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Nachlese: Wie sieht die Zellfabrik von morgen aus?

Mit den „Zellfabriken der Zukunft“ beschäftigte sich ein Symposium des Laupheimer Unternehmens Rentschler Biotechnologie. Die von 70 Wissenschaftlern aus Industrie und Hochschule besuchte Veranstaltung soll nach dem Willen des Veranstalters künftig im Zweijahresturnus stattfinden. Neue Entwicklungen und Technologien des Biomanufacturing standen im Mittelpunkt des Kongresses, der Vorträge zu (tierischen) Zellen, Zellfabriken und zur Zukunft der rekombinanten Proteinproduktion umfasste.

Nikolaus Rentschler, Geschäftsführer der Rentschler Biotechnologie, erklärte: „Wir haben diese Veranstaltung ins Leben gerufen, um Diskussionen und Networking zu topaktuellen Themen der Zelllinien-Technologie zu verstärken und auf diese Weise die Herstellung von rekombinanten Proteinen in Zellkulturen voranzubringen.“

Den Impulsvortrag hielt Hermann Katinger, der launig und meinungsstark auf 30 Jahre Zelllinienentwicklung in tierischen Zellen zurückblickte. Katinger, einer der Pioniere der Zellkultur, promovierte als Naturtechniker 1971 zu einer Zeit, als die Biologie im Wesentlichen beschreibend war, ehe sie sich mit neuen molekularen Erkenntnissen zu einer exakten Wissenschaft entwickelte. Der Österreicher Katinger, bis 2009 Institutsdirektor für angewandte Mikrobiologie an der Wiener Universität für Bodenkultur, ist auch Gründer und Geschäftsführer der österreichischen Polymun Scientific GmbH.

Dass heute in Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters rund 70 Prozent aller rekombinanten Proteine hergestellt werden, hatte viele Gründe. Einer waren die Sicherheitsbedenken der Behörden, denn, so schilderte Katinger ein möglicherweise ausschlaggebendes Detail zugunsten der CHO-Zellen: Die Virologen des Pharmariesen Sandoz lehnten diese Zellen wegen ihrer Viruszellsicherheit entschieden ab, für Katinger ein wichtiges Indiz für den Beginn einer steilen Karriere als biopharmazeutische Produktionszelle.

Herkules-Aufgabe Hamstergenom

Adhärente CHO-Zellen in Zellkulturflasche. © Wikipedia

Über die Sequenzierung des Hamstergenoms berichtete Alfred Pühler. Der studierte Physiker, promovierte Biologe und habilitierte Genetiker ist Senior Research Professor des Centrums für Biotechnologie (CeBiTec) der Uni Bielefeld und zählt zu den einflussreichsten Biotechnologen hierzulande. Das CeBiTec verfügt über zwei Hochdurchsatzsequenzierer und eine Bioinformatik-Plattform mit ausreichender Computer- und Speicherkapazität, so dass Genome und Transkriptome jeder Größe einer Sequenzanalyse unterzogen werden können.

2009 starteten die Westfalen zusammen mit Kollegen der Wiener Universität für Bodenkultur die transkriptionelle und genomische Analyse von jeweils unterschiedlichen CHO-Zelllinien. Die Verfügbarkeit des Transkriptoms und Genoms werde es erleichtern, die biopharmazeutische Produktion mithilfe der CHO-Zellen zu verbessern.

Die Genomforscher sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass nur ein kleiner Teil des Hamstergenoms kodiert wird. Aus kombinierten Sequenzdaten mehrerer Sequenzierläufe erhielten die Bielefelder 36.000 Contigs, überlappende DNA-Stücke, die eine Länge von 500 bp aufwiesen. Insgesamt 28.000 aktive Gene in CHO-Zellen wurden ausgewertet. In den CHO-Zelllinien gibt es eine sehr hohe genomische Variation. Weitere CHO-Zelllinien mit dem CHO-Genom müssen abgeglichen werden und weitere Sequenzierungsläufe sind nach Pühlers Worten nötig, um die Funktionszuordnung der Gene zu präzisieren.

Gruppenbild der Referenten (v.l.): PD Dr. Johannes Grillari, Universität für Bodenkultur Wien; PD Dr. Dethardt Müller, Rentschler Biotechnologie GmbH; Prof. Dr. Hermann Katinger, Polymun Scientific Immunbiologische Forschung GmbH; Prof. Dr. Roland Wagner, Rentschler Biotechnologie GmbH; Prof. Dr. Thomas Noll, Universität Bielefeld; Bernd Rehberger, Rentschler Biotechnologie GmbH; Dr. Sabine Geisse, Novartis Institutes for BioMedical Research; Dr. Volker Sandig, ProBioGen AG; Dr. Aziz Cayli, Cellca GmbH. Es fehlen: Dr. Stefan Schlatter, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG; Prof. Dr. Alfred Pühler, CeBiTec Bielefeld. © Rentschler Biotechnologie

Was tun, wenn die Produktions-Plattform versagt?

