Mit DNA-Origami der Zellsprache auf der Spur
Zellen besitzen ihre eigene Sprache, mit der sie sich untereinander verständigen können. Nur so können sie miteinander intakte Gewebe formen und ihren spezifischen Körperfunktionen nachkommen. Sind diese Signalwege gestört, entgleist der normale Stoffwechsel und Krankheiten können entstehen. Viele einzelne Vokabeln der Zellsprache sind bereits bekannt: Signalmoleküle, die an passende Rezeptoren binden und dadurch chemische Reaktionen im Zellinnern auslösen. Wie diese Vokabeln aber im größeren Kontext einer „Zellgrammatik“ zu Sätzen zusammenwirken, weiß man bislang noch nicht. Nun haben Forscher des KIT eine Methode entwickelt, mit der sie die Grammatik der Zellsignale entschlüsseln können.
Zellen kommunizieren bereits während der Embryonalentwicklung jedes mehrzelligen Organismus miteinander. Nur so können sich aus den beiden ursprünglichen Keimzellen in geordneter Weise unterschiedliche Gewebe und Organe bilden. Aber auch im adulten Zustand müssen sich die Zellen weiterhin miteinander austauschen, um intakte Körperfunktionen wie zum Beispiel die Immunabwehr zu gewährleisten. Viele solcher „Vokabeln“ der Zellsprache sind Signalmoleküle, die als Liganden an Transmembranrezeptoren binden, dadurch chemische Reaktionen im Zellinnern auslösen und die zu übermittelnde Information so kaskadenartig in die Zelle weiterleiten. Die Zelle gibt dann ihrerseits bei Bedarf auf ähnliche Weise eine Antwort an die nächste Zelle weiter.
Für manche Signalwege sind die einzelnen Vokabeln schon erforscht. Wie diese „Worte“ aber zu einer übergeordneten „Zellgrammatik“ zusammenwirken und eine Reaktion des Zellverbands vermitteln, ist bislang so gut wie unbekannt. Die Zellsprache deuten zu können, ist für die Wissenschaft deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich viele Krankheiten wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen auf die Fehlfunktion von Rezeptoren und Signalen in den Zellen zurückführen lassen. Die Signalwege zu verstehen bildet also die Grundlage, um zukünftige Therapien und Medikamente entwickeln zu können.
Zellsignale entschlüsseln mit extrem kleinen Systemen
Forscher am Institut für Biologische Grenzflächen (IBG1) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit der Möglichkeit, Zellsignale zu untersuchen. „Hierfür brauchen wir extrem kleine Systeme“, erklärt Prof. Dr. Christof Niemeyer, der das Institut leitet. „Wir wollen die Bindung von Molekülen im unteren Nanometerbereich untersuchen. Also wenn Rezeptor und Ligand aneinander binden, ist das ein Ereignis, das sich auf etwa zehn Nanometern abspielt. Es ist beeindruckend, dass so kleine Molekülereignisse eine riesige Zelle, die etwa zehn Mikrometer groß ist, beeinflussen können. Bekannt ist ja schon, dass die unterschiedlichsten Liganden, die an die Zelloberflächen binden, den Buchstaben und Wörtern der Zellsprache entsprechen. Wir wissen aber noch nicht, wie diese von der Zelle verwendet wird: Werden die Signale einfach nur als „Wortschwall“ ausgestoßen oder gibt es etwa einen geordneten „grammatischen Kontext“, und ist dieser abhängig von der räumlichen Anordnung der Rezeptoren in der Zellmembran?“
Um dies untersuchen zu können, entwickelten die Karlsruher Spezialisten für Nanobiotechnologie die MOSAIC-Methode (Multiscale Origami Structures as Interfaces for Cells), mit deren Hilfe Signalmoleküle definiert auf sehr kleiner Fläche positioniert werden können. „Eine solche Methode ist bisher nicht verfügbar gewesen, weil es bei der Herstellung von Strukturen in diesen Größenordnungen grundsätzlich Schwierigkeiten gab“, berichtet Niemeyer. „Normalerweise ist heutzutage die sogenannte “Top-Down-Strategie“ Standard bei der Herstellung solcher miniaturisierten Systeme; sie wird auch beispielsweise bei Computerchips angewandt, und man verkleinert einfach, was man im großen Maßstab entwickelt hat. In unserem Fall würde das bedeuten, dass man viele verschiedene, einzelne Proteine auf ganz kleinen Punkten von etwa fünf Nanometern auf einen Träger kleben müsste. Da dies mit den heute verfügbaren Top-Down-Methoden unmöglich ist, haben wir die Kombination mit dem komplementären Ansatz – „Bottom-up“ – gewählt, der die Fähigkeit von Nukleinsäuren zur Selbstorganisation nutzt.“
Mini-Steckplatten aus DNA und Proteinen
Aufnahme einer Origami-Stecktafel mit dem Rasterkraftmikroskop, auf der die Karlsruher Forscher etwa 40 Proteine zum Logo ihres Instituts zusammengesteckt haben. Mit dem MOSAIC-Verfahren lassen sich Moleküle mit hoher Genauigkeit auf den DNA-Plättchen von etwa 50 mal 100 Nanometern Größe positionieren.
