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Mikroalgen können mehr als Sprit

Seit Jahrzehnten schon spielen Mikroalgen eine wichtige Rolle als Futtermittel oder Nahrungsergänzungsmittel. Und sie können komplexe chemische Verbindungen herstellen. Diese sogenannte stoffliche Nutzung von Mikroalgen ist bereits ein wichtiger Wirtschaftszweig. Trotzdem redet fast jeder nur von Energieträgern, wenn es um Algenbiotechnologie geht.

In den 60er Jahren startete die Massenproduktion von Spirulina. Rund 50 Tonnen pro Jahr stellten Algenzüchter damals in großen offenen Wasserbecken pro Jahr her. Die Zeiten haben sich geändert: Spirulina gilt heute nicht mehr als Alge und die Produktionsmengen haben sich vervielfacht. Spirulina fehlt, was Algen für gewöhnlich haben – der Zellkern. Deshalb wird der Mikroorganismus inzwischen den Cyanobakterien zugerechnet. Der Begriff „Alge“ hält sich jedoch hartnäckig. Beispielsweise ist auf vielen Verpackungen von Spirulinaprodukten noch immer von Algen die Rede.
Mittlerweile werden jedes Jahr mehr als 12.000 Tonnen Biomasse aus Spirulina hergestellt. Fast 70 Prozent davon in China, Indien und Taiwan.

Nahrungs- und Futtermittel

Photobioreaktoren der Anlage in Klötze, Sachsen-Anhalt. © Bioprodukte Prof. Steinberg GmbH

Ursache für die Blaufärbung der Blaualgen, wie Cyanobakterien früher genannt wurden, ist Phycocyanin. Es wird als Farbstoff verwendet, zum Beispiel für Kosmetika oder Lebensmittel, aber auch für Fluoreszenzfärbungen in den Biowissenschaften. Weitere kommerziell genutzte Inhaltsstoffe sind die Eisen-Schwefel-Proteine Thioredoxin und Ferredoxin. Der Anteil an Spirulina, der für die Produktion von chemischen Verbindungen genutzt wird, ist aber verschwindend gering. Weil Spirulina in der Trockenmasse bis zu 70 Prozent Protein enthält und reich an Vitamin B12 ist, werden 97 Prozent der weltweiten Spirulinaproduktion als Gesamtbiomasse verwendet. Einsatzbereiche sind Futter, Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel. 75 Prozent der Spirulinaprodukte werden von Menschen verzehrt.

Eine Mikroalgenart, bei der ebenfalls der Löwenanteil der Produktion als Gesamtbiomasse verwendet wird, ist Chlorella. Auch aus Chlorella werden Nahrungs-, Nahrungsergänzungsmittel und Tierfutter gewonnen. Weltweit züchten Chlorellaproduzenten geschätzt rund 5.000 Tonnen pro Jahr. In Klötze (Sachsen-Anhalt) steht eine moderne Produktionsanlage, in der Chlorella in einem modernen Photobioreaktorsystem kultiviert wird. Meistens wird Chlorella jedoch in großen offenen Wasserbecken, sogenannten Open-Pond-Systemen, vermehrt. Tradition hat in der Mikroalgenproduktion offensichtlich noch immer ihren Platz.

