Nasentropfen statt Transplantation
Einfach und genial - diese Formel hat schon oft den entscheidenden Fortschritt gebracht. So auch bei der Tübinger Wissenschaftlerin Dr. Lusine Danielyan. Sie hat eine Methode entwickelt, um Tieren ohne Spritzen und Operation therapeutische Zellen zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen zu verabreichen: Die Tiere atmen die Zellsuspension einfach ein. Dafür erhielt sie im September 2009 den baden-württembergischen Forschungspreis für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch.
2007 wurden allein in Baden-Württemberg rund 570.000 Tiere bei Versuchen eingesetzt - in der Grundlagenforschung ebenso wie für Toxizitätstests neuer Chemikalien und zur Überprüfung von Medikamenten auf Wirkungen und Nebenwirkungen. Um die Anzahl von Tierversuchen und die Belastung der Tiere so gering wie möglich zu halten, wird an der Forscherfront vielgleisig nach Alternativen gesucht.
Dr. Lusine Danielyan, Universitätsklinikum Tübingen
© privat
Das Land Baden-Württemberg würdigt und fördert diese wissenschaftlichen Anstrengungen, indem es jährlich einen Forschungspreis für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch ausschreibt. Er ist mit bis zu 25.000 Euro dotiert und ging 2009 zu gleichen Teilen an zwei Wissenschaftler in Ulm und in Tübingen.
Am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Uni Tübingen arbeitet Dr. Lusine Danielyan. Sie leitet das zellbiologische Labor der Abteilung für Klinische Pharmakologie. Den Forschungspreis erhielt sie für die Entwicklung eines innovativen und schonenden Verfahrens bei der Arbeit mit Versuchstieren, genauer gesagt mit Mäusen und Ratten. Sie werden unter anderem eingesetzt, um einen Weg zu finden, schwere neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und Huntington zu heilen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Behandlung mit therapeutischen Stammzellen. Um sie an ihren Wirkort im Gehirn zu bringen, wurden sie den Tieren bisher meist operativ transplantiert.
Nicht-invasiv und ohne Schmerzen
Danielyans Methode erlaubt eine wesentlich einfachere Applikation und stellt eine gute Übertragbarkeit auf den Menschen in Aussicht. Den Tieren wird ein Tropfen Stammzell-Suspension außen ans Nasenloch geträufelt. „Wir müssen nicht einmal eine Pipette in das Nasenloch führen, die Zellen werden auch so einfach reflektorisch eingeatmet“, sagt Danielyan. Die Haut wird dabei nicht geschädigt, die Zellsuspension enthält keine kritischen Bestandteile, sondern lediglich die Zellen in einer Salzlösung. Sie gelangen über den eingesogenen Luftstrom zur Nasenschleimhaut, passieren sie, und ein therapeutisch relevanter Prozentsatz der Zellen wandert ins Gehirn. „Das Verfahren wird von den Tieren sehr gut toleriert, wir müssen sie nur über einige Tage hinweg daran gewöhnen, dass ihnen ein Tropfen an die Nase gesetzt wird“, so Danielyan. Im Gegensatz zu intravenösen oder operativen Methoden müssen die Tiere bei der nasalen Applikation auch nicht betäubt werden – wenn die Mitarbeiter erfahren sind, wie Danielayn sagt: „Mit Mäusen ist es relativ einfach, die können gut mit einer Hand gehalten werden. Mit den größeren Ratten ist das schon kniffliger, sie lassen sich unter leichter Narkose oft besser fixieren.“
Die neue Methode zur Stammzell-Applikation ist nicht nur tierschonend, sondern bisher auch sehr erfolgreich. Die Zellen werden mit GFP (Green Fluorescent Protein) markiert, damit ihr Verbleib mit bildgebenden Verfahren durch das grüne Leuchten detektiert werden kann. „Bereits ein bis vier Stunden nach der Applikation finden wir bis zu sechs Prozent der Zellen im Gehirn. Das ist im Vergleich zu einer intravenösen Gabe sehr viel, dort finden wir nur 0,005 Prozent der Zellen im Gehirn wieder. Der nasale Zugangsweg eröffnet uns also die Möglichkeit, chronisch zu applizieren und damit eine therapeutische Konzentration im Gehirn anzuhäufen“, erklärt Danielyan.
Es funktioniert und zeigt therapeutische Effekte
Mesenchymale Stammzellen (GFP markiert, grün fluoreszierende Zellen im Bild) im Bulbus oflactorius (olfactory bulb, OB) nach intranasaler Applikation. Der Hirnschnitt ist mit DAPI (Nukleus-Anfärbung) angefärbt, um die Hirnstrukturen besser sichtbar zu machen.
© Dr. Lusine Danielyan, Uni Tübingen
Der Erfolg hat sich in Fachkreisen schnell herumgesprochen: Hunderte von Arbeitsgruppen haben die Methode inzwischen aufgegriffen, wie Danielayn sagt, „darunter Teams aus USA, China, Korea und Holland". Eine schonende und gut funktionierende Applikation ist jedoch nur eine Seite der Erfolgsmedaille. Die andere ist die Frage nach der Wirkung. Auch hier kann Danielyan Positives vermelden: „Wir sehen unglaubliche therapeutische Effekte. Bisher haben wir mit mesenchymalen Stammzellen aus dem Knochenmark gearbeitet und festgestellt, dass sie tatsächlich lange Zeit, das heißt bis zu einem halben Jahr überleben." Und das ist viel, bedenkt man die im Vergleich zum Menschen deutlich kürzere Lebensspanne der Nager.
Auch mit Gliazellen und mit neuralen Vorläuferzellen fanden bereits erste Versuche statt. „Es scheint zu funktionieren, aber es ist noch zu früh, um etwas über die therapeutischen Effekte mit diesen Zellen zu sagen", sagt Danielayn, die mit ihrer Gruppe das Thema intensiv weiter bearbeitet. Dabei kooperiert sie mit der Forschergruppe von William H. Frey, dem Direktor des renommierten Alzheimer Research Center in St. Paul, USA. „Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung mit intranasalen Applikationen und hatte bei Alzheimer bereits Erfolg mit der Gabe von Insulin. Es kann ebenfalls auf diesem Weg ins Gehirn gelangen und so die kognitiven Fähigkeiten verbessern. Wir sind sehr froh über Freys Unterstützung und publizieren auch gemeinsam", so Danielyan.
Bis die nasale Stammzell-Applikation am Menschen klinisch erprobt werden kann, wird es trotz aller Fortschritte noch dauern. Etwa fünf Jahre schätzt Danielyan. Zum Beispiel muss noch untersucht werden, wie die nasale Schleimhaut auf eine Dauergabe von Zellen reagiert. Forschungen zur therapeutischen Effizienz der nasal verabreichten Stammzellen bei bestimmten Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer laufen bereits und sollen noch weiter ausgebaut werden. Die klinischen Studien will Danielyan später gemeinsam mit einem Pharmaunternehmen angehen, das die immensen Kosten stemmen kann. „Der Weg über Studien bis zur Zulassung ist ohne die Industrie nicht zu schaffen", so die Wissenschaftlerin.