkt jedoch, dass diese Opsinmoleküle lediglich in bestimmten Hirnzelltypen gebildet und in die Membran eingebaut werden.

Licht schaltet Nervenzellen an und ab

Belichtet man jetzt mithilfe einer Glasfasersonde, die ins Gehirn eingeführt wird, ein kleines Hirnareal, so löst man damit ein spezifisches Muster von Nervenzellaktivität sowie möglicherweise ein bestimmtes Verhalten der Versuchstiere aus. Ein großer Vorteil dabei ist, dass die Tiere sich während einer solchen Fotostimulation frei bewegen und umherlaufen können, was mit Hirnelektroden nicht denkbar ist. Darüber hinaus ist diese Technologie, mit der sich die Neuronenaktivität sehr zellverträglich steuern lässt, durch ihre gentechnische Komponente extrem selektiv auf bestimmte Zellen beschränkt. Bei elektrischer Erregung hätte man starke Artefakte. „Strom erregt alle Zellen, die mehr oder weniger im Einzugsgebiet der Erregung sind“, erklärt Prof. Dr. Thomas Stieglitz, Lehrstuhlinhaber der Biomedizinischen Mikrotechnik der Universität Freiburg, und weiß noch einen weiteren Pluspunkt: “Bei elektrischer Stimulation kann ich nicht gleichzeitig elektrisch an den Zellen ableiten, weil der Strom den Verstärker stört. Mit Licht habe ich das entkoppelt und kann ohne Verzögerung Zellsignale messen.“

Flexibler durch Kunststoff

Vor fünf Jahren stolperte Stieglitz nach eigenen Angaben quasi über die Optogenetik und fand es spannend, zu überlegen, ob man die dafür erforderlichen Geräte auch rein aus Polymeren fertigen könnte, deren Verträglichkeit für das Hirngewebe getestet wurde. Der Elektrotechnikingenieur hatte dabei den Grundgedanken, mit Kunststoff sehr viel flexibler zu sein als mit anderen Materialien. „Wenn etwas flexibler ist, dann gibt es natürlich auch weniger Relativbewegungen des Materials und es kann besser mit der Gehirnbewegung mitgehen“, erläutert er. Hierfür verwendet er „Polyimide sowie ein Standardpolymer, die in der Mikrotechnik gern genommen werden, weil sie stabil, nicht zelltoxisch und nicht lichtempfindlich sind“, so der Experte.
Außerdem war der Ablauf des optogenetischen Experiments bislang vergleichsweise umständlich. Erst musste mit einer Spritze der Vektor in das Hirnareal eingebracht werden, dann folgte eine Wartezeit von mehreren Wochen, in der die Zellen die lichtsensitiven Ionenkanäle aufbauten, und schließlich wurde die Glasfasersonde eingesetzt, die das Licht und hoffentlich auch die Verhaltensänderung der Tiere mit sich brachte.

Der Prototyp - ein multimodales System

Prototyp des 3-in-1-Mikroimplantats. © IMTEK / Universität Freiburg

Daher entwickelten Stieglitz und Dr. Birthe Rubehn eine Möglichkeit, durch Material- und Formoptimierung noch kleinere Geräte zu konstruieren, die überdies verschiedene Funktionen erfüllen können, also multimodal sind. „Unsere Idee ist es, nicht mehr zwei oder drei Systeme nacheinander zu benötigen, sondern alles in einem Gerät zu haben, mit der Idee, dann gleich am richtigen Ort zu sein“, sagt der Ingenieur. Innerhalb des Mikroimplantats endet der Flüssigkeitskanal für die Transfektion des Nervengewebes mit dem Vektor direkt zwischen den Ableitelektroden und vor dem Lichtwellenleiter, alles auf einer Fläche von einem Achtel Quadratmillimeter untergebracht. „Das bedeutet, an der Stelle, an der ich das Nervengewebe transfiziere, kann auch optisch erregt und gleichzeitig abgeleitet werden, um den Effekt zu messen“, erklärt Stieglitz den 3-in-1-Chip.


Das Proof of Concept, also den Beweis der prinzipiellen Durchführbarkeit des neuen Verfahrens, erbrachten Kooperationspartner um Prof. Dr. Andreas Lüthi vom Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel. Anhand anatomischer Landmarken implantierten die Wissenschaftler um Lüthi, die im Bereich der Angstforschung arbeiten, den Prototyp erfolgreich ins Gehirn von Versuchsmäusen. Dabei wurde der neue Flüssigkeitskanal noch nicht genutzt, da der Vektor noch klassisch, also mit einer Kanüle Wochen zuvor injiziert worden war.

Optogenetik als Werkzeug in der medizinischen Therapie?

Da die Handhabbarkeit laut Stieglitz noch recht schwierig sei, tüftelt der Wissenschaftler mit seinen Kollegen bereits an Neuerungen und Verbesserungen des Implantats. So müssen die drei Zugänge für Licht, Flüssigkeit und Elektrik derzeit noch per Stecker am Mauskopf befestigt werden. Langfristig möchte Stieglitz die Erfindung komplett drahtlos gestalten: Eine winzige Leuchtdiode wäre die Lichtquelle am Ende einer Sonde, und die Datenübertragung sowie die Energieversorgung liefe über Funk. Was den Flüssigkeitskanal für das genetische Material betrifft, der nur ein einziges Mal benötigt wird, so ist schon eine zweite Version des Mikroimplantats in Arbeit. Dieser soll biodegradabel werden, das heißt, sich nach Erledigung seiner Aufgabe einfach auflösen.

Thomas Stieglitz und sein Team arbeiten eng mit Optogenetikern und Neurowissenschaftlern zusammen. „Wir möchten den Grundlagenwissenschaftlern etwas Komplexes in die Hand geben, um die Fragen der Vorgänge im Gehirn besser ergründen zu können“, sagt er. Für zukünftige Studien sei dies durchaus interessant, insbesondere im Rahmen des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg, so der Ingenieur. Ob jedoch die Optogenetik ein Werkzeug in der medizinischen Therapie sein werde, ließe sich heute noch nicht richtig abschätzen. „Es sind in der Vergangenheit durch frühzeitige überoptimistische Äußerungen etwa aus der Stammzelltherapie so viele falsche Hoffnungen geweckt worden. Das ist gegenüber den Betroffenen nicht fair“, meint Stieglitz.

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