Mit Transparenz gegen den Argwohn
"Kommunikation ist eine diffizile Sache. Da kann man sich gar nicht genug anstrengen", urteilt Dr. Hermann Stamm. Er selbst setzt sich für die Nanotechnologie ein. Der Physiker will zeigen, was die - von vielen gefeierte, von anderen schon wieder gefürchtete - Zukunftstechnologie heute bereits leistet und in Zukunft wahrscheinlich noch erreichen wird. Und er spricht offen darüber, wo Gefahren lauern könnten.
Hermann Stamm ist nicht der einzige angesehene Nanowissenschaftler, der sich - wie er hofft, rechtzeitig - um Transparenz bemüht. Auch Prof. Wolfgang Heckl, Leiter des Deutschen Museums sowie Physiker und Nanowissenschaftler setzt auf den Dialog. „Es reicht nicht nur eine wunderbare Forschung zu betreiben, man muss auch mit den Menschen ins Gespräch kommen“, bekennt der Münchner.
„Wir dürfen nicht überheblich sein“
"Forscher dürfen nicht überheblich sein", sagt Prof. Wolfgang Heckl (Foto: Deutsches Museum)
Es scheint, als hätte die Zunft der Nanotechnologen ihre Lehren gezogen aus den Debakeln, die anderen hoffnungsvoll gestarteten Technologien widerfahren sind.
Erinnert sei nur an den bleibenden Argwohn gegenüber der Stammzellforschung oder an den Widerstand gegen die Grüne Gentechnik. Die Schuld für die mangelnde Akzeptanz wurde oftmals den Wissenschaftlern und Industrieforschern zugeschoben, die es versäumt hätten, ein objektives Bild von den Chancen und Risiken der neuen Technologien zu vermitteln. Außerdem kam es außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs nicht sonderlich gut an, dass manche Koryphäe dem gemeinen Volk von vorneherein jedwedes Urteilsvermögen absprach mit der Begründung: Entscheiden könnten nur kundige Wissenschaftler. Wolfgang Heckl sieht das klar anders: „Wir Forscher dürfen nicht überheblich sein und sagen, wir machen das schon gut für euch.“
Beim 3. Euoscience Open Forum (ESOF) vor wenigen Tagen in Barcelona hat Hermann Stamm, der ursprünglich aus Villingen-Schwenningen kommt und heute am Institut für Gesundheit und Verbraucherschutz des Joint Research Centers der EU-Kommission forscht, gerade wieder über die Möglichkeiten und auch die potenziellen Risiken der Nanotechnologie referiert. Im Publikum saßen zwar auch Kollegen, vor allem aber Laien. Denn das Ziel von ESOF ist Wissenschaftskommunikation. Die Konferenz soll führenden Wissenschaftlern, jungen Forschern, Politikern, Wirtschaftsvertretern und Journalisten eine Plattform bieten, um die wichtigen Strömungen in der Forschung zu diskutieren und sich auszutauschen. Auch bei der AAAS im Winter in den USA hatte Hermann Stamm im Verbund mit anderen Kollegen über das Potenzial und die Ungewissheiten informiert und diskutiert.
Was ist Nanotechnologie eigentlich
Dass diese Aufgabe nicht immer einfach ist, steht außer Frage. „Viele Leute wissen gar nichts mit dem Begriff Nanotechnologie anzufangen“ räumt Hermann Stamm ein. Deshalb definiert er in seinen Vorträgen auch immer erst einmal, was Nanotechnologie eigentlich ist. Auch das ist nicht unkompliziert. Die Nanotechnologie ist kein homogenes Forschungsgebiet, sondern spielt in die Physik genauso hinein wie in die Chemie, die Biologie, die Medizin und die Materialwissenschaften.
Nanotechnologie
Ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter. Das griechische Wort „Nano“ heißt denn auch nichts anderes als Zwerg. Die Nanotechnologie beschäftigt sich mit Strukturen, die im allgemeinen kleiner als 100 Nanometer sind. Interessant sind die „Zwerge“ deshalb, weil sie durch die Kleinheit völlig neue physikalische und chemische Eigenschaften zeigen. Das wiederum ermöglicht die Entwicklung neuer Produkte mit einzigartigen Fähigkeiten und außerordentlichen Funktionen. Nanomaterialien spielen in der Computertechnik genauso eine Rolle, wie bei der Entwicklung neuer Brennstoffzellen, in der Medizin, beim Umweltschutz, in der Sicherheitstechnik, in der Kosmetik- oder der Textilindustrie. Nanostrukturen waren in der Natur immer schon vorhanden. Fetttröpfchen in der Milch oder Siliziumoxidkugeln, die Opale leuchten lassen, sind Beispiele für natürliche Nanopartikel. Neue Techniken, wie das Rastertunnelmikroskop, ermöglichen es Wissenschaftlern und Ingenieuren nun Nanostrukturen aus Atomen und Molekülen genauer zu untersuchen, zu bearbeiten und gezielte Effekte zu erzeugen, die sie zwar seit langen kannten, aber nicht technisch nutzen konnten.