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren

Manche Mikroalgenarten können mehrfach ungesättigte Fettsäuren synthetisieren. Eine besondere Rolle spielen Omega-3-Fettsäuren, eine besondere Gruppe von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Für den Stoffwechsel des Menschen sind viele Omega-3-Fettsäuren essenziell, müssen also über die Nahrung zugeführt werden. Docosahexaensäure (DHA), eine Omega-3-Fettsäure mit 22 C-Atomen, wird zum Beispiel mit den Mikroalgenarten Ulkenia und Schizochytrium hergestellt. Menschen können im Stoffwechsel DHA zwar selbst synthetisieren, brauchen dafür aber Linolensäure. Die wiederum ist essenziell, und der Mensch wandelt nur einen kleinen Teil der Linolensäure in DHA um. Eine wesentliche DHA-Quelle ist Seefisch. Da viele Menschen zu wenig Seefisch essen, ist es laut Ernährungsexperten ratsam, DHA über Nahrungsergänzungsmittel oder funktionalisierte Lebensmittel aufzunehmen. 94 Prozent der DHA-Produktion aus Ulkenia wird in funktionalisierten Lebensmitteln verwendet. Fünf Prozent sind für Nahrungsergänzungsmittel bestimmt, lediglich ein Prozent wird für Tierfutter genutzt.

Aus Schizochytrium wird zusätzlich zu DHA die mehrfach ungesättigte C20-Fettsäure Eicosapentaensäure isoliert. Auch sie ist für Menschen essenziell. Weitere relevante mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die aus Algen gewonnen werden, sind Gamma-Linolensäure und Arachidonsäure.

Carotin und Astaxanthin

Die Mikroalge Haematococcus pluvialis produziert den roten Farbstoff Astaxanthin. © Subitec GmbH

Farbstoffe sind weitere relevante Moleküle, die von Algen synthetisiert werden. Von Bedeutung sind zum Beispiel die Carotinoide ß-Carotin und Astaxanthin. Die Alge Dunaliella salina hat in der Trockenbiomasse einen ß-Carotin-Gehalt von bis zu 14 Prozent. Der Farbstoff sichert 75 Prozent des Umsatzes, den Algenbiotechnologie-Unternehmen mit Produkten aus Dunaliella salina erzielen. Der Gesamtumsatz mit Dunaliella wird auf etwa 75 Millionen US-Dollar geschätzt, 60 Millionen entfallen auf Nahrungsergänzungsmittel.

Unter den Produkten, die aus Mikroalgen isoliert und aufbereitet werden, ist Astaxanthin eines der wertvollsten. Der rötliche Farbstoff kann zum Beispiel mit Haematococcus hergestellt werden. Obwohl der Astaxanthinmarkt vom chemisch-synthetischen Astaxanthin beherrscht wird, gibt es für das natürliche Astaxanthin Interessenten. Sie sind bereit, hohe Preise für den Naturfarbstoff zu bezahlen. Die Preisangaben für natürliches Astaxanthin aus Mikroalgen liegen im Durchschnitt im Bereich von 7.000 US-Dollar pro Kilogramm. Haematococcus wird daher zu fast 90 Prozent für die Extraktion von Astaxanthin verwendet.

Das natürliche Astaxanthin wird vor allem von denjenigen Unternehmen nachgefragt, die als Komponenten nur Naturprodukte akzeptieren. Abnehmer sind zum Beispiel Kosmetikhersteller, Nahrungsmittel- und Futterproduzenten. Etwa 85 Prozent des Astaxanthins werden für Nahrungsergänzungsmittel genutzt.

Tendenz: steigend

Die stoffliche Nutzung von Mikroalgen wird nach Expertenmeinung weiter steigen. In den drei Marktsegmenten „Ernährung“, „Futter“, „Kosmetika“ werden zirka 35.000 Tonnen Algentrockenmasse verarbeitet. Mehr als 85 Prozent der Biomasse fließen in die Anwendungsbereiche „Funktionalisierte Lebensmittel“ und „Nahrungsergänzungsmittel“. Beide Märkte haben jeweils ein geschätztes Umsatzvolumen von etwa 280 Millionen US-Dollar.

Für die kommenden Jahre stehen die Chancen gut, dass Mikroalgen mehr und mehr stofflich genutzt werden, obwohl auch im Energiesektor ihre Bedeutung wächst. Mikroalgen haben als Rohstofflieferant in verschiedenen Märkten ihren Platz gefunden – als Gesamtbiomasse oder als hochwertige Extrakte.

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