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Michael Schindler: Interaktion zwischen Wirt und HI-Viren

Prof. Dr. Michael Schindler erforscht die Interaktion zwischen Viren und ihren menschlichen Wirtszellen auf molekularbiologischer Ebene. Im Fokus stehen dabei die Infektion mit HI-Viren und die Mechanismen, mit denen das Virus das Immunsystem aushebelt. Schindlers Vision: eine neue Zielstruktur für eine antivirale Therapie. Damit sollen Virusinfektionen im Allgemeinen besser behandelt und HIV-Patienten im Speziellen besser geholfen werden können. Seit April 2014 hat Schindler den Lehrstuhl für „Molekulare Virologie humaner Infektionskrankheiten“ am Universitätsklinikum Tübingen inne.

Prof. Dr. Michael Schindler hat seit April 2014 den Lehrstuhl für „Molekulare Virologie humaner Infektionskrankheiten" am Tübinger Universitätsklinikum inne. © Schindler

Mit der Berufung von Prof. Dr. Michael Schindler stärkt die Universität Tübingen seit dem Frühjahr 2014 die Virenforschung in ihrem Klinikum. Einige viel beachtete Veröffentlichungen markierten bereits zuvor die Laufbahn des 36-Jährigen. Er erforscht die Interaktionen zwischen Wirt und Virus bei HI- und weiteren, für den Menschen relevanten Viren. Den Grundstein dafür legte er als Humanbiologie-Student 2002 an der Universität Ulm, wo er der erste Diplomand des frisch berufenen HIV-Forschers Prof. Dr. Frank Kirchhoff wurde, bei dem er 2006 auch promovierte. Seine Doktorarbeit führte zu einer neuen Erkenntnis in der HIV-Forschung, die entsprechende Wellen schlug: Schindler fand heraus, warum das mit HIV sehr eng verwandte SIV (Simianes Immundefizienz-Virus; Simia, lat. = Affe) bei seinen Affen-Wirten nicht zu AIDS führt.

Schindler verglich die Funktion eines ganz bestimmten viralen Proteins namens Nef beim HIV-Befall menschlicher Wirtszellen mit der Funktion des entsprechenden Proteins beim SIV-Befall des Affen. Der Forscher konnte zeigen, dass sich die Nef-Proteine - vermutlich evolutionsbedingt - so sehr unterscheiden, dass sie gegensätzlich wirken: Während Nef beim Affen eine Aktivierung von bestimmten Lymphozyten des Immunsystems (T-Helferzellen) blockiert, aktiviert es diese Zellen bei HIV-Infektionen des Menschen. Das führt schließlich mit dazu, dass sich das Immunsystem erschöpft und es zum Ausbruch von AIDS kommt. Angespornt durch diesen ersten großen Forschungserfolg blieb Schindler der molekularbiologischen Erforschung von Virus-Wirt-Interaktionen treu, stellte seine Arbeit jedoch auf eine breitere Basis.

Als Arbeitsgruppenleiter am Heinrich-Pette-Institut in Hamburg erweiterte er sein Untersuchungsfeld auf weitere HIV-Proteine und das Hepatitis-C-Virus (HCV). „Generell interessierte uns die ‚viral immune evasion’, also die Mechanismen, mit denen Virusproteine die Zelle manipulieren, sodass das Virus der Immunantwort entgehen kann“, so Schindler. Die Arbeit mit HCV begann er 2009. Erst im Frühjahr 2014 führten die Ergebnisse zu einer ersten Veröffentlichung im renommierten Fachjournal „Molecular and Cellular Proteomics“1 - eine Arbeit, bei der die Forscher das gesamte Interaktionsnetzwerk der Virusproteine in lebenden Leberzellen untersuchten. Das zeigt einmal mehr, wie lang ein Forscher-Atem in der Molekularbiologie sein muss.

Bereits in Hamburg begann Schindler auch damit, sich verstärkt für den HIV-Befall von Makrophagen, den Fresszellen des Immunsystems, zu interessieren. „Makrophagen standen noch nicht so sehr im Fokus der HIV-Forschung, denn die Haupt-Zielzellen bei einer HIV-Infektion sind die T-Zellen des Immunsystems. Es wurde aber bereits vermutet, dass Makrophagen bei der AIDS-Pathogenese eine wichtige Rolle spielen“, erzählt der Forscher und weiter: „Unsere Arbeiten haben wesentlich dazu beigetragen, diese Hypothese zu untermauern.“

Ein idealer Schutzraum für HI-Viren: Membranumhüllte Vakuolen in Makrophagen

Links: Mikroskopische Aufnahme eines HIV-1-infizierten Makrophagen mit intrazellulären Virusakkumulationen (Grün). Der zelluläre Faktor CD81 (Rot) befindet sich in denselben Regionen. Rechts: Dreidimensionale Rekonstruktion des entsprechenden Bereichs. © Schindler

2011 wechselte Schindler als Arbeitsgruppenleiter an das Helmholtz-Zentrum nach München, wo er unter anderem weiterhin auf Makrophagen setzte. Mit seinem Team erforschte er, wie neue HI-Viren in Makrophagen zusammengebaut und ausgeschleust werden. Die Beharrlichkeit zeichnete sich aus: Gemeinsam mit ehemaligen Kollegen aus Hamburg fand Schindler einen „immune evasion“-Mechanismus, wie man ihn vorher nicht kannte und der zudem klinisch relevant ist: Die Viren werden im intrazellulären Bereich der Makrophagen zusammengebaut, wobei sie in Vakuolen vorliegen und damit zum Beispiel vor Antikörpern geschützt sind. Die HI-Viren können dann aus diesen Vakuolen direkt auf T-Zellen übertragen werden.

