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Mit Metabolomics geht die Lebensmittelanalytik aufs Ganze

Die Lebensmittelanalytik der nahen Zukunft will nicht nur Spuren eines Mykotoxins oder den Gehalt eines einzelnen Nährstoffs wie Vitamin C nachweisen können. Der Anspruch ist umfassender: „Wir wollen die Wirkung von Lebensmitteln verstehen“, sagt Prof. Sabine Kulling vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe. Wie auch in anderen Bereichen der Lebenswissenschaften gilt Metabolomics als Schlüsseltechnologie für die Forschung zu Fragen der Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln.

Prof. Sabine Kulling, Institutsdirektorin am Institut für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse am MRI. © MRI

„Der große Unterschied zu früher ist, dass man die Qualität und Sicherheit eines Lebensmittels nicht mehr an einem oder wenigen Parametern festmacht, sondern an einer Vielzahl von Stoffen", erläutert Sabine Kulling die Entwicklung hin zu Metabolomics. Die Leiterin des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse verantwortet institutsübergreifend die Etablierung dieser Technologie an der Ressortforschungseinrichtung des Bundes.

Das Neuartige am methodischen Ansatz der Metabolomics ist, dass mit einer Analyse eine möglichst umfassende Anzahl von Metaboliten, bekannte wie auch unbekannte, erfasst werden. Bei der klassischen Analytik wird nur die absolute Konzentration einiger bekannter Stoffwechselverbindungen bestimmt. Dieser neue ungerichtete Ansatz hingegen erlaubt die Quantifizierung aller reproduzierbar erfassbaren Metabolite. „Mit einer einzigen Analyse wird versucht, ein Lebensmittel weitgehend zu charakterisieren; dies können leicht mehrere hundert Stoffe sein", erläutert Kulling. Zwei große Vorteile bringt die Metabolomics-Technologie mit sich: Nicht nur wird eine viel größere Anzahl von Metaboliten erfasst, sondern auch unbekannte Metaboliten können als wichtig erkannt und dann nachträglich identifiziert werden.

Die Metabolomics-Technologie wird nach Angaben der Karlsruher Forscherin in Zukunft auch bei Neuzüchtungen, bei der Verarbeitung von Lebensmitteln, wie auch beim Einsatz neuer Verarbeitungsverfahren angewandt werden. Die Technologie kann eingesetzt werden um zu klären, inwiefern sich ein neugezüchteter Apfel von den bisher gehandelten Apfelsorten unterscheidet und ob damit für den Verbraucher Vorteile (gesundheitsfördernde Stoffe) oder auch Nachteile (beispielsweise Kontaminanten im Zuge der Verarbeitung) verbunden sind. Auch die Brücke zur gesundheitsorientierten Ernährungsforschung ist mittlerweile geschlagen. Es gibt bereits Ansätze, die untersuchen, was mit Lebensmitteln und ihren Inhaltsstoffen im menschlichen Stoffwechsel passiert und welchen Einfluss die Ernährungsweise auf den menschlichen Stoffwechsel haben könnte - ein Thema, das immer schon größte öffentliche Aufmerksamkeit genossen hat.

Komplexe Analytik rückt Disziplinen aneinander

In der Lebensmittelanalytik gibt es nach Kullings Beobachtung einen klaren Trend: Lebensmittel umfassender in ihren Inhaltsstoffen und ihrer Zusammensetzung als das früher der Fall war zu charakterisieren. Das aber erfordert eine interdisziplinäre Forschung. Die Zeiten, als ein Lebensmittelchemiker seine Vitamin-C-Analyse alleine durchführte, gehören der Vergangenheit an. Denn Metabolom-Analysen erfordern angesichts riesiger Datenmengen die Zusammenarbeit mit Biostatistikern und Bioinformatikern ebenso - wie im Fall von pflanzlichen Lebensmitteln – wie es die Expertise von Biologen und Pflanzenphysiologen braucht, um die Daten zu interpretieren.

Mit der allmählichen Etablierung der Metabolomics-Technologie verlieren einfache oder zielgerichtete Analysen natürlich nicht ihre Berechtigung. Für die Beurteilung eines Lebensmittels verfügt der neue, ganzheitliche Ansatz wegen seiner deutlich größeren Informationsfülle aber über deutliche Vorteile, auch und gerade, wenn es um die Sicherheit eines Lebensmittels geht.

