Mit translationaler Krebsforschung über das Tal des Todes
Es kann Jahrzehnte dauern, bis sich aus erfolgversprechenden Forschungsergebnissen eine dem Krebspatienten nützende Behandlung entwickelt hat. Die meisten Forschungsprojekte verlieren sich zwischen Labor und Krankenbett im sogenannten „Valley of Death“. Mehr für die klinische Praxis erfolgreiche Entwicklungen und kürzere Entwicklungsspannen sollen durch translationale Krebsforschung mit klinischen Wissenschaftlern erreicht werden, die sowohl Grundlagenforschung betreiben als auch Patienten behandeln können. Projekte aus dem DKFZ zeigen, dass translationale Krebsforschung funktioniert.
Von einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis zur therapeutischen Anwendung kann es fünfzehn, ja sogar dreißig Jahre dauern – viel zu lange für Krebspatienten und ihre Angehörigen. „Die Menschen erwarten von der Krebsforschung und Krebsmedizin schnelle und spürbare Fortschritte bei der Behandlung von Krebskrankheiten; diese Verbesserungen müssen unabhängig vom Wohnort zur Verfügung stehen, und sie müssen bezahlbar sein“, sagte Professor Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg anlässlich einer Veranstaltung zum Weltkrebstag am 4. Februar 2018. Die Hindernisse, an denen der Fortschritt von der Laborbank zum Krankenbett aufgehalten wird oder scheitert, bezeichnete er drastisch als das „Valley of Death“ der medizinischen Forschung. Nach Baumann gibt es eigentlich sogar zwei Todestäler – eines zwischen präklinischer und klinischer Forschung und ein weiteres zwischen der in klinischen Studien aufgezeigten Wirksamkeit und dem Nachweis eines tatsächlichen Nutzens für Patient und Gesellschaft.
Die Überbrückung des „Valley of Death“
Prof. Dr. med. Michael Baumann, Wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des DKFZ
© NCT Dresden / Philipp Benjamin
Eine Verkürzung der langen Entwicklungsspanne erhofft man sich von translationaler Krebsforschung in drei Stufen: Erstens der Entdeckung, Erfindung und Aufklärung von Krankheitsmechanismen; zweitens der präklinischen Entwicklung und Validierung von Wirkstoffkandidaten oder neuen Verfahren; drittens der klinischen Prüfung und der Einführung ins Gesundheitssystem. Voraussetzung für den Erfolg sind Multidisziplinarität und Professionalität sowie Kommunikation auf allen Ebenen. „Wir brauchen eine translationale Kultur und einen Umgang von Krebsforschern und Krebsärzten auf Augenhöhe“, so Baumann. „Clinician Scientists“, die sowohl Grundlagenforschung betreiben als auch Patienten behandeln, seien in Deutschland bisher viel zu selten.
Wie die Instrumente der translationalen Forschung die Entwicklung beschleunigen können, zeigte Dr. Stefan Pusch für den Wirkstoff BAY 1436032 auf, einem Inhibitor gegen eine für manche Tumoren charakteristische Mutation des Enzyms IDH1. In der Zusammenarbeit von Grundlagenforschung und klinischer Forschung am DKFZ und Universitätsklinikum Heidelberg (in den Klinischen Kooperationseinheiten Neuropathologie, Leitung von Professor Andreas von Deimling, und Molekulare Hämatologie/Onkologie, Leitung Professor Alwin Krämer) sowie dem Pharma-Unternehmen Bayer ist es gelungen, in der erstaunlich kurzen Zeit von fünf Jahren den Inhibitor durch die Präklinik in die klinische Prüfung zu bringen. Die Zulassung zur Behandlung bestimmter Formen von Hirntumoren und Leukämien wird wahrscheinlich rasch erfolgen.
Prof. Dr. med. Klaus Kopka, Leiter der Abteilung Radiopharmazeutische Chemie, DKFZ und DKTK.
© DKFZ
Ein weiteres Beispiel für eine gelungene Translation beschrieb der Chemiker Professor Klaus Kopka. Er hatte die Leitung der Abteilung Radiopharmazeutische Chemie am DKFZ 2013 von Professor Eisenhut übernommen. Dieser hatte mit seinen Mitarbeitern ein Markermolekül, PSMA-11, für Prostatakrebs, den weltweit häufigsten Tumor bei Männern, entwickelt, das an das Prostata-spezifische Membran-Antigen (PSMA) andockt und mit einem schwach radioaktiven Gallium-Isotop gekoppelt werden kann. Wenn diese [68Ga]Ga-PSMA-11-Verbindung als „Tracer“ den Patienten verabreicht wird, können durch bildgebende Verfahren mit einer Kombination aus Positronen-Emissions-Tomografie und Computertomografie (PET/CT) selbst kleinste Metastasen aufgespürt werden. Mit einer Halbwertszeit von etwa einer Stunde ist dabei die Strahlenbelastung durch 68Ga für die Patienten gering.
