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Mehr als die Gene hergeben

Alle Zellen eines Organismus haben die gleiche DNA-Sequenz – trotzdem werden einige zu Neuronen, andere zu Nieren- und wieder andere zu Leberzellen. Entscheidend ist die Identität ihrer Vorgänger. Wie aber „wissen“ sie von ihrer Bestimmung, da diese nicht in ihrer Erbsubstanz gespeichert liegt? Der neue Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts für Immunbiologie, Professor Dr. Thomas Jenuwein, und seine Mitarbeiter von der Abteilung für Epigenetik untersuchen die molekularen Grundlagen des epigenetischen Zellgedächtnisses.

Du bist, was du isst? Diese Weisheit fasst die Sachlage noch etwas zu eng. Der Speiseplan einer Mutter kann auch bestimmen, wie sich ihre Kinder entwickeln. Bekommen Mäuse einer bestimmten Laborlinie etwa Kost, die reich an methylhaltigen Verbindungen wie Folsäure oder Vitamin B12 ist, entwickeln ihre Jungen ein braunes Fell. Ansonsten wird es gelblich. Verändert die Ernährung der Eltern also die DNA-Sequenz der Gene, die sie vererben? Nein, die Zellen der Embryonen müssen die Information über die kulinarische Vorgeschichte ihrer Erzeuger anders übermittelt bekommen haben: epigenetisch, also zusätzlich zur DNA-Sequenz.

„Die Idee der Epigenetik ist eigentlich ganz einfach“, sagt Thomas Jenuwein, seit Herbst 2008 Direktor des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg und Leiter der im Entstehen begriffenen Abteilung für Epigenetik. „Da gibt es zusätzlich zur DNA-Sequenz eine Information, und diese vermittelt die Umsetzung des genetischen Codes. Diese zusätzliche Informationsebene ist das Chromatin und nicht die nackte DNA.“ Unser Erbgut ist ein etwa zwei Meter langer Faden, der in einem Zellkern von wenigen Mikrometern Durchmesser Raum finden muss – das geht nur, wenn die Zelle eng packt. Deshalb windet sich der Doppelstrang um die aus sogenannten Histon-Proteinen aufgebauten Nucleosomen und kondensiert mit Hilfe dieser perlenartigen Gebilde zu einem dichten Knäuel. Diese Verpackungsform nennen Forscher Chromatin. Dicht verpackte Bereiche des Genoms sind für die Enzyme unzugänglich, die Gene ablesen und Kopien für die Proteinbiosynthesemaschinen herstellen. Lockerere Bereiche erlauben hingegen eine rege Transkription.

Zu sehen ist ein farbiges Schaubild. Oben ein Ausschnitt aus einem um sich selbst gewundenen Doppelstrang, unten der selbe Doppelstrang, diesmal zusätzlich gewunden um graue fassartige Gebilde
Das blanke Erbgut (oben) ist in Zellen als Chromatin organisiert (unten). In grau dargestellt sind die Nucleosomen, die Organisation des Erbguts kann durch Histon-Modifikationen (gelb), durch Methylgruppen auf der DNA (rot) oder durch nicht codierende RNAs (blau) beeinflusst werden. © Prof. Dr. Thomas Jenuwein

Spieler und Gegenspieler

Der Öffnungsgrad des Chromatins erlaubt damit eine wichtige Regulation. Jede Körperzelle des Menschen besitzt rund 25.000 Gene. Aber in jeder sind nur etwa 8.000 bis 9.000 Gene aktiv, ein Neuron braucht keine Proteine, die nur in der Leber notwendig sind, und umgekehrt muss eine Leberzelle keine Synapsenbausteine herstellen. Welche Gene in einem Zelltyp abgelesen werden und welche nicht, ist in einem jeweils zelltypischen Programm definiert. Dieses Programm ist epigenetischer Natur und wirkt fort, selbst wenn die Moleküle, die es eingeschaltet haben, längst verschwunden sind.

Mäuse, denen beide Gene für die Histonmethyltransferase fehlen (dn=Doppelnull), sind kleiner als Wildtyp-Mäuse (wt) und zeigen geringere Überlebensraten. © Prof. Dr. Thomas Jenuwein

Was aber sind die molekularen Mechanismen, die das Verpacken und Entpacken des Chromatins vermitteln? Im Jahr 2000 entdeckten Jenuwein und seine Mitarbeiter - damals noch am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien - ein Enzym, das einem der Histone des Chromatins das kleine Molekül Methyl anhängen kann. Die Forscher nannten das Enzym Histonmethyltransferase (HMTase). Jenuweins damalige Doktorandin und heutige wissenschaftliche Koordinatorin Monika Lachner fand kurze Zeit später heraus, dass das methylierte Histon eine Bindungsstelle für das Heterochromatin Protein 1 (HP1) darstellt. Bindet HP1 an diese Bindestelle, kondensiert der Chromatinabschnitt und ist in Folge unzugänglich für die Transkriptionsenzyme.

