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Neuer Ansatzpunkt für Therapien gegen Depressionen

Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe einmal im Leben an einer Depression. Sie ist die häufigste psychische Störung, sie ist ernst zu nehmen und behandlungsbedürftig. Es gibt diverse Therapien, die auf unterschiedliche Art wirken. Wie und wo Therapien wirken, war bisher ungeklärt. Prof. Dr. Dietrich van Calker und Prof. Dr. Knut Biber, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg, haben auf der Suche nach einem Wirkmechanismus ein neues Molekül gefunden. Es fungiert offensichtlich als Schaltstelle für den Effekt verschiedener antidepressiver Therapien. Das Protein Homer1a könnte zukünftig vielleicht ein Ansatzpunkt für neue Therapien sein.

Prof. Dr. Dietrich van Calker analysiert die molekularen Ursachen von Depressionen. © Prof. Dr. Dietrich van Calker, Universitätsklinik Freiburg

Wenn Freudlosigkeit, innere Leere, Antriebslosigkeit und sogar Suizidgedanken sich beständig breit machen und die einfachsten Dinge wie Körperpflege fast unmöglich sind, kann das ein Zeichen für eine Depression sein. Oft wird „depressiv“ gleichbedeutend mit verstimmt verwendet. Die Depression dauert jedoch meist viel länger als zwei Wochen und entzieht sich völlig der Beeinflussung durch Willenskraft oder Zuspruch. Sie ist eine lebensbedrohliche Krankheit, die behandelt werden muss und auch gut behandelt werden kann. Eine depressive Episode kann häufiger als einmal auftreten. „Etwa die Hälfte der Depressionsfälle sind einmalig, man hat eine Depression im Leben und dann nie wieder“, sagt Prof. Dr. Dietrich van Calker von der Sektion Psychopharmakotherapie an der Psychiatrie der Universitätsklinik Freiburg, „leider ist die andere Hälfte aber rezidivierend. Das heißt, wer einmal eine Depression hatte, hat ein erhöhtes Risiko für eine weitere.“

Die Wirkmechanismen der Medikamente zur Therapie sind nur wenig verstanden. Ein Problem der Pharmakotherapie ist, dass zwischen Medikamentengabe und dem Wirkungseintritt mehrere Wochen liegen.

Freude als Dreh- und Angelpunkt

Eine Depression beginnt oft mit unspezifischen somatischen Anzeichen wie Kopfdruck oder Magenschmerzen. Daher wird oft eine Depression nicht gleich als solche erkannt und führt den Patienten zunächst zum Hausarzt. „Ist der Arzt gut, kommt er auf die Idee, den Patienten explizit zu fragen: Können sie sich eigentlich noch freuen?“, betont van Calker. Eine ganz simple Frage, die dennoch den Kern der Erkrankung trifft. Die klassischen Auslöser für eine Depression sind Beziehungskonflikte, pathologische Trauer und Einsamkeit. Die Ursachen sind nur teilweise verstanden, da ihr Zusammenwirken sehr komplex ist. Vermutlich vermitteln viele Faktoren wie genetische Veranlagung, Persönlichkeit und Umweltfaktoren die Entwicklung einer Depression.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei jeder Depression die Ausschüttung und die Wiederaufnahme von Serotonin oder Noradrenalin oder beider Botenstoffe gestört sind. Warum aber verhalten sich die Neurotransmitter im Gehirn bei Depression anders und wie wirken antidepressive Therapien genau? Um die neurobiologischen Effekte in der Antidepressionstherapie besser zu verstehen, haben van Calker und Biber analysiert, wie sich verschiedene Therapien in einem Maus-Depressionsmodell auf die Tiere auswirken. Für dieses Modell erzeugen die Forscher eine depressionsähnliche Symptomatik in der Maus, indem sie sie unter Stress setzen.

Die Maus wird dafür in einen Behälter mit Wasser gesetzt und muss schwimmen. Zwar können die Tiere gut schwimmen, tun es aber nicht gerne und geraten unter Stress. „Irgendwann schwimmen sie nicht mehr, sondern legen sich auf den Rücken und lassen sich treiben“, erzählt van Calker, „sie zeigen ein adaptives Verhalten, um Energie zu sparen.“ Neben der Antriebsstörung ist bei Mäusen auch die Anhedonie, der Verlust des Empfindens von Glück und Freude messbar. Die sonst so geliebte Zuckerlösung wird von den Tieren im depressionsähnlichen Zustand nicht mehr deutlich häufiger dem Wasser gegenüber bevorzugt. Interessant ist der Effekt von antidepressiven Medikamenten. „Die Maus paddelt länger und setzt sich länger zur Wehr, wenn man ihr Antidepressiva gibt“, so der Psychiater.

