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Metastasen-induzierende Krebsstammzellen

Nur eine kleine Subpopulation von Krebszellen, die Metastasen-induzierenden Krebsstammzellen (MICs), ist wahrscheinlich für die Bildung von Fernmetastasen bei malignen Tumoren verantwortlich. Die Charakterisierung der MICs und die Aufklärung der Mechanismen, die zu ihrer Reaktivierung aus dem Ruhezustand führen, eröffnet die Möglichkeit zur Entwicklung neuer wirksamer Therapien gegen metastasierende Tumoren.

Metastasierung steht als Todesursache bei Krebskrankheiten an erster Stelle. Aussicht auf eine endgültige Heilung besteht in der Regel nur, wenn der Primärtumor entfernt werden kann, bevor sich Metastasen in anderen Körperteilen gebildet haben. Wenn solche Fernmetastasen groß genug sind, um erkannt zu werden, sind meist auch zahlreiche Mikrometastasen (mit Durchmessern von 0,2 bis 2 mm) vorhanden, die zu neuen großen Tochtergeschwülsten heranwachsen können. Ein weiteres Problem liegt darin, dass diese Sekundärtumoren oft nicht mehr auf die anfangs bei der Behandlung des Primärtumors erfolgreiche Chemotherapie ansprechen.

Disseminierung und MICs

Die Ablösung und Ausbreitung (Disseminierung) von Krebszellen aus dem ursprünglichen Tumor stellt den ersten Schritt der Metastasierung dar (Pantel review). Die disseminierten Tumorzellen (DTZs) wandern mit dem Blut oder der Lymphe und setzen sich in anderen Organen, in der Regel stromabwärts vom Primärtumor, fest. Mit der Lymphe gelangen die DTZs in die Lymphknoten, die meist in der Nähe des Tumors liegen, bei Brustkrebs beispielsweise in der Achselhöhle. Viele Tumore metastasieren bevorzugt in ganz bestimmte Organe („homing organs“). Wie dieser auch als Organotropie bezeichnete Zielmechanismus zustande kommt, ist jedoch noch nicht gut bekannt. Für Krebszellen verschiedener epithelialer Tumore wie Mammakarzinom (Brustkrebs), Prostata- und Kolonkarzinom (Darmkrebs) stellt das Knochenmark ein bevorzugtes „homing organ“ dar. Dort können die Tumorzellen entweder - wie im Falle von Brust- und Prostatakrebs - zu großen Metastasen heranwachsen, oder sie zirkulieren – wie im Falle von Darmkrebs - von dort aus wieder mit dem Blut zu anderen Organen, wo sie bessere Wachstumsbedingungen vorfinden, zum Beispiel in die Leber oder die Lunge.

Prof. Dr. Andreas Trumpp © DKFZ

Lange hatte man angenommen, dass diese Ausbreitung relativ spät in der Tumorentwicklung erfolgt, aber neuerdings mehren sich die Hinweise, dass die Dissemination von Zellen des Primärtumors zu entfernten Organen schon früh, wenn der Tumor noch sehr klein ist, stattfinden kann. So findet man schon bei Brustkrebs von 1 cm Durchmesser oder weniger in etwa 20 Prozent aller Fälle Metastasen.  

Nicht alle disseminierten Tumorzellen wachsen zu Metastasen heran. Bei den meisten Krebsarten können Fernmetastasen wahrscheinlich nur von einer sehr kleinen Subpopulation der DTZs- den so genannten Metastasen-induzierende Krebsstammzellen („metastasis-inducing cancer stem cells", MICs) - gebildet werden. Ihre Existenz wurde zunächst indirekt aus der Entdeckung der Krebsstammzellen („cancer stem cells", CSCs) abgeleitet, ohne sie innerhalb der DTZs sicher nachweisen zu können. Der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Andreas Trumpp (Schweizerisches Institut für Experimentelle Krebsforschung ISREC, Epalinges/Lausanne, jetzt: Deutsches Krebsforschungszentrum und HI-STEM, Heidelberg) ist es nun gelungen, ein Xenograft-Modell in der Maus zu entwickeln, mit dem es möglich ist, MICs aus Patientenblut und Knochenmarkspunktionen zu identifizieren. Damit ist ein Weg eröffnet, MICs von verschiedenen Karzinomen (zum Beispiel Brust, Lunge, Prostata oder Darm) molekular zu charakterisieren und zielgerichtete Therapien gegen ihre Metastasen zu entwickeln.

