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Neuer Wirkstoff gegen Krankenhauskeime vor der klinischen Prüfung

Die zunehmende Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika ist ein sehr ernstes Problem für die Medizin. Vor allem für Krankenhauspatienten kann eine Infektion mit Erregern wie dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) unter Umständen lebensbedrohend werden. Denn der Keim ist mittlerweile gegen die gebräuchlichsten Antibiotika unempfindlich. Die Mediziner haben zwar noch Reserveantibiotika zur Hand, aber auch diese wirken nicht immer, beziehungsweise der Verlust ihrer Wirksamkeit durch Resistenzentwicklung ist abzusehen. Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) haben Wissenschaftler der Universität Tübingen nun gemeinsam mit anderen einen neuen Wirkstoff gegen Krankenhauskeime entwickelt, der den Erreger innerhalb kürzester Zeit tötet, ohne die natürliche Mikroflora des Patienten zu beeinflussen oder die Resistenzbildung zu fördern. In den kommenden Monaten soll die Substanz in Tübingen für die klinische Prüfung vorbereitet werden.

Prof. Dr. Andreas Peschel leitet die Sektion für Zelluläre und Molekulare Mikrobiologie am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT) der Universität Tübingen und koordiniert die Forschung im Bereich „Krankenhauskeime und Antibiotika-resistente Bakterien“ innerhalb des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung DZIF. © DZIF, Foto: scienceRelations

Ein Schwerpunkt am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), in dem sich seit 2012 deutschlandweit zahlreiche Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben, ist die Forschung zu Krankenhauskeimen und antibiotikaresistenten Bakterien. Prof. Dr. Andreas Peschel vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen (IMIT) koordiniert diesen Bereich. Schon seit Jahren arbeitet der Tübinger Mikrobiologe mit seinem Wissenschaftlerteam in einem Verbundprojekt des DZIF an neuen Wirkstoffen zur Therapie von Infektionskrankheiten.

Während Mikrobiologen und Infektionsforscher aber noch vor einigen Jahren verstärkt nach neuen Antibiotika suchten, weiß man heute, dass dies in den meisten Fällen nicht mehr sehr erfolgversprechend ist, obwohl es eine Vielzahl an leistungsfähigen Techniken hierfür gibt: „Man findet leider immer wieder die gleichen Substanzklassen", wie Peschel erklärt. „Deshalb haben auch die Pharmafirmen die Suche mehr und mehr eingeschränkt."

Wie man mittlerweile auch weiß, wurden jahrelang viel zu viele Breitbandantibiotika verordnet, die gegen praktisch alle Bakterien des Patienten gerichtet sind. „Damit erhöhte man den Selektionsdruck, was zunehmende Resistenzen zur Folge hatte", so der Mikrobiologe. Wichtig sei es, wie Peschel sagt, den Erreger zu kennen und dann gezielt zu eliminieren, sodass sich die Suche der Forscher heutzutage auf solche Substanzen konzentriert, die sehr selektiv für bestimmte Erreger sind.

Krankenhauskeime werden zunehmend zum Problem

Kontrolle von Antibiotika-Resistenzen © DZIF, Foto: scienceRelations

Ein besonderes Problem für die Infektionsforscher ist der gefürchtete Krankenhauskeim Staphylococcus aureus, der bei fast allen gesunden Menschen auf der Körperoberfläche, vor allem in der Nase zu finden ist. Das Bakterium ist normalerweise völlig harmlos, kann aber unter bestimmten Umständen wie bei einem Krankenhausaufenthalt zum Problem werden. Der Erreger kann beispielsweise im Zusammenhang mit einer Operation in Wunden gelangen und gefährliche Infektionen auslösen. Hinzu kommt die Gefahr einer Ausbreitung auf andere Patienten, wobei die Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Keime (MRSA) besonders gefürchtet sind, weil sie gegen die meisten Antibiotika mittlerweile resistent sind. „In allen guten Krankenhäusern screent man die Patienten deshalb heute zunächst auf MRSA", erklärt Peschel. „Damit kann man das Risiko deutlich reduzieren. Allerdings bleibt dann immer noch das Problem, den Erreger auch wirklich loszuwerden." Derzeit wird hierfür in den Kliniken das Antibiotikum Mupirocin eingesetzt, gegen das viele Bakterien aber bereits unempfindlich sind. Außerdem dauert eine „Sanierung" der Nasenschleimhaut plus Erfolgskontrolle rund eine Woche – eine Prozedur, die bei Patienten, die schnell operiert werden müssen, nicht in Frage kommt.

