Michael Doser bringt Biomedizin- und Textilforschung zusammen
Textile Produkte zur Wundbehandlung werden heute zunehmend mit bioaktiven Funktionen gekoppelt. Insgesamt kommen immer mehr bioverträgliche und resorbierbare Hightech-Materialien am und im Körper zum Einsatz - therapeutisch, diagnostisch und sensorisch. An innovativen Produkten und Verfahren dafür arbeitet Michael Doser, Leiter der Biomedizin am ITV Denkendorf.
Prof. Dr. Michael Doser, Jahrgang 1956, forscht am ITV Denkendorf und lehrt an den Universitäten Stuttgart und Tübingen.
© privat
Prof. Dr. Michael Doser beweist, dass eine Karriere in den Life Sciences auch ohne langjährige Auslandseinsätze möglich ist. Aufgewachsen ist Doser in Stuttgart, wo er an der Universität Hohenheim Biologie studierte und Ende der 80er Jahre über Lektine aus Misteln promovierte. „Lektine sind eine Art botanische Antikörper, die hochspezifisch Zuckerreste auf Zelloberflächen erkennen. Wir haben damals Mistel-Lektine analysiert und ihre Wirkung auf Tumorzellen untersucht. Lektine erkennen jedoch nicht nur Krebszellen, sondern wirken auch toxisch auf sie. Deshalb werden Misteln inzwischen therapeutisch eingesetzt, wobei die Extrakte heute teilweise auf ihren Lektingehalt hin standardisiert sind“, erklärt Doser.
Doser interessierte sich jedoch nicht nur für biologische Themen, sondern - zunächst eher hobbymäßig, wie er sagt - auch für Ingenieurthemen wie die Prozesssteuerung. Dieser Neigung hatte er es zu verdanken, dass er als Jungwissenschaftler eine Stelle am ITV Denkendorf bekam und hier in einem BMBF-geförderten Projekt an der Entwicklung eines biohybriden Pankreas mitarbeiten konnte. Der damalige Leiter der Abteilung für Biomedizintechnik und spätere Institutsdirektor Prof. Dr.-Ing. Heinrich Planck hatte die Medizintechnik am ITV Denkendorf aufgebaut und schon damals auf eine biologische Funktionalisierung gesetzt. „Wir entwickelten eine Gefäßprothese mit Langerhans-Inseln in der Gefäßwand. Das Konstrukt war zur Diabetes-Therapie gedacht und hat in vitro auch gut funktioniert, also tatsächlich Insulin produziert. In vivo sind wir im Blutkontakt jedoch auf größere Hürden gestoßen, sodass die Sache nicht weiterverfolgt wurde“, so Doser.
Seit Jahren treibt Doser die Entwicklung von Nervenleitstrukturen voran. Solche Kapillaren mit Leitfasern sollen implantiert werden, um Nerven zielgerichtet nachwachsen zu lassen.
© ITV Denkendorf
Das Projekt wurde zwar auf Eis gelegt, aber keineswegs vergessen. Aktuell überlegt Doser, die Fortschritte in Wissen und Methodik zu nutzen, um die Arbeiten wieder aufzugreifen. Zu einem strategischen Erfolg wurde das BMBF-Projekt damals trotzdem. Die damit verknüpfte Zusammenarbeit mit der Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Becker führte zur Gründung des BMOZ (Deutsches Zentrum für Biomaterialen und Organersatz e.V.) durch Planck und Becker, an dem auch Doser mitwirkte. „Das Zentrum war im Grunde ein Vorreiter für die Kompetenzzentren und Cluster, wie wir sie heute kennen. Eines der vielleicht erfolgreichsten Produkte, die wir im Rahmen des BMOZ entwickelt haben, war Suprathel®, eine innovative Wundabdeckung“, sagt Doser. Suprathel® ist ein elastischer, wasserdampfdurchlässiger und bakteriendichter Hautersatz, der die Wundheilung bei Verbrennungen unterstützt.
Produkte und Verfahren für die Regenerative Medizin
Die Wundheilung weist bereits den Weg zum innovativen Feld der Regenerativen Medizin, für die sich Doser ab der Jahrtausendwende verstärkt interessierte. So arbeitete er, zunächst im Rahmen des BMOZ, an der Entwicklung eines Polymers, das als Leitstruktur zur Nervenregeneration eingesetzt werden sollte. Grundlage war die Erkenntnis, dass durchtrennte periphere Nerven, zum Beispiel in den Gliedmaßen, wieder nachwachsen können. Ohne Ziel und Richtung führt das allerdings zu nichts, und der Nerv stellt das zaghafte „Herumirren“ schnell wieder ein. Also musste eine Leitstruktur her, die vom Körper abgebaut werden kann, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat.