Metabolomics mit NMR und gekoppelter Massenspektrometrie

Zweidimensionale massenspektrometrische Aufnahme einer Tomate. © Kulling/MRI

Metabolomics-Analysen beruhen auf zwei Methoden: der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR, englisch: nuclear magnetic resonance) und dem schon lange unentbehrlichen Werkzeug der Massenspektrometrie, die jetzt umfassender und gekoppelt mit chromatographischen Methoden (Gaschromatographie und Hochflüssigkeitschromatographie) eingesetzt wird. Diese gekoppelten Methoden erlauben es, die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels besser aufzutrennen.

Am Max Rubner-Institut steht die Entwicklung von Massenspektrometrie-basierten Metabolomics-Methoden im Vordergrund. In Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT, Prof. Burkhard Luy) wird die Forschung mit NMR-gestützten Metabolom-Analysen vorangetrieben.

Am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) in Karlsruhe ist seit 2010 ein NMR-Gerät in Betrieb, das sich durch sehr einfache Probenvorbereitung, eine kurze Messzeit und einen höheren Probendurchsatz auszeichnet. Als analytischer Tausendsassa beschreibt Dr. Thomas Kuballa vom staatlichen Labor in Karlsruhe das NMR: „Die Bandbreite der Anwendungen reicht von der Identifikation und Strukturaufklärung organischer und biochemischer Moleküle bis zur quantitativen Erfassung der stofflichen Beschaffenheit komplexer Gemische wie Lebensmittel". Des Weiteren seien damit „non target-Analysen wie Echtheitsbewertung und Herkunft für bestimmte Produkte möglich", die jede bislang eingesetzte Analysentechnik in den Schatten stelle (Jahresbericht 2011 des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden Württemberg, S. 157).

Mittlerweile gibt es eine erste kommerziell erhältliche Methode (von Bruker BioSpin GmbH), mit deren Hilfe es der amtlichen Lebensmittelüberwachung möglich ist, bei Fruchtsäften Fälschungen (etwa Sortenreinheit, Verschnitt, Verdünnung) nachzuweisen. Die Methode lässt sich grundsätzlich auch für die Beurteilung von Wein oder Speiseölen einsetzen. „Das wird in Zukunft Einzug halten in amtliche Untersuchungsmethoden, wenn sie validiert sind", ist Sabine Kulling überzeugt. Im Bereich der Massenspektrometrie-Metabolomics sind nach den Worten der Karlsruher Expertin die Ausleseverfahren schwieriger, zeitaufwändiger und noch nicht standardisiert. „Das wird in den nächsten Jahren kommen." Viele der großen Unternehmen gehen diesen Weg, einige haben bereits diese neuen Analysesysteme und nutzen sie, hat Sabine Kulling beobachtet.

DNA-gestützte Analytikmethoden

Wie in anderen lebenswissenschaftlichen Bereichen auch haben sich in der Lebensmittelanalytik molekularbiologische Methoden etabliert. Nachdem sich die Real-Time PCR (Polymerase-Kettenreaktion) als gängige Methode etabliert hat, rücken mittlerweile andere DNA-gestützte Analysemethoden in den Fokus der Lebensmittelanalytik. Besonders im Blick sind Verfahren, die auch geringe Sequenzunterschiede nachweisen können.

Der Nachweis von DNA ist das analytische Mittel der Wahl bei gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln. DNA-gestützte Analytik wird aber auch eingesetzt zur „Authentizitätskontrolle“ tierischer und pflanzlicher Produkte, ebenso in der Bestimmung von Allergenen. Weitere wichtige Einsatzbereiche DNA-basierter Analytik sind die Bestimmung mikrobieller Lebensmittelkontaminationen sowie die Qualitätskontrolle bewusst eingesetzter Mikroorganismen (Produktionsstämme) in der Lebensmittelproduktion.

Inzwischen macht man sich mit der Aptamertechnik eine weitere Eigenschaft der DNA für die Untersuchung von Lebensmitteln nutzbar. Einzelsträngige DNA und RNA können in Abhängigkeit von der Sequenz durch intramolekulare Wechselwirkungen dreidimensionale Strukturen ausbilden. Diese Strukturen binden - Antikörpern ähnlich - andere Moleküle wie Proteine, Zellen oder niedermolekulare Substanzen. Dieses Bindungsverhalten macht sich die Analytik zueigen, um mit Hilfe künstlich hergestellter Aptamere Zielmoleküle spezifisch einzufangen, anzureichern und nachzuweisen. In der Lebensmittel-Analytik wird dieses Verfahren für die Untersuchung lebensmittelpathogener Mikroorganismen und in der Mykotoxinanalytik verwendet (Haase et al., S. 350).