EKT, Schlafentzug und Ketamin

Schlafentzug hat bei 60 % der Patienten mit Depression eine positive Wirkung - allerdings nur bis zur nächsten Nachtruhe. © Heyl, modifiziert nach Wilhelm Busch (1832-1908)

Die meisten Antidepressiva wirken, indem die serotonerge oder noradrenerge Neurotransmission in den Nervenzellen verstärkt wird. Das geschieht im Grunde indirekt bei beispielsweise Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Sie hemmen die Wiederaufnahme des Serotonins, die normalerweise seine Wirkung begrenzt. Auf die Art wird bei der Postsynapse eine stärkere Wirkung des Serotonins hervorgerufen. Allgemein werden derartige Pharmakotherapien gut vertragen, aber die Wirkung lässt Wochen auf sich warten. Zudem kommt es zu Nebenwirkungen wie starke innere Unruhe, Müdigkeit und sexuelle Dysfunktion. Neben den antidepressiven Medikamenten sind auch Elektrokonvulsionstherapie (EKT), Schlafentzug und der nicht zugelassene Wirkstoff Ketamin bei der Depressionsbehandlung erfolgreich. Die EKT erfordert einen stationären Aufenthalt, bei dem unter Narkose mittels Elektroden elektrische Reize einen Krampfanfall im Gehirn auslösen. Dies ist vor allem auch bei therapieresistenten Patienten eine sehr gut wirksame Behandlung.

Nach einer durchwachten Nacht sind immerhin 60 % der Patienten ihre Depression los - allerdings hält die positive Wirkung nur bis zum nächsten Nachtschlaf. „Wenn sie wieder schlafen, ist die Depression wieder da“, meint van Calker. Versuche, den Schlafentzug als Therapie zu etablieren, scheiterten an der Nichtvereinbarkeit mit einem funktionierenden Sozialleben.

Das Narkosemittel Ketamin ist, bei niedriger Dosierung, zunehmend als Mittel gegen Depressionen in der Diskussion. Sein Vorteil liegt in dem sehr raschen Wirkungseintritt von nur wenigen Stunden. Sein Nachteil sind die hohen Nebenwirkungen, wie die Auslösung von Amnesien und Pseudohalluzinationen durch Überstimulierung des Gehirns.

Homer1a als Schaltstelle

EKT und Schlafentzug haben eine gemeinsame biochemische Wirkung, die Vermehrung der Bindungsstellen für Adenosin. Adenosin ist ein Botenstoff im Gehirn, der vor allem für seine Müdigkeitswirkung bekannt ist. Bestimmte Rezeptoren für Adenosin haben durch ihre Aktivierungauch antidepressive Wirkung. Van Calker und Biber konnten dies an genetisch veränderten Mäusen zeigen, die diese Rezeptoren vermehrt bilden. Sie zeigten weiter, dass diese antidepressive Wirkung der Aktivierung der Adenosinrezeptoren über das Protein Homer1a vermittelt wird. Homer1a dient der Regulation von Signalen zwischen Nervenzellen und wird schon wenige Minuten nach Stimulation der Zelle aktiviert. Homer1a hemmt die Wirkung bestimmter Rezeptoren in Neuronen. „Die Funktion von Homer1a ist vermutlich, bestehende Verknüpfungen zwischen Nervenzellen abzuändern, um neue Verknüpfungen zu ermöglichen“, erklärt van Calker. Diese Flexibilität ermöglicht es dem Gehirn, sich besser an Veränderungen anzupassen.

Die Forscher fanden, dass Homer1a bei depressionsähnlichem Verhalten herunterreguliert ist und durch antidepressive Maßnahmen hochreguliert wird. Erstaunlich ist dabei, dass der Effekt unabhängig von der Art der Therapie ist und in gleicher Weise bei EKT, Schlafentzug, Antidepressiva und Ketamin zu finden ist. Durch einen Homer1a-Knockout konnten van Calker und Biber beweisen, dass Homer1a tatsächlich für die antidepressive Wirkung notwendig ist, da sämtliche Therapien nicht mehr anschlugen. Die erhöhte Expression von Homer1a ist also Teil eines gemeinsamen Signalwegs, der antidepressive Effekte vermittelt. Die nächste Frage lautet nun: „Kann man diese Wirkung auch anders erzeugen?“ Durch welche Substanzen oder gezielte Aktivierungen kann man die Homer1a-Expression im Gehirn erhöhen, um nebenwirkungsärmere, sozialverträglichere und schnellere Therapien gegen Depressionen zu erhalten? Van Calker, der seit zwei Monaten zwar in Rente, aber noch praktizierender Psychiater ist, wird diesen Entwicklungen weiterhin beratend beiseite stehen.

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