© KIT
Die sogenannte „DNA-Origami-Technik“, die vor circa zehn Jahren in den USA entwickelt wurde, nutzt die Fähigkeit von DNA, sich in zwei- und dreidimensionale Formen im Nanometermaßstab falten zu lassen. „Die Idee, DNA als Konstruktionsmaterial zu verwenden, wurde bereits Ende der 1980er Jahre etabliert und hat sich in den letzten 30 Jahren sehr weiter entwickelt“, sagt der Professor. Auch die MOSAIC-Methode der KIT-Forscher nutzt kleine Plättchen aus DNA, die wie Mini-Stecktafeln im Nanometermaßstab aus einzelsträngigen, kurzen DNA-Molekülen aufgebaut sind. Die Moleküle falten sich selbstorganisiert zu einem 100 Nanometer langen und 50 Nanometer breiten Plättchen. Auf diesen DNA-Plättchen können einzelne, chemisch synthetisierte Proteinmoleküle mit molekularer Auflösung exakt positioniert werden; eine korrekte Anordnung wird mit dem Rasterkraftmikroskop überprüft. „Sind die entsprechenden Testplättchen charakterisiert, werden sie mit einem Spezialdrucker auf Glas aufgebracht und man gibt die zu untersuchende Zelllinie darauf. Wir sehen uns dann mit dem Mikroskop an, ob die Zellen auf bestimmte Nanostrukturen anders ansprechen als auf andere", erklärt Niemeyer das Testprinzip.
Für den „Proof of Principle“ wählten die Wissenschaftler den Signalweg des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF), der wesentlich an der Einleitung der Mitose beteiligt und schon relativ gut erforscht ist. „Es ist schon bekannt, wie dieser Signalweg funktioniert, und dass mit dem EGF-Liganden vier bis fünf verschiedene Signalwege im Zellinnern angesprochen werden können. Jedoch ist nicht so klar, woher die Zelle denn weiß, welche Variante nun gerade ausgeführt werden soll“, sagt der Spezialist für Nanobiotechnologie. „Bisher gab es keine Methode, mit der man solche Signale einzeln ausnummerieren kann. Durch unseren Test könnten wir nun genau untersuchen, ob bestimmte Rezeptormolekül-Cluster für die Signalintegration verantwortlich sind. Solche Molekülcluster werden bei vielen Signalwegen vermutet. Nun haben wir eine Methode, mit der dies erstmalig mit den entsprechenden Zellen untersucht werden kann.“
Zukünftige Therapien für gestörte Signalwege
Nach dem erfolgreichen „Proof of Principle“ steht für die Karlsruher Forscher in den nächsten Wochen und Monaten auch die Untersuchung weiterer Signalwege auf dem Programm: Nächstes Projekt ist in Kooperation mit Arbeitsgruppen in Heidelberg und Dortmund die Untersuchung von Signalwegen, beispielsweise der sogenannten immunologischen Synapsen, die eine entscheidende Rolle bei der Immunabwehr spielen. „Wenn wir die Prozesse verstehen, können wir prinzipiell auch die entsprechenden Medikamente für gestörte Signalwege entwickeln, aber das liegt noch weit in der Zukunft“, so Niemeyer. „Aber mit Hilfe der MOSAIC-Methode werden wir dieses Ziel nun hoffentlich wesentlich schneller erreichen.“