Mit diesem Navi findet das Gentaxi jetzt das Ziel
Die Gentherapie-Abteilung der Ulmer Universität verliert bald eine Arbeitsgruppe an die freie Wirtschaft, wenn alles wie geplant läuft. Das Team um Florian Kreppel will eine Technologie zu Geld machen, die kann, was andere Genfähren nicht können: ihre Fracht zielgenau adressieren. Jüngst haben die Ulmer Wissenschaftler vom Berliner Forschungsministerium (über das Förderprogramm GO-Bio) 1,7 Mio. Euro erhalten, damit sie ihr Verfahren und sich selbst zur Marktreife entwickeln.
Florian Kreppel hat Geld für die Ausgründung erhalten.
© Uni Ulm
Das Geld fließt in die Entwicklung einer neuen Plattform für genetische Impfstoffe. Diese Impfstoffe verwenden weder einen Teil oder noch den ganzen Erreger, sondern Erbgut, das für einen oder mehrere Bestandteile des Erregers codiert. So lassen die Forscher Erregerbestandteile vom Körper des Impflings selber produzieren. Damit lassen sich wesentlich bessere Immunantworten auslösen, erläutert Kreppel.
Bislang misslang es den Forschern, gegen Infektionserkrankungen wie AIDS, Malaria, Hepatitis C einen Impfstoff zu entwickeln, weil sich die Erreger in den Zellen verstecken und es nicht gelang, die Vakzine an die Immunzellen anzudocken.
Dieses Transportproblem verspricht Kreppels Technologie zu lösen: Sie bringt die von Genfähren verpackten genetischen Schnipsel an und in die richtigen Zellen, wo sie die Erregerbestandteile herstellen und die Immunantwort auslösen. Diese Zellen sind professionelle antigenpräsentierende Zellen, dendritische Zellen oder auch Makrophagen, nicht etwa Muskel- oder Gefäßzellen.
Kreppels AG verwendet verschiedene Vektoren, weshalb der Begriff Plattformtechnologie angebracht ist. Im Fall der genetischen Impfstoffe handelt es sich um entschärfte Adenoviren. Als „Gentaxi“ lassen sich auch synthetische Polymere wie Polykatione einsetzen. Dem 37-jährigen Biochemiker ist es in jahrelanger Arbeit gelungen, diesen Genfähren einen „Adressaufkleber“ zu verpassen, der nur die spezialisierten Immunzellen, antigenpräsentierenden Zellen erreicht.
Die Kunst der Etikette
Das Problem war altbekannt, die technische Umsetzung, den Schlüssel auf die Vektor-Oberfläche so zu packen, dass er ins Schloss der Immunzelle passt, indes sehr schwierig. Die Kunst der richtigen Etikettierung besteht laut Kreppel darin, die fragile biologische und physikalische Struktur der Genfähre nicht anzutasten.
Ansätze gab es in vielen Versuchen, ob mit Peptid-Liganden, zweifachspezifischen Antikörpern oder Adaptor-Domänen; über präklinische Versuche kamen sie alle nicht hinaus. An Sicherheitsbedenken scheiterten auch Versuche mit chimärischen oder Hybrid-Vektor-Fähren. Um auszuschließen, dass die Genfähren mit anderem Gewebe oder anderen Zellen spezifisch oder nichtspezifisch interagieren, hat man auch begonnen, die Viruspartikel mit Polymeren zu umhüllen.
Kreppels Idee war es, ein mildes chemisches Verfahren zur Etikettierung zu verwenden, ohne die Integrität der Genfähre zu beeinträchtigen. Damit lässt sich die Oberfläche der Adenoviren chemisch so verändern, dass diese mit beliebig großen „Adressaufklebern“ versehen werden kann, sodass die Genfähren ihren Weg finden. Der Ansatz sei universell einsetzbar, funktioniere auch bei synthetischen Polymeren und anderen Virustypen, sagt der Ulmer Biochemiker.
Der genetisch-chemische Kombieingriff in die Kapsid-Oberfläche ermöglicht das Anbringen genauer "Adressetiketten", wie das Schema zeigt.
© Kreppel, Uni Ulm
Mit minimalen genetischen Eingriffen erhält die virale Partikeloberfläche eine neue chemische Reaktivität. Dies geschieht durch eingeschleuste Thiolgruppen, womit eine kovalente, hochwirksame und spezifische Bindung von Liganden möglich wird. Diese Adressaufkleber, erläutert Florian Kreppel, können unterschiedlich groß sein und unterschiedlichen Substanzkategorien entstammen. Da es sich um ein definiertes chemisches Verfahren handelt, kann Kreppel Position und Anzahl der Etiketten steuern, die auf der viralen Partikeloberfläche angebracht werden sollen.
Die Genfähre wird injiziert, subkutan oder intramuskulär, wo sie zu den professionell antigenpräsentierenden Zellen gelangt und dort andockt. Darauf nehmen diese die Viruspartikel auf, worauf letztere sich innerhalb der Immunzellen öffnen und die genetische Information des Pathogens freisetzen. Die Freisetzung der Genfracht bei viralen Vektoren sei kein Problem und wissenschaftlich bekannt, allein die genaue Adressierung war ungelöst - bis Florian Kreppel kam.
