zum Inhalt springen

Mit chipbasierter Messtechnik zu neuen Pharmawirkstoffen

Um den Fluss von Ionen durch Ionenkanäle in der Zellmembran zu messen, kommt klassischerweise die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Patch-Clamp-Technik zum Einsatz. Sie ermöglicht Untersuchungen zu verschiedenen Erkrankungen wie Epilepsie oder Migräne. Prof. Dr. Clemens Möller von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen arbeitet daran, diese Methode weiter zu optimieren und mit anderen biophysikalischen Messtechniken zu kombinieren.

Prof. Dr. Clemens Möller von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen modifiziert das mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Patch-Clamp Verfahren © Hochschule Albstadt-Sigmaringen/Dr. Daniel Gebhard

Ionenkanäle spielen in zahlreichen physiologischen Prozessen eine wichtige Rolle. Fehlfunktionen der Ionenkanäle können zu einer Reihe schwerwiegender Krankheiten von Herzrhythmusstörungen und Epilepsie bis hin zu Muskelschwund führen. Bei Störungen der Funktion von Ionenkanälen verringert oder vergrößert sich der Ionenstrom über die Zellmembran. Deshalb sind in der medizinischen Forschung präzise  Messungen nötig, mit denen sich dieser Ionenfluss bestimmen lässt. Die 1991 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Patch-Clamp-Technik wird dafür eingesetzt, den äußerst kleinen Stromfluss durch Ionenkanäle in einer Zellmembran zu messen und damit die Funktion der Kanäle zu untersuchen. Diese klassische manuelle Technik arbeitet mit einer fein ausgezogenen Glaspipette, die vorsichtig auf die Membran einer biologischen Zelle aufgesetzt wird.

„Ein Nachteil dieser klassischen Methode ist das hohe Maß an Feinmotorik, das die Messung dem  Anwender abverlangt. Dies verlangsamt nicht nur die Arbeitsschritte, es verlangt auch eine lange Einarbeitungszeit. Zudem benötigt die klassische Technik relativ große Mengen der zu untersuchenden Substanzen", erklärt Prof. Dr. Clemens Möller von der Fakultät Life Sciences der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Er und seine Arbeitsgruppe für Biophysik verwenden deshalb die planare Patch-Camp Technik, die für die Messungen einen Chip mit einer feinen Apertur verwendet. Hierfür setzt die Arbeitsgruppe ein Gerät der Firma Nanion Technologies ein. Mit dem Unternehmen arbeitet Prof. Möller auch bei der Geräteentwicklung zusammen.

Digitalisierung für bedienerfreundliches Messverfahren

Der Chip ist mit einer feinen Öffnung von etwa einem Mikrometer Durchmesser versehen. Auf der einen Seite des Chips werden Zellen in einer Suspension pipettiert. Dadurch verschließt eine Zelle die Öffnung im Chip. Mit einem hochempfindlichen Messverstärker kann dann der sehr geringe elektrische Stromfluss durch die Ionenkanäle in der Membran der Zelle gemessen und das Experiment digital am Computer überwacht und gesteuert werden.

Während bei der herkömmlichen Technik  der Forscher die Pipette vorsichtig auf die Zelle aufsetzen muss, wofür ein Mikromanipulator, ein optisches Mikroskop, eine ruhige Hand und sehr viel Übung benötigt werden, setzt sich bei der planaren Technik die Zelle aus einer Zellsuspension heraus auf das Loch auf dem Chip. Dadurch ergibt sich ein wesentlicher Vorteil der planaren Technik der darin besteht, dass Experimente erheblich einfacher durchführbar werden. „Dies bedeutet für uns als Hochschule, dass Studierende entsprechende Versuche bereits nach relativ kurzer Einarbeitungszeit zum Beispiel im Rahmen eines Praktikums oder einer Masterarbeit selbständig durchführen und dabei Ergebnisse gewinnen können, die für die Forschung relevant sind. Außerdem lassen sich die Experimente schneller durchführen als mit der klassischen manuellen Technik", erläutert Prof. Möller die Vorteile der Methode.

Automatisierung hilft Industrie und Forschung

Aber nicht nur für die Grundlagenforschung an der Hochschule, sondern gerade auch für die angewandte Forschung in der Pharmaindustrie ist die planare Patch-Clamp-Technik interessant, da sich mit ihr Experimente automatisieren und parallelisieren lassen. „Die Steuerung des Experiments kann vollständig von einem computergesteuerten Roboter übernommen werden. Ebenso die Zugabe von Zellen und Lösungen. Hierdurch kann ein vielfach höherer Probendurchsatz als mit der klassischen Technik erreicht werden, was die Wirkstoffsuche im Ionenkanalbereich erleichtert", erklärt Prof. Möller.  Daneben ermöglicht die planare Patch-Clamp-Technik die Analyse besonders kleiner Membranfragmente sowie den Wechsel intrazellulärer Lösungszusammensetzungen, um die Effekte von Substanzen auf der intrazellulären Seite von Ionenkanälen zu untersuchen.