„Wir haben es hier also mit einer Zell-zu-Tell-Transmission zu tun, bei der die Viren nicht mit dem extrazellulären Raum in Kontakt kommen und somit gegen Angriffe geschützt sind“, sagt Schindler. Nun sind Makrophagen ziemlich langlebige Zellen – sie leben mehrere Wochen bis Monate – und sie können die Blut-Hirn-Schranke passieren. Das macht sie zu einem idealen und besonders gefährlichen Reservoir und Transportvehikel für HIV. Das Team konnte seine Ergebnisse 2012 im Journal of Virology2 veröffentlichen, der Top-Zeitschrift für Virologen. „Ich hätte die Arbeit zwar gerne noch höher publiziert, andererseits bin ich aber beeindruckt, wie oft wir zitiert werden; und das ist es schließlich, was zählt“, so Schindler.

Seit April 2014 hat er nun den Lehrstuhl für „Molekulare Virologie humaner Infektionskrankheiten“ am Universitätsklinikum Tübingen inne. Er erforscht weiterhin das Wechselspiel zwischen HIV und dem Immunsystem, kann seine Arbeit zu Wirt-Virus-Interaktionen dank des akademischen Lehrstuhls jetzt jedoch noch breiter anlegen. Das heißt nicht nur, dass er auch andere virale Infektionen und die beteiligten Faktoren untersucht, sondern auch das technologische Repertoire in seinem Team ausbaut.

Bereits in Hamburg und München war Schindler daran beteiligt, die Lebendzell-Bildgebung (Life Cell Imaging) von Viren in Wirtszellen weiterzuentwickeln. „Eine Herausforderung hierbei ist, die Viren mit Fluoreszenzfarbstoffen so zu modifizieren, dass sie immer noch infektiös sind und sich effizient vermehren können“, erklärt der Forscher. Außerdem hat er Methoden entwickelt, um die Vielzahl von unterschiedlichen Virus-Wirt-Interaktionen zu untersuchen.

Dabei wurde die FRET-Technik (Förster-Resonanzenergietransfer) mit der FACS-Technologie (fluoreszenz-aktivierte Zellsortierung) kombiniert, um möglichst viele Zellen mitsamt ihrer viralen Fracht in möglichst kurzer Zeit zu analysieren. „Ich war schon immer frustriert davon, wie aufwendig es ist, eine einzelne Proteininteraktion zu charakterisieren. Mit FACS-FRET haben wir es geschafft, Protein-Protein-Interaktionen in lebenden Wirtszellen zu quantifizieren und zu visualisieren. Inzwischen stehen auch in Tübingen die Geräte und Methoden dafür bereit, sodass wir eine sehr gute Ausgangsbasis haben“, sagt Schindler. „Der Charme unserer Technik ist, dass sie nicht auf Viren begrenzt ist, sondern jede molekularbiologische Interaktion von Interesse analysiert werden kann. Außerdem bietet sie nicht nur die Möglichkeit, Interaktionen zu identifizieren und zu charakterisieren, sondern auch nach Substanzen zu suchen, die definierte Wechselwirkungen inhibieren.“

Damit rückt eine seiner Visionen in greifbare Nähe: eine konservierte Interaktion zwischen unterschiedlichen Viren und einem einzelnen Wirtsprotein zu finden und diese als neue Zielstruktur für eine antivirale Therapie nutzbar zu machen.

Funktionelle Heilung in den Bereich des Machbaren rücken

Letztendlich soll das alles einen Beitrag dazu leisten, Virusinfektionen im Allgemeinen besser behandeln und HIV-Patienten im Speziellen besser als bisher helfen zu können. Dabei geht Schindler mit dem Begriff „HIV-Heilung“ bewusst vorsichtig um. „Die Frage ist, ob wir über eine sterile Heilung sprechen, also die vollständige Eliminierung aller HI-Viren oder über eine funktionelle Heilung, die es möglich macht – vielleicht auch ohne Therapie – eine HIV-Infektion so zu kontrollieren, dass man mit ihr auch sehr langfristig leben kann.“ Dieses Ziel hält er zurzeit für das Realistischere und hofft, mit seiner Arbeit dazu beizusteuern. „Zu verstehen, wie Virusinfektionen bestimmte Mechanismen der Immunantwort unterlaufen, ist essenziell, um herauszufinden, wie man das Immunsystem stärken kann.“ Wenn der menschliche Wirt dadurch so „fit“ gemacht werden könnte, dass er eigenständig die Infektion kontrolliert, wäre viel gewonnen. Einen Schlüssel sieht Schindler darin, Teile der Immunantwort zu finden und zu analysieren, die bei einer HIV-Infektion womöglich nicht unterlaufen werden. „Es ginge dann darum, diesen Arm der Immunität zu stärken, zum Beispiel durch eine Impfung.“

Das Leben mit HIV rückt ohnehin immer stärker ins Blickfeld, wie Schindler erklärt: „Wir haben in den Industrieländern rund 25 zugelassene HIV-Wirkstoffe, mit denen die Patienten über einen inzwischen relativ langen Zeitraum überleben können, ohne an AIDS zu sterben. Die Frage ist nun, wie das Altern mit HIV aussieht, was wir tun können, um die Nebenwirkungen der Medikamente zu minimieren und das Leben mit der Infektion so gut wie möglich zu normalisieren.“

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