Aus den Beschränkungen gelernt
Adenoviren dienen vermehrt als Vektoren. Diesen Trend hat der jüngst publizierte 2. Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften untermauert.
© Kreppel
Auf die Idee zum milden chemischen Verfahren brachten Kreppel und Co die jahrelangen Versuche, die Viruspartikel mit anderen Methoden mit Adressaufklebern zu versehen. Dadurch lernten sie sehr gut die großen Beschränkungen der anderen Verfahren kennen. Aus deren Kenntnis wurde, so nennt es Kreppel, in einem glücklichen Moment eine Idee geboren, wie man diese Beschränkung umgehen könnte. Dieses Verfahren haben Kreppel und Mitarbeiter in den letzten Jahren zu einer relativ großen Reife, wie er selbst sagt, entwickelt.
In dem Moment, als das Verfahren seine Funktionstüchtigkeit erwiesen hatte, war sich Kreppel auch über dessen enormes Anwendungspotenzial im Klaren, war ihm bewusst, dass das Verfahren deutlich über die Entwicklung genetischer Impfstoffe hinausreicht. Denkbar sei auch seine Anwendung in der Tumortherapie mit onkolytischen Viren.
Seit 2003 arbeiten die Wissenschaftler an dem Verfahren, 2004 wurde es in seinen wesentlichen Teilen patentgeschützt, 2005 der Wissenschaftsgemeinde vorgestellt. Die siegreiche Teilnahme am BMBF-Gründerwettbewerb „GO-Bio“ wertet Kreppels Arbeitsgruppe als externe Auszeichnung einer anwendungsnahen Spitzenforschung.
2011 soll ausgegründet werden
In zwei Jahren will Kreppels Arbeitsgruppe mit dieser Plattformtechnologie ein Unternehmen gründen. Trotz des hohen Risikos ist der Biochemiker überzeugt, binnen drei Jahren die Technologie zur Marktreife zu führen. Ist der Nachweis der Wirksamkeit vollends erbracht, wäre das ein „erheblicher Durchbruch“ für die Entwicklung genetischer Vakzine. Damit würde eine Bekämpfung von HIV, Malaria und Hepatitis C „wesentlich näher rücken“.
Kreppel, der an seine Plattformtechnologie glaubt, weiß nur zu gut, dass das gelöste Transportproblem nur ein, wenn auch wesentlicher Schritt hin zur Entwicklung genetischer Vakzine ist. Zwar gibt es Mausmodelle, aber am Menschen wurde ein genetischer Impfstoff mit Denovo noch nicht erprobt. Die in klinischen Studien verwendeten Genfähren – für klassische Gentherapie wie für genetische Impfung – erbrachten jede Menge Daten mit dem Ergebnis, dass bessere Adressaufkleber vonnöten seien.
Kreppels Ziel wird es sein, in zwei bis drei Jahren große Partner - will heißen Big Pharma - von seiner Technologie zu überzeugen und an deren Seite klinische Studien durchzuführen. Bis zur ersten genetischen Vakzine werden also noch einige Jahre ins Land ziehen.
Zwei-Säulen-Modell
Kreppels Geschäftsmodell ruht auf zwei Säulen. Mit der Vergabe von Lizenzen an Arzneimittelhersteller will das junge Unternehmen frühzeitig Umsätze schaffen und Kapitalgeber aufmerksam machen. Zur gleichen Zeit „oder einen Tick später“ wollen die Ulmer eigene spezifische Produktkandidaten wie genetische Impfstoffe gegen bestimmte Krankheiten wie Malaria entwickeln.
Mit den 1,7 Mio. Euro, die der Bund für drei Jahre gibt, will Florian Kreppel den „Proof of Concept“ der Technologie für genetische Vakzinierung im Tiermodell mit verschiedenen Modell-Antigenen erbringen. Damit lassen sich die nötigen Experimente bezahlen und eine Handvoll Mitarbeiter einstellen. Klar scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass Kreppels Team dem Biochemiker in die Selbstständigkeit folgen wird. „Ich habe die seltene Chance, meine wissenschaftlichen Ergebnisse in eine konkrete Anwendung umzusetzen. Sie ist zum Greifen nahe“, sagt der angehende Firmengründer. Die Gutachter beim BMBF hat er schon überzeugt, viele weitere müssen noch überzeugt werden.
Quellen/Literatur:
Kreppel, F., Gackowski, J. et al: Combined genetic and chemical capsid modifications enable flexible and efficient de- and retargeting of adenovirus vectors, in: Molecular Therapy (2005), S. 107-117 (doi:10.1016/j.ymthe.2005.03.006)
Corjon, S., Wortmann, A., et al.: Targeting of adenovirus vectors to the LRP Receptor Family with the high-affinity ligand RAP via combined genetic and chemical modification of the pIX capsomere, in: Molecular Therapy (2008) 16 11, 1813–1824, doi:10.1038/mt.2008.174
Müller-Röber, Bernd et al. (2009): Zweiter Gentechnologiebericht. Analyse einer Hochtechnologie in Deutschland (Forschungsberichte der Interdisziplinären Arbeitsgruppen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Band 23, S. 173ff.