The Cancer Stem Cell (CSC) Hypothesis © A.TRumpp, adapted from Wang and Dick, 2005; Lobo et al., 2007

Die Krebsstammzell-Hypothese

Krebsstammzellen (CSCs) wurden zunächst in den 90er Jahren bei Leukämiepatienten als eine kleine Subpopulation von Knochenmarkszellen entdeckt. Es handelte sich um Zellen mit typischen Eigenschaften adulter Stammzellen, aus denen die krankhaft veränderten weißen Blutkörperchen bei den Leukämien hervorgingen. Lange betrachtete man diese Befunde als Sonderfall, bis 2003 Michael F. Clark und Mitarbeiter von der University of Michigan Medical School in Ann Arbor, USA, bei menschlichem Brustkrebs ebenfalls eine winzige Tumorzell-Population mit Stammzelleigenschaften, wie zum Beispiel ein unbegrenztes Selbsterneuerungspotenzial, nachweisen konnten. Nur etwa hundert Zellen dieser Population reichten aus, um in der Nacktmaus in gesundem Gewebe einen neuen Tumor zu bilden; sie waren „tumorigen“. Wenn man dagegen Zehntausende von Zellen aus der „normalen“ Tumormasse transplantierte, entstand kein Tumor, sie waren „nicht-tumorigen“. Seitdem hat man CSCs auch in anderen Karzinomen, darunter Beispiel Prostata-, Pankreas-, Hirn- und Darmkrebs, nachgewiesen und die Krebsstammzellforschung hat sich, mit den Worten von Professor Otmar D. Wiestler, Vorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums, „zu einem der spannendsten Gebiete der Krebsforschung“ entwickelt.

Im Gegensatz zu der großen Masse der nicht-tumorigenen Zellen des Primärtumors, die sich rasch teilen und dabei sensitiv gegenüber dem Angriff der gebräuchlichen anti-proliferativen Chemotherapeutika (Zytostatika) sind, teilen sich die tumorigenen CSCs nur äußerst selten, generieren aber von Zeit zu Zeit sehr schnell proliferierende Krebszellen. Die CSCs verharren aber, wie normale adulte Stammzellen über lange Zeit in einem Ruhezustand mit herunterreguliertem Metabolismus (Wilson et al., 2008 CELL). In diesem „dormanten“ Zustand sind die Zellen resistent gegenüber den üblichen Chemotherapien, die v.a. proliferative und hochaktive Zellen angreifen und vergiften.

Die Resistenz von CSCs erklärt, warum bei vielen Krebskrankheiten die Tumore nach einer Chemotherapie zunächst verschwinden, es aber oftmals Jahre später zu einem Rückfall oder Rezidiv kommt (Trumpp, A., and Wiestler, O.D.: Mechanisms of Disease: cancer stem cells - targeting the evil twins. NatureClin. Pract. Oncol., June 2008). Eine Therapie, die sich gezielt gegen die CSCs richtet, könnte in diesen Fällen eine dauerhafte Heilung bewirken.

Ein weiterer Ansatz für eine Therapie könnte darin bestehen, dass man die CSCs aus dem quieszenten Zustand erweckt und zur Teilung anregt, in der sie wieder sensitiv gegenüber Chemotherapeutika werden. In diese Richtung deuten neue Forschungsergebnisse von Trumpp und Mitarbeitern (Essers, M.A.G. et al.: IFNα activates quiescent HSCs in vivo. Nature, online veröffentlicht 11. 02. 2009; siehe Link "Tumorstammzellen - Tödliches Erwachen durch Interferon"). Die Forscher zeigten, dass Blutstammzellen aus dem Ruhezustand durch Interferon alpha (IFNα) effektiv zur Zellteilung aktiviert werden können und dadurch tatsächslich in einen Chemotherapy sensitiven Zustand übergehen.

Möglicherweise gilt das auch für Tumorstammzellen. Dafür spricht, dass Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie, die mit Glivec behandelt werden, nach Absetzen des Therapeutikums fast immer Rückfälle erleiden. Wenn die Patienten jedoch vor der Glivec-Behandlung IFNα erhielten, waren sie später auch ohne Medikation über lange Phasen Rezidiv-frei. Trumpp erklärt diesen Befund damit, dass durch das IFNα die Leukämiestammzellen geweckt und für den Angriff von Glivec sensibilisiert worden sind.

The Metastasis Initiating Cell (MIC) Hypothesis © A. Trumpp, adapted from Trumpp and Wiestler, 2008

Die Stammzell-Nische

Ähnlich wie quieszente Blutstammzellen, die sich im Knochenmark in einer speziellen Mikroumgebung (Nische) über lange Zeiträume verbergen können, scheinen auch Krebsstammzellen und Metastasen-induzierende Krebsstammzellen (MICs) in besonderen Stammzellnischen zu überdauern (Wilson and Trumpp 2006 Nature Reviews Immunology). Diese Nischen befinden sich wahrscheinlich in dem aus Endothelzellen, Immunzellen, extrazellulärer Matrix und anderen Bindegewebskomponenten bestehenden Tumorstroma. Hier findet - so die Hypothese - zwischen der Stammzelle und Nischenzellen ein Signalaustausch statt, der bewirkt, dass die Stammzelle ihre Stammzelleigenschaften behält und sich nicht weiter differenziert. Um welche Signale es sich dabei handelt und wie es kommt, dass die ruhenden MICs, oft Jahre oder sogar Jahrzehnte nachdem der Primärtumor entfernt wurde und der Patient scheinbar Turmorfrei ist, reaktiviert werden, auswandern und schließlich Metastasen in einem entfernten Organ bilden, ist noch weitgehend unbekannt. An der Aufklärung dieser Mechanismen wird intensiv geforscht. Ihre Aufklärung eröffnet die aufregende Möglichkeit, dass neue wirksame Strategien gegen hoch aggressive metastasierende Tumoren in nicht allzu ferner Zukunft entwickelt werden können.

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