Die Evaluation des Tracers als Diagnostikum erfolgt in einer klinischen Prüfung der Phasen I und II, in der nach der PET/CT-Diagnostik Gewebeproben von 150 Prostatakrebspatienten, die bereits für eine Operation vorgemerkt worden sind, histologisch auf eine Überexpression von PSMA untersucht werden. An dieser multizentrischen Studie nehmen elf Prüfzentren in drei Ländern teil. Leiter der klinischen Prüfung ist Professor Frederik Giesel aus der Nuklearmedizin. Kopka koordiniert mit seinem Team die dezentrale Herstellung des Tracers [68Ga]Ga-PSMA-11 als klinisches Prüfpräparat in den teilnehmenden Zentren. Die Detektion mittels PET/CT und Histologie wird anschließend auf Richtigkeit miteinander verglichen. Man verspricht sich davon, die Gewebeentnahmen nach PET/CT-Diagnostik zielgerichteter vorzunehmen und damit zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Ziel ist es also, die PET/CT-Diagnostik als neue Methode der nichtinvasiven Initial- oder Primärdiagnostik des Prostatakarzinoms weiter zu entwickeln.
Das „Image of the Year“ der Society of Nuclear Medicine and Molecular Imaging, 2015, Baltimore, MD, USA: Die Wirkung von PSMA-617 bei einem Patienten mit stark metastasiertem Prostatakrebs. Das PET-Image zeigt neben den Nieren und Speicheldrüsen (große, schwarze Flecken) auch den Krebsherd und zahlreiche Tumormetastasen. Nach der Behandlung (rechtes Bild) ist eine Remission zu erkennen (rote Pfeile).
© DKFZ / Martina Benešová
Aber nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Therapie (zusammengesetzt als „Theranostikum“) kann die Substanzklasse eingesetzt werden: Die Forscher um Kopka entwickelten eine Variante des Moleküls, PSMA-617, das mit dem stark strahlenden Lutetium-Isotop 177Lu beladen werden kann. Dieses Molekül ist aus einer Doktorarbeit von Martina Benešová hervorgegangen. Die Krebszellen binden das Molekül und werden nach Aufnahme in die Krebszellen durch die Strahlung abgetötet, wie in einer Pilotstudie an 30 Männern mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom gezeigt werden konnte. Bei der Mehrzahl der Patienten kam es zu einer Reduktion der PSA-Werte im Blut. Die PET-Abbildung eines Patienten, bei dem die mit dem 68Ga-Diagnostikum nachgewiesenen Metastasen nach der Behandlung mit dem 177Lu-Therapeutikum vollständig verschwunden waren, wurde von der Society of Nuclear Medicine and Molecular Imaging als „Bild des Jahres 2015“ ausgezeichnet. Schon 2014 hatte das DKFZ das Patent für PSMA-617 an das Biotech-Unternehmen ABX GmbH auslizenziert, das schließlich nach der frühen klinischen Entwicklung 2017 eine Unterlizenz an das US-Unternehmen Endocyte übertragen hat, das nun die klinische Zulassungsstudie für das Radiopharmakon startet. Sie soll im Frühjahr 2020 beendet sein.
Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
Das mit dem [68Ga ]-Tracer in die Nuklearmedizin (Professor Uwe Haberkorn) eingeführte bildgebende Verfahren und die von Giesel und Kopka angeschobene Evaluationsstudie werden im Rahmen des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) durchgeführt und gefördert. Das DKTK war vor fünf Jahren als gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der beteiligten Bundesländer und des DKFZ gegründet worden. Es ist ein Zusammenschluss von mehr als zwanzig Institutionen und Universitätskliniken an acht Standorten in Deutschland (Berlin, Dresden, Essen/Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Heidelberg, München, Tübingen), mit dem das „Valley of Death“ der medizinischen Forschung durch interdisziplinäre Forschungsprojekte („VomLaborInDiePraxis“) an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Klinik sowie mit klinischen Studien von innovativen Diagnose- und Therapieverfahren überwunden werden soll. Kernzentrum des DKTK ist das DKFZ. Solche Strukturen und Netzwerke sind notwendig, damit der Weg vom Labor zum Patienten rasch durchschritten werden kann. „Da haben wir in den letzten Jahren viel erreicht“, betonte Baumann, „Translationsforschung funktioniert.“