Doser setzt auf regenerativ wirkende Materialien. Ein Beispiel ist die Wundabdeckung Suprathel®. Das Foto zeigt die Anwendung bei einer Lichtbogenverbrennung, also einem Elektrounfall, nach 6 Tagen. Die Wundabdeckung bleibt bis zur Abheilung auf der Haut und wird teilweise durchsichtig, darüber kommt eine Gaze und ein Verband (hier nicht sichtbar), der die Wundflüssigkeit aufnimmt und gewechselt wird.
© Marienhospital Stuttgart / Polymedics Innovations GmbH
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit dazu war eine große Herausforderung. „Resorbierbare, biokompatible Polymere waren bis dato vor allem aus Polymilchsäure. Das stellte die Regenerative Medizin vor große Probleme. Im Körper werden die Polymere zunächst zu kleinen Einheiten abgebaut, die dann mehr oder weniger alle gleichzeitig resorbiert werden. Dabei werden örtlich jedoch große Mengen Milchsäure frei, die das umliegende Gewebe irritiert und zu Entzündungsreaktionen sowie Narbenbildungen führen kann. Das ist auch der Grund, warum keine großen Platten aus solchen Bioimplantaten zur Knochenreparatur eingesetzt werden“, erklärt Doser. Im Fall des regenerierenden Nervs würde die Nervenfaser durch das Narbengewebe behindert. Also machte sich die Arbeitsgruppe auf die Suche nach einer Alternative.
Mit Caprolacton und Trimethylencarbonat wurde inzwischen eine geeignete Materialkombination gefunden, die Doser heute im Rahmen eines BMBF-geförderten Projekts der Gesundheitsregion REGiNA in Richtung Anwendung voranbringt. „In Zusammenarbeit mit der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in Tübingen und dem NMI Reutlingen konnten wir zeigen, dass sich Nerven im Tiermodell mithilfe dieser Leitstruktur über eine Distanz von bis zu zwei Zentimetern regenerieren und dass sich die Leitstruktur nach etwa einem halben Jahr komplett aufgelöst hat“, fasst Doser die Ausgangslage zusammen. Die inzwischen patentierten Nervenleitpolymere werden jetzt zur Überbrückung größerer Distanzen weiterentwickelt. Dafür werden Filamente in die kapillare Leitstruktur integriert, die mit wachstumsunterstützenden Wirkstoffen versehen sind.
Zukunftsthema Biomaterialien
Das Foto zeigt die gut abgeheilte Haut nach Anwendung von Suprathel® bei einer Lichtbogenverbrennung (nach 8 Monaten).
© Marienhospital Stuttgart / Polymedics Innovations GmbH
Regenerativen Biomaterialien wie diesen gehört laut Doser die Zukunft: „In der ‚gerichteten Geweberegeneration’ entwickeln wir Biomaterial-basierte Verfahren, um regenerative Prozesse im Körper zu steuern und gleichzeitig störende Nebeneffekte zu verhindern. Hautersatz wie Suprathel® ist dafür ebenfalls ein gutes Beispiel. Es beweist außerdem, dass man nicht unbedingt mit Zellen arbeiten muss, die sich für den therapeutischen Einsatz in letzter Zeit ohnehin zu einem zulassungstechnischen Albtraum entwickelt haben.“ Doser setzt einen Schwerpunkt auf Materialien, mit denen regenerative und wirkstofffreisetzende Systeme entwickelt werden können. Ein medizinisches Funktionsmaterial der besonderen Art, das ebenfalls im Rahmen der Gesundheitsregion REGiNA entstand, ist ein arterieller Verschlussstopfen. Damit sollen Blutgefäße in Zukunft besser abgedichtet werden können, wenn ein Katheter entfernt wird. Auch hier kommen Caprolacton und Trimethylencarbonat zum Einsatz und zudem Glycolid. In Kombination ergeben diese drei Materialien ein Copolymer, das rückstandsfrei vom Körper resorbiert wird, wenn sich die natürliche Gefäßwand regeneriert hat. „Bis Sommer 2014 erwarten wir erste Ergebnisse aus dem Tiermodell. Wenn alles weiterhin positiv verläuft, schließt sich dann ein Feintuning am Design an und danach eine umfangreiche klinische Studie für die Zulassung als Medizinprodukt“, so Doser.
Parallel zu seinen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ist er in der Lehre aktiv, und das auch noch interuniversitär: Doser engagiert sich im ersten interuniversitären Studiengang Medizintechnik, der von den beiden Universitäten Stuttgart und Tübingen eingerichtet wurde. Er hat es übernommen, hier das Thema „Regulatory Affairs“ einzubinden und lehrt über polymere Biomaterialien. Im Stuttgarter Masterstudiengang Verfahrenstechnik hat er im Rahmen seiner Honorarprofessur von Planck nach dessen Emeritierung die Koordination des Fachs „Biomedizinische Verfahrenstechnik“ übernommen, das auch gerne von Maschinenbauern und technischen Biologen belegt wird.