Neuer SFB untersucht das Therapieversagen bei Krebs
Zum 1. Juli 2008 startete an der Universität Tübingen der Sonderforschungsbereich (SFB) 773 "Therapieresistenz solider Tumoren und ihre Überwindung". Um die grundlegenden Mechanismen dieser Resistenzentwicklung aufklären zu können, stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den nächsten vier Jahren 9,1 Millionen Euro zur Verfügung. Doch die beteiligten Arbeitsgruppen denken bereits einen Schritt weiter – denn die Entwicklung neuartiger Chemotherapeutika ist ihr eigentliches Ziel.
Manchmal müssen Wissenschaftler nicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, sondern auch den richtigen Antrag schreiben. Diese Erfahrung machte eine Gruppe Tübinger Krebsforscher, als sie vor drei Jahren erstmals über die Idee für einen neuen SFB nachdachte. Statt sich mit den Ursachen der Krebsentstehung (Onkogenese) zu beschäftigen, wollten sie lieber der Frage nachgehen, warum die Radio- und Chemotherapie bei so vielen Krebserkrankungen kläglich versagt - und bewiesen damit einen guten Riecher.
Prof. Dr. Sebastian Wesselborg ist Sprecher des SFB 773. (Foto: BioRegio STERN)
Fast zur gleichen Zeit nämlich debattierte ein Expertengremium des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über die künftige Ausrichtung der medizinischen Forschung in Deutschland. „Sie kamen zu dem Schluss, dass bei der Erforschung der Therapieresistenz von Tumoren dringender Handlungsbedarf besteht“, berichtet Professor Dr. Sebastian Wesselborg von der Abteilung Innere Medizin I am Universitätsklinikum Tübingen (UKT). „Das wussten wir nicht, als wir 2006 den Antrag stellten, aber natürlich fiel unser Themenvorschlag bei den Gutachtern der DFG damit auf äußerst fruchtbaren Boden“, so der Biologe, der inzwischen als Sprecher des neuen SFB fungiert.
Tübingen schnürt das perfekte Gesamtpaket
Dass die Tübinger Forscher ihren Antrag bewilligt bekamen, lag aber nicht allein an der guten Idee, sondern auch an den beteiligten Personen. „In Deutschland gibt es aktuell nur wenige Standorte, die im Bereich der Onkologie so viele hervorragende Arbeitsgruppen vorweisen können wie wir“, sagt Wesselborg, „und zudem verfügt die Universität über ein exzellent vernetztes Umfeld“. Letzteres spiegelt sich auch in der Projektverteilung wider. So sind neben der medizinischen noch die biologische und die chemisch-pharmazeutische Fakultät an dem SFB beteiligt.
Und letztlich hat auch das langfristige Konzept die Gutachter der DFG überzeugt. „Wir wollen nämlich nicht nur die grundlegenden Mechanismen der Radio- und Chemoresistenz von Tumoren erforschen, sondern auch neue Strategien entwickeln, wie man diese Therapieresistenz erfolgreich überwinden kann“, so Wesselborg. Schließlich sollen die Ergebnisse der Forschungsarbeit zielgerichtet in neue Therapien münden.
Therapieresistenz fordert viele Todesopfer
Dass gerade die Therapieresistenz in den vergangenen Jahren so stark in den Mittelpunkt des Interesses rückte, erklärt Wesselborg damit: „Die Krebszellen entwickeln Resistenzen gegen die Therapie, um selbst zu überleben – und richten dabei den gesamten Organismus zugrunde. Deshalb ist jeder Patient, der seinem Krebsleiden erliegt, letztlich das Opfer eines therapieresistenten Tumors.“ Und gerade bei den soliden Tumoren - wie beispielsweise dem Brustkrebs oder den Gehirntumoren - ist die Todesrate nach wie vor hoch. Ein Grund mehr für die Tübinger Forscher, sich auf diese zu konzentrieren.