„Damit hatten wir einen Mechanismus entdeckt, mit dem das Chromatin zugeschlossen werden kann“, sagt Jenuwein. Seit 1996 war bereits der Gegenspieler der HMTase bekannt: das Enzym Histonacetyltransferase (HAT), das das kleine Molekül Acetyl auf Histone übertragen kann. HATs sorgen dafür, dass das Chromatin entpackt und leichter zugänglich wird. Heute wissen Epigenetiker, dass es noch mehr Mechanismen für die Kontrolle der Transkription gibt. Nicht codierende RNAs können zum Beispiel Gene zum Schweigen bringen. Und auch die DNA selbst kann Methylgruppen angehängt bekommen. Dieser Mechanismus ist für das braune Fell der Mäuse verantwortlich, deren Mütter viel methylhaltige Kost zu sich nehmen. Die Anzahl der Methylmarkierungen an dem Gen mit dem Namen Agouti entscheidet, ob das Fell der Nachkommen braun oder gelb wird. Nimmt die Mutter viele dieser kleinen Moleküle zu sich, dann ist das Gen stark mit ihnen gespickt und verstummt.

Ein zukunftsträchtiges Feld

Am Max-Planck-Institut in Freiburg etabliert sich nun zum ersten Mal in Deutschland ein örtlich definierter Schwerpunkt für Epigenetik. Neben Jenuwein wird ab Sommer 2009 auch Asifa Akhtar einen Forschungsschwerpunkt leiten. Sie ist Expertin im Bereich der Dosis-Kompensation in Drosphila, eines Mechanismus, der die Ableserate der Gene auf dem einzelnen X-Chromosom von Männchen erhöht und somit ihre Unterrepräsentation gegenüber den Genen auf den zwei X-Chromosomen der Weibchen kompensiert. Akhtar hat nach ihrer Postdoc-Zeit sehr erfolgreich eine eigene Forschungsgruppe am EMBL Heidelberg etabliert. Zusätzlich zu diesen zwei Senior-Gruppen sollen außerdem fünf Nachwuchsgruppen dem „Epigenetischen Fokus“ angehören.

Europaweit ist Jenuweins Team in dem Epigenome Network of Excellence (Epigenome NoE) eingebunden, das der Biologe zusammen mit Genevieve Almouzni vom CNRS Institut Curie in Paris und Phil Avner vom Pariser CNRS Institute Pasteur koordiniert. Diesem europäischen Konsortium gehören 24 weitere Gruppen, 26 assoziierte Mitglieder und 12 neu gegründete junge Teams aus vielen europäischen Ländern an. Die Grundidee: Renommierte Forscher werben Gelder ein und verteilen einen Teil davon an junge Kollegen. Damit ermöglichen sie Karrierewege für kreativen Nachwuchs. Gleichzeitig findet auf allen Gebieten eine enge Zusammenarbeit statt. Das NoE ist auch im WWW präsent, mit einer Website für die breite Öffentlichkeit (www.epigenome.eu) und mit einer wissenschaftlichen Plattform (www.epigenome-noe.net).

Mäuse, denen beide Gene für die Histonmethyltransferase fehlen, entwickeln im Alter oft Lymphdrüsenkrebs. Ihre Milz (linkes Bild, dn) ist größer als bei Wildtyp-Mäusen (linkes Bild, wt), ihre Lymphknoten ebenfalls (rechtes Bild) © Prof. Dr. Thomas Jenuwein

In seiner Abteilung möchte Jenuwein in Zukunft zum Beispiel untersuchen, ob es einen epigenetischen Code gibt. Wie viele Histon-Modifizierungen müssen auf einem Genabschnitt zusammenkommen, damit er entweder verpackt oder entpackt wird? Wo müssen sie sitzen? Er will auch herausfinden, wie das epigenetische Gedächtnis funktioniert. Welche Proteine sind daran beteiligt? Wann bleiben sie dauerhaft an Genabschnitte gebunden? Antworten auf diese Fragen könnten in der Humanmedizin wichtig sein. Verstehen Forscher, wie Zellen sich auf ihre Identität als zum Beispiel Muskel- oder Leberzelle festlegen, können sie den Prozess vielleicht umkehren und Körperzellen wieder zu Stammzellen machen. „Außerdem spielt die epigenetische Transkriptionsregulation auch bei Krebs eine Rolle“, sagt Jenuwein. „Bei entarteten Zellen ist nämlich die Ableserate bestimmter Gene außer Kontrolle.“

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