Neue molekulare Nachweissysteme

Der Einsatz gerichteter molekularbiologischer Methoden setzt voraus, dass die Ziel-DNA-Sequenz des nachzuweisenden Organismus bekannt ist. Auch hier verspricht die rasche technologische Entwicklung der Sequenziertechniken (Next-Generation-Sequencing) Fortschritte. Nicht nur die Genome vieler Mikroorganismen sind bekannt, sondern auch viele Sequenzabschnitte und Genome lebensmittelrelevanter Pflanzen und Tiere. Eine Fundgrube für lebensmittelanalytische Anwendungen halten Sammlungen von Referenzsequenzen für alle möglichen Arten lebendiger Spezies (wie etwa das International Consortium for the Barcode of Life, siehe Link oben rechts) bereit. Ein oder zwei biologische Barcodes sollen zur eindeutigen Spezies-Identifizierung ausreichen und damit das Repertoire molekularer Nachweissysteme erweitern.

Ursprünglich in der medizinischen Diagnostik eingesetzt, wird das Verfahren der High-resolution Melting Analysis (HRMA) inzwischen auch zur Authentizitätskontrolle von Basmati-Reis oder süßer Kirschen verwendet, auch für die GVO-Analytik (Haase et al., S. 348).

Noch vergleichsweise jung ist LAMP, die Loop-mediated Isothermal Amplification, deren Bedeutung für die Lebensmittelanalytik nach Expertenmeinung wachsen wird. LAMP ist eine Anreicherungsmethode, die sich für den Vor-Ort-Einsatz eignet, da sie - anders als die PCR - keine zyklischen Temperaturverläufe benötigt. Bisher dient LAMP zum Nachweis pathogener Mikroorganismen und gentechnisch veränderter Organismen.

Bedarf für Methoden zum Nachweis der Wirksamkeit funktioneller Komponenten

Die Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie hat es in ihrer Stellungnahme zur Lebensmittel- und Ernährungsforschung (2012) auf den Punkt gebracht, ohne das Wort Metabolomics zu erwähnen: Nahrungsmittelinhaltsstoffe, welche die Gesundheit fördern. Lebensmittel und Diäten zum Erhalt körperlicher Gesundheit und der kognitiven Fähigkeiten im Alter - die kommenden Trends der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften stellen auch die Lebensmittelanalytik vor neue Herausforderungen. Die Experten sehen Bedarf bei „Methoden zum Nachweis der Wirksamkeit von funktionellen Komponenten“. Desgleichen müssten Methoden und Verfahren zum Nachweis der Wirkung komplexer Lebensmittel auf den Stoffwechsel und auf die physiologischen Prozesse nach der Nahrungsaufnahme, wie auch geeignete Biomarker entwickelt werden. Im Grunde läuft dies auf neue „Screening/Hochdurchsatz-Systeme (Bioassays, in vitro Analytik)“ hinaus, damit neue Substanzen mit nachweisbaren Wirkmechanismen entdeckt und entwickelt werden können.

Quellen:

Jahresbericht 2011-ÜBERWACHUNG LEBENSMITTEL · BEDARFSGEGENSTÄNDE · KOSMETIKA · TRINKWASSER · FUTTERMITTEL, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden Württemberg

Haase, Ilka/Vaagt, Franziska/Fischer, Markus: Trendbericht Lebensmittelchemie 2011, in: Nachrichten aus der Chemie, 60/März 2012, S. 346-351.

Schubert, Rainer/ Wimmer, Barbara, Eurofins Medigenomix, Pferd im Rind: Was steckt drin? - moderne DNA-Analytik zur Speziesbestimmung, in: labor & more, 2.13, S. 43f.

Dechema Biotechnologie: Lebensmittel- und Ernährungsforschung - Aktuelle Handlungsfelder und Forschungsbedarf. Stellungnahme der Fachgruppe Lebensmittelbiotechnologie, Frankfurt am Main 2012.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/mit-metabolomics-geht-die-lebensmittelanalytik-aufs-ganze