Zellen der Ackerschmalwand, die mit fluoreszierenden Nanopartikeln markiert sind (Foto: Imtek)
Die Nanotechnologie wird nach Hermann Stamms Überzeugung bei der Entwicklung sauberer Energiequellen helfen, sie wird die Umweltverschmutzung vermindern und sich auch positiv bei Anwendungen in der Landwirtschaft auswirken. Die größten Vorteile verspricht sich der deutsche EU-Wissenschaftler aber von Entwicklungen im Gesundheitsbereich. Denn Medikamente im Nanoformat können sich sehr gut im Körper bewegen und gelangen auch an Stellen im Organismus, die man sonst nicht gezielt erreichen kann. „Gerade die Behandlung von Krebserkrankungen könnte sich deutlich verbessern“, sagt Herman Stamm. Die Wissenschaftler hoffen, dass sie irgendwann Wirkstoffe mit Hilfe von Nanopartikeln zielgerichtet ins Tumorgewebe bringen können. Erkennungsmoleküle auf der Oberfläche sollen dafür sorgen, dass die mit Arzneimitteln beladenen Nanopartikel auf der Hülle bestimmter Krebszellen zielsicher andocken. Genau diese Fähigkeiten, die Nanopartikel zu Wohltätern machen könnten, können sie andererseits gefährlich werden lassen. Dass Nanoteilchen die Abwehrbollwerke des Organismus überwinden können, könnte sich zum Problem auswachsen. Von vielen Stoffen, die in Makrogröße ungefährlich sind, weiß man nämlich nicht, ob sie im Nanoformat plötzlich toxisch wirken „Diese Wissenslücken müssen wir unbedingt schließen“, forderte Hermann Stamm vor viel Publikum auch in Barcelona.
Wissenschaftler selbst wünschen mehr Risikoforschung
Vielfach sind es die Wissenschaftler selbst, die über mögliche Gefahren öffentlich diskutieren. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Nature Nanotechnology (2007, Vol. 2, p732-34; Scientists worry about some risks more than public“), dass bei einer Befragung namhafte Nanowissenschaftler und Ingenieure die Gefahren die für Gesundheit und Umwelt von der Nanotechnologie ausgehen könnten, deutlich höher einschätzten als Laien. Hauptgrund für die Besorgnis: Es gibt zu wenig brauchbare Daten, die eine vernünftige Beurteilung von Nanopartikeln in ihrer Wirkung auf den menschlichen Organismus und die Umwelt zulassen. Hermann Stamm weiß sich mit vielen Kollegen einig: Die Nanotechnologie braucht noch mehr Risikoforschung.
Forscher aus dem schottischen Edinburgh dachten genauso und untersuchten, wie die bereits viel genutzten Kohlenstoffnanoröhrchen auf die Gesundheit von Mäusen einwirken. Die Ergebnisse, die das Team um Ken Donaldson vor wenigen Wochen in Nature Nanotechnology (2008, Vol. 3, p423-28) veröffentlicht hat, haben für ziemlichen Wirbel in der Nanotechnologieszene gesorgt: Bisher war man davon ausgegangen, dass hinreichend lange Kohlenstoffnanoröhrchen genauso ungefährlich sind wie Graphit und ihre Anwendung nicht mehr Risiken birgt als das Anspitzen eines Bleistifts. Doch spritzten die schottischen Forscher Kohlenstoffröhrchen in die Bauchhöhle von Mäusen, zeigten diese starke Entzündungsreaktionen und Krankheitssymptome, wie sie auch von Asbest ausgelöst werden. Für Hermann Stamm steht außer Frage, dass die Kohlenstoffnanoröhrchen nun genau zu untersuchen sind. „Über die Toxizität synthestischer Nanomaterialien wissen wir einfach noch zu wenig“, sagt der EU-Forscher ehrlich.
Engagiert im Gespräch – auch mit kritischen Medien
„NanoCare“ heißt das deutsche Projekt, das Nanomaterialien systematisch auf ihre potenziellen Risiken untersucht und standardisierte Testverfahren für derartige Prüfungen entwickelt. Gefördert wird NanoCare vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Demnächst soll mit „NanoNature“ ein weiteres Projekt gestartet werden, das nicht nur den möglichen Einsatz der Nanotechnologie in der Umwelttechnik prüfen soll, sondern auch die Auswirkungen von synthetischen Nanopartikeln und Nanomaterialien auf die Umwelt untersuchen soll.
Scheut das offene Wort nicht: Der Leiter von NanoCare Prof. Harald Krug (Foto: privat)
Auch der Leiter von NanoCare, Prof. Harald Krug, ist einer derjenigen, der das offene Wort nicht scheut. Der Toxikologe, der lange am Forschungszentrum Karlsruhe experimentierte und mittlerweile an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen forscht, spricht über die Risiken der Nanotechnologie mit Vertretern des Greenpeace-Magazins genauso frei wie mit der Wissensredaktion von SWR2. Offen kritisiert er die lange Zeit fehlenden Standards für toxikologische Untersuchungen und schimpft engagiert darüber, dass es inzwischen zu wenige Toxikologen gibt, die potenzielle Risiken überhaupt untersuchen können. „Kommunikation ist eine Säule des NanoCare-Konzepts“, erklärt der Toxikologe. „Wir haben aus der Vergangenheit gelernt und bemühen uns, vieles besser zu machen.“ Ein breites Publikum zu erreichen sei aber trotzdem schwierig, bekennt Harald Krug.
Veranstaltungen für jedermann: Der Bürgerdialog NanoCare zur „Sicheren Herstellung von Nanomaterialien“ startete im April in Hamburg an der Universität. Ende September (Sa., 27.9.) stellt sich Nanocare in München im Deutschen Museum und Ende November (Sa., 29.11.) in Dresden zum Dialog.
Im Deutschen Museum kann man immer montags, dienstags und donnerstags das „Gläserne Labor“ besuchen. Junge Wissenschaftler beantworten dort Fragen zur Nanotechnologie und erklären, was sie selbst erforschen. Im Auftrag des BMBF ist der „Nanotruck“ im Land unterwegs, der möglichst viele Menschen über die wissenschaftlichen Grundlagen und Einsatzfelder der Nanotechnologie informieren soll. Experimente, Vorträge und Diskussionsrunden sollen frühzeitig dafür sorgen, dass gar nicht erst irgendwelche Vorbehalte gegen die Nanotechnologie entstehen.