Die digitale Steuerung und Messung erleichtert die Durchführung der Experimente © Prof. Dr. Clemens Möller

Beschleunigung der Wirkstoffentwicklung durch vielseitige Einsatzfähigkeit

Anhand dieser Modifizierungen werden physiologisch relevante Assayverfahren entwickelt, die sich auf automatisierten Patch-Clamp Plattformen einsetzen lassen. „Auf diese Weise können wir neben gängigen heterologen Zelllinien auch anspruchsvollere Zellsysteme wie zum Beispiel aus Stammzellen differenzierte Kardiomyozyten und neuronale Zellen im Patch-Clamp Experiment einsetzen" beschreibt Prof. Möller. Dies ist für die Medikamentenentwicklung von großem Interesse, um viele Substanzen rasch zu testen und dabei bereits aus den in vitro Assays möglichst physiologisch relevante Daten zu erhalten.

Die automatisierten Patch-Clamp Assays haben den Vorteil, dass sie funktionale Daten wie den Stromfluss durch einen Ionenkanal liefern und nicht auf indirekten Informationen wie zum Beispiel Fluoreszenzinformationen basieren. „Dadurch können viele Substanzen zum Beispiel daraufhin getestet werden, ob sie spezifische Ionenkanäle oder das Aktionspotential in Herzmuskelzellen oder in Neuronen beeinflussen. Damit können Medikamente bereits früh im Medikamentenentwicklungsprozess sehr spezifisch auf gewünschte Effekte, aber auch auf mögliche Nebenwirkungen, untersucht werden", erklärt Prof. Möller. Besonders interessant ist dabei, dass mit Hilfe des planaren Patch-Clamp untersucht werden kann, welchen Wirkmechanismus eine Substanz bei der Beeinflussung eines Ionenkanals aufweist. Dies hilft, Wirkstoffe gezielt zu entwickeln und Effekte von Substanzen zu verstehen. Um hierbei weitere Informationen über die Wirkungen von Substanzen zu erhalten, arbeitet die Gruppe auch daran, andere biophysikalische Messverfahren mit der Patch-Clamp-Technik zu kombinieren und so orthogonale Assays simultan durchzuführen. „Wir hoffen, mit unseren Entwicklungen dazu beizutragen, diese Assays aussagekräftiger und weniger fehleranfällig zu machen und die daraus resultierenden Daten besser interpretieren zu können", sagt Prof. Möller.

Neue Untersuchungen zu Antibiotikaresistenzen durch Patch-Clamp Verfahren möglich

Derzeit kommt die Messmethode auch in einem Projekt zur Untersuchung von Translokationsprozessen von Antibiotika durch Doppelmembranen zum Einsatz. Prof. Möller und seine Arbeitsgruppe untersuchen dabei Resistenzmechanismen  von Bakterien. Antibiotika müssen, um an ihren Wirkort zu gelangen, die Zellmembran von Bakterien überwinden. Dies geschieht  in einigen Fällen über Porine. Einige Bakterien entwickeln eine Resistenz gegen Antibiotika, indem bestimmte Porine so mutieren, dass Antibiotika nicht mehr durch diese hindurch und damit nicht mehr an ihren Wirkort gelangen können. „Mit der planaren Patch-Clamp-Technik können wir diesen Translokationsprozess der Antibiotika untersuchen, indem wir Membranen mit verschiedenen Porinen patch-clampen und den Stromfluss in Gegenwart verschiedener Antibiotika analysieren", erläutert der Leiter der Arbeitsgruppe. Dabei zeigen sich  charakteristische Zeitkonstanten, aus denen sich die Wechselwirkungen des Antibiotikums mit dem Kanal bestimmen lassen. Dies kann dazu beitragen, Antibiotika zu designen, die die Zellmembran auch von resistenten Bakterien überwinden können.

Hier wird deutlich, dass die Methode sowohl in der (Grundlagen-)Forschung wie auch in der konkreten Anwendung bei praxisbezogenen medizinischen Herausforderungen eine große Rolle spielt. Trotzdem sind Prof. Möller und sein Team noch nicht am Ziel. „Wir sehen immer noch erhebliches Potential, diese Technologie weiter zu entwickeln und sie mit anderen Messverfahren zu kombinieren, um sie noch vielseitiger, schneller und für spezifische Fragestellungen einsetzbar zu machen, und sie so vor allem in der Forschung und der Pharma-Industrie für weitere bisher unbeantwortete Forschungsfragen einzusetzen", sagt der Wissenschaftler abschließend.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/mit-chipbasierter-messtechnik-zu-neuen-pharmawirkstoffen