Tumorzellen können auf verschiedenen Wegen eine Therapieresistenz entwickeln. Bisher wurden sechs grundlegende Mechanismen identifiziert, die im Rahmen des SFB jetzt im Detail analysiert werden sollen. So beschäftigen sich gleich mehrere Projekte mit den molekularen Vorgängen beim programmierten Zelltod (Apoptose). Die Aktivierung dieses zellulären Selbstmordprogramms stellt einen zentralen Wirkmechanismus der Radio- und Chemotherapie dar. Tumorzellen jedoch können dieses Zelltodprogramm inaktivieren und damit ihr Überleben sichern. „Wir haben jetzt einen neuartigen Apoptose-Signalweg identifiziert und festgestellt, dass wenn man bestimmte Kinasen in diesem Signalweg hemmt, auch resistente Tumorzellen eliminiert werden können. Gelingt es uns, Substanzen zu finden, die diese Kinasen gezielt angreifen, dann verfügen wir über eine neue Generation hochwirksamer Chemotherapeutika“, beschreibt Wesselborg die Forschungsaktivitäten seiner eigenen Arbeitsgruppe.
Gezielte Attacke auf die Achillesferse des Tumors
Andere Projekte hingegen konzentrieren sich auf die Funktion und Eigenschaften von Tumor-Stammzellen. Diese Zellpopulation, die erst vor fünf Jahren entdeckt wurde, unterscheidet sich von anderen entarteten Zellen vor allem durch eine deutlich geringere Proliferation. „Da die Tumor-Stammzellen sich nur sehr langsam teilen, sind sie aber unempfindlich gegenüber der klassischen Strahlentherapie, deren Wirkmechanismus auf Zellen mit einer hohen Teilungsrate gerichtet ist“, so Wesselborg. Die überlebenden Tumor-Stammzellen sind dann in der Lage, neue therapieresistente Tumorzellen zu bilden, die für das erneute Wachstum (Rezidiv) des Tumors verantwortlich sind. „Die selektive Zerstörung von Tumor-Stammzellen könnte deshalb ein neuer, erfolgversprechender Ansatz in der Krebstherapie sein“, vermutet Wesselborg.
Auffällige Strukturunterschiede zwischen normalen (links) und apoptotischen Zellen (rechts). (Foto: Wesselborg, UKT)
© Wesselborg, UKT
Weitere Forschungsfelder des neuen SFB untersuchen die protektive Autophagie, ein Stoffwechselprogramm, das Tumorzellen bei einem Mangel an Nährstoffen vor dem Zelltod bewahrt, epigenetische Veränderungen sowie spezielle Überlebens-Signalwege in den Tumorzellen. „Dass unsere Forschungsaktivitäten alle Aspekte der Resistenzentwicklung berücksichtigen, hat auch die Gutachter begeistert“, sagt Wesselborg. Der Biologe ist fest überzeugt, dass genau diese breit gefächerte Vorgehensweise zum Erfolg führen wird.
Schließlich ist nicht zu erwarten, dass ein einziges Medikament einen therapieresistenten Tumor in Zukunft erfolgreich bekämpfen kann. „Es wird viel mehr so sein wie bei der Behandlung der HIV-Infektion, dass nämlich erst die Kombination verschiedener Substanzen und Therapien den Durchbruch bringt“, so Wesselborg. Sein Erfolgsmodell sieht deshalb folgendermaßen aus: „Wir müssen die unterschiedlichen Achillesfersen eines Tumors – also die Zellteilung, Apoptose-Mechanismen und die Population der Tumor-Stammzellen - gleichzeitig attackieren. Dann haben wir vielleicht in zehn bis 20 Jahren tatsächlich eine ganz realistische Chance, sehr viel mehr Krebserkrankungen heilen zu können als bisher.“
sb - 09.07.08
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen:
Universitätsklinikum Tübingen
Medizinische Klinik, Abt. Innere Medizin I
Sektion für Molekulare Hepatologie und Gastroenterologie
Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Wesselborg
Otfried-Müller-Str. 10
72076 Tübingen
Tel.: 07071 29-84113
Fax: 07071 29-5865
E-Mail:
sebastian.wesselborg@uni-tuebingen.de