Über Produktionssysteme für rekombinante Proteine, Antikörper und Viren referierte der wissenschaftliche Leiter der Berliner ProBiogen AG, Volker Sandig. Das Unternehmen versteht sich vor allem als Entwicklungspartner für Zelllinien. „Nach wie vor können bestimmte Proteine den Stoffwechsel der Wirtszelle beeinträchtigen. Diese Proteine können von der Zelle modifiziert beziehungsweise abgebaut werden oder eine Tendenz zur Fehlfaltung oder Aggregation aufweisen“, sagte der Biomediziner Sandig.

Eine Produktionsplattform zu wechseln sei sehr aufwändig und werde deshalb gemieden. In seiner Präsentation zeigte er Wege auf, wie diese Probleme durch Optimierung der Proteinfaltung, Zugabe von alternativen Zellsubstraten oder geeigneter Selektions- und Screeningverfahren überwunden werden können. Auf staunendes Interesse der Fachgemeinde stießen Sandigs Ausführungen zur Warzenentenzelle, die er als Ersatz für die Hühnereizelle zur Impfstoffproduktion vorstellte. Sie verfüge über ein „sehr menschenähnliches Muster“.

Funktionelle Genomanalyse in CHO-Zellen

Trotz aller Fortschritte ist die Entwicklung säugerzellbasierter Fermentationsprozesse immer noch auf Erfahrungen angewiesen. Nach wie vor sei das qualitative, besonders aber das quantitative Verständnis für intrazelluläre Vorgänge und deren Regulation „sehr lückenhaft“, sagte Thomas Noll vom Institut für Zellkulturtechnologie der Uni Bielefeld. Noll, wissenschaftlicher Direktor des CeBiTec, verspricht sich von der Verknüpfung der bisherigen Leitdisziplinen Zellbiologie, Molekularbiologie und Bioverfahrenstechnik mit der funktionellen Genomanalyse und der Bioinformatik Entlastung vom Kostendruck, der auch auf die teure biopharmazeutische Produktion durchschlage.

Noll erforscht die Einflussparameter unterschiedlicher Prozessbedingungen sowohl auf zellulärer als auch auf molekularer Ebene, indem er differenzielle Proteom- und interzelluläre Metabolom-Analysen durchführt. Erschwert werde die Proteom-Analyse bei Säugerzellen wie CHO durch lückenhafte CHO-Sequenzdaten, während die Metabolom-Analyse mit der mechanischen Instabilität der Zellen und deren zellulärer Kompartimentierung zu kämpfen hat.

Aufmerksame Zuhörer fanden die spannenden Vorträge auf den 1. Laupheimer Zelltagen. © Rentschler Biotechnologie

Stabile Proteinproduktion mit Minicircle-Vektoren

Für den Herstellungsprozess rekombinanter therapeutischer Proteine in Säugerzellen kommen grundsätzlich die transiente und die stabile Expression transgener Proteine in Betracht. Auf lange Sicht wird nur die stabile Variante wegen der erforderlichen Protein-Mengen und des langen Lebenszyklus der daraus entstehenden Produkte eingesetzt. Allerdings ist dieser Ansatz nach den Worten von Bernd Rehberger, Leiter der Proteinexpression bei Rentschler Biotechnologie, mit Nachteilen verbunden. Denn stabil exprimierende Produktionszellen werden hergestellt, indem ein Expressionsplasmid in die genomische DNA der Wirtszelle eingefügt wird. Diese Integration geschieht jedoch zufällig, so dass langwierige und aufwändige Selektion und Screeningverfahren nötig sind, um die effektivste Produktionszelle zu ermitteln.

Deshalb werden zur Zeit alternative Integrationsverfahren getestet. Rehberger stellte einen davon abweichenden Ansatz vor: S/MAR Minicircles. Diese ringförmigen, extrem verdrillten DNA-Vektor-Moleküle entstehen aus Parentalplasmiden. Ihr Vorteil: Sie enthalten keine unerwünschten bakteriellen Spuren oder Elemente aus dem Parentalplasmid, die die Transgen-Expression stören. Kombiniert man, so Rehberger weiter, diese Miniringe mit S/MAR-Elementen - das sind kurze DNA-Stücke, die an die Zellkern-Matrix binden und aktive von inaktiven DNA-Bereichen isolieren -, lässt sich die Integration des Vektors ins Genom umgehen. Vielmehr werde die Transgen-Expression durch episomale Replikation dieser Mini-Ringe erreicht. Einmal im Zellkern angeheftet, werden die DNA-Minicircles bei jeder Zellteilung weiter vererbt und gleichbleibend abgelesen.

Wer kennt schon alle Bedürfnisse der Zelle?

Das Lob der Einfachheit sang Aziz Cayli, Geschäftsführer der in Laupheim ansässigen Cellca GmbH. Immer noch, so der Biotechnologe, habe die Medienentwicklung einen „Trial and Error“-Charakter, trotz der Tatsache, dass Hochleistungsmedien bereits Konzentrationen von über zehn Millionen Zellen pro Milliliter im Batch-Verfahren ermöglichen. Da komplexe Inhaltsstoffe wie Hydrolysate oder Serum heutzutage vermieden werden, müssen den Medienrezepturen zum Erreichen der gleichen Leistung mehr Chemikalien (vor allem Spurenelemente) zugesetzt werden. Als Konsequenz daraus enthalten die Rezepturen der modernen Medien mehr Inhaltsstoffe als diejenigen, die in den sechziger Jahren veröffentlicht wurden.

Bis heute habe man nicht wirklich verstanden, was Zellen unbedingt brauchen und welche Zusatzstoffe zuträglich, aber optional sind. Die zukünftige Herausforderung liegt nach Caylis Überzeugung daher darin, einen rationalen Ansatz bei der Medienentwicklung zu finden und die Bedürfnisse der Zellen zu verstehen. Sobald man den Zellmetabolismus versteht, könne man Zellwachstum, Proteinproduktion und -qualität durch die Anwendung spezifischer Nahrungscocktails in die gewünschte Richtung lenken.

Wie produziert man ein Happy Protein?

Expertenplausch bei Rentschler in Laupheim. © Rentschler Biotechnologie

Sabine Geisse, Senior Scientific Expert am Novartis Institutes for BioMedical Research, stellte zwei Fragen in den Mittelpunkt ihrer Präsentation: Wie produziert man ein „happy protein“ in ausreichender Menge und Qualität? Und wie findet man die beste Übereinstimmung zwischen dem individuellen Charakter des zu produzierenden Proteins mit der Vielfalt der möglichen Expressionstechnologien?

In ihrer Präsentation ging sie auf diverse problematische Aspekte, welche die Proteinexpression behindern können, ein und diskutierte deren mögliche Ursachen. Geisse beschrieb Lösungsvorschläge, die auf praktischen Erfahrungen mit Signalpeptiden, Tags und verschiedenen Wirtszellen basieren und stellte zur Diskussion, ob multiparallele Expressionsversuche einen Vorteil gegenüber einem mehr standardisierten Vorgehen bringen.

Großer Auftritt kleiner RNA

Johannes Grillari von der Universität für Bodenkultur in Wien referierte über Micro-RNAs (miRNAs) und deren Rolle bei der CHO-Zellalterung. „Es gibt immer noch keinen Marker für das biologische Altern bei Menschen. Wir haben vor kurzem miRNAs im Serum entdeckt, deren Menge im Alter zunimmt. Eine dieser miRNAs scheint die Bildung von Osteoblasten zu hemmen, was zu einem Verlust der Knochendichte und damit zu Osteoporose führen könnte.“
Grillari und seine Kollegen konnten zeigen, dass miRNA-Signaturen Marker für den Status von CHO-Zellen darstellen. „Wir halten die miRNAs für neue Marker in CHO-Zellen, die eine wichtige Rolle für das Design von Zellfabriken spielen und darüber hinaus auch als neue Werkzeuge und Targets für die Zelllinienentwicklung eingesetzt werden können.

Time is money

Stefan Schlatter stellte Boehringer Ingelheims Technologie-Plattform für Proteinexpression vor, die eine schnelle Prozessentwicklung zur biopharmazeutischen Herstellung mit CHO-Zellen ermöglicht. Die Zeit bis zur Herstellung von Klinikware, so Schlatter, werde verkürzt, indem mehrere aufeinander abgestimmte Technologieplattformen kombiniert werden.

Essenziell sei es, sich frühzeitig auf einen „robusten kommerziellen Prozess, gute Produktqualität und -sicherheit sowie die Vergleichbarkeit zu konzentrieren, damit Zeit und Kosten im späteren Verlauf gespart werden können. Hierzu zählen nach Schlatters Worten neue genetische Elemente, Selektionsstrategien, ein automatisiertes Hochdurchsatzscreening, Ernteoptimierung und die Einführung neuer Einweg-Technologien (Disposable Technologies). Mit dieser BI-HEX genannten Plattform erzeugt das Pharma-Unternehmen am Standort in Biberach Zellen mit spezifischen Produktivitäten über 100 Pikogramm (ein Billionstel Gramm) pro Zelle; in kumulierten Fed-Batch-Prozessen sind Ausbeuten von mehr als acht Gramm pro Liter möglich, ohne Einbußen bei Produktqualität und Bioaktivität der rekombinanten Antikörper zu riskieren.

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