Phagenlysin als völlig neuer Wirkstoff

MRSA, der sogenannte Krankenhauskeim, ist mittlerweile gegen fast alle gängigen Antibiotika resistent. © DZIF, Foto: scienceRelations

Daher haben DZIF-Wissenschaftler der Universitäten Tübingen, Münster und München gemeinsam mit der Firma Hyglos GmbH aus Bernried in den letzten Jahren einen anderen Weg eingeschlagen und einen völlig neuartigen Wirkstoff gegen MRSA entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Enzym, das aus Bakteriophagen (bakterienspezifischen Viren) abgeleitet wurde und das die Zellen gezielt auflöst. „Das Protein erkennt Staphylococcus aureus sehr selektiv und bringt die Bakterienzelle zum Platzen", wie Peschel berichtet. Und er fügt hinzu: „Das geht so schnell, dass die Bakterien gar nicht resistent werden können." Der Wirkstoff, den die Forscher auch MRSA-Killerprotein nennen, wurde künstlich hergestellt und als Designerprotein mit dem Arbeitsnamen HY-133 modifiziert. In einer Salbe eingebracht lässt sich das Arzneimittel sehr leicht anwenden. Die Testergebnisse der Substanz ergaben, dass alle Staphylococcus-aureus-Zellen – ob resistent oder nicht resistent – restlos abgetötet wurden, ohne dass dabei die natürliche Mikroflora der Nase beeinflusst wurde. Damit könnten Risikopatienten schnell und problemlos behandelt werden.

In einem nächsten Schritt soll nun in den kommenden Monaten die klinische Prüfung des Wirkstoffs gegen die Krankenhauskeime vorbereitet werden. Hierfür werden im DZIF mehr als 1,5 Millionen Euro bereitgestellt. Zunächst soll das Arzneimittel nach GMP-Richtlinien hergestellt und ab Herbst 2015 in toxikologischen und pharmakologischen Versuchen präklinisch getestet werden, so der Plan der Wissenschaftler. „Wir erwarten dann in etwa zwei Jahren die ersten Versuche am Menschen", so Peschel. Obwohl der Wirkstoff tausenden Menschen das Leben retten wird, wie der Professor meint, sei eine schnellere Anwendung ohne das aufwendige Durchlaufen der geplanten präklinischen und klinischen Tests nicht gerechtfertigt: „Wenn das wirklich ein neues Antibiotikum wäre, würde man das tun. Aber es handelt sich bei dem Enzym um ein sehr großes Molekül, bei dem wir noch nicht wissen, ob es auch durch Gewebe diffundieren kann, um die Bakterien im Körper zu erreichen." Die Tests an Zellkulturen und am Tiermodell waren bisher sehr vielversprechend. Jetzt muss geklärt werden, dass das Designerprotein weder toxisch noch allergen wirkt. Die Versuche werden zum Teil in Tübingen, aber auch von anderen pharmazeutischen Experten durchgeführt.

Elektronenmikroskopische Aufnahme von MRSA-Keimen: Methicillin-resistente Staphylococcus-areus-Bakterien (MRSA) gehören zu den gefürchteten Krankenhauskeimen. © National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)

Produktion als rekombinantes Protein in Colibakterien

Das Designerprotein haben die Forscher schon so weit optimiert, dass es möglichst stabil ist. Dazu wurden mehrere Teile verschiedener Phagen verwendet, sodass sich eine Kombination an größtmöglicher Aktivität, Spezifität und Stabilität ergibt. Der Wirkstoff wird bisher im Labormaßstab in rekombinanten Colibakterien bei der Firma Hyglos hergestellt, die später die Vermarktung übernehmen soll. Für eine Enzym-Produktion im großen Stil ist man gerade auf der Suche nach einem kompetenten Partner. „Wir sind derzeit in Verhandlung mit mehreren Kandidaten, aber wir sind zu einer europaweiten Ausschreibung verpflichtet – das zieht alles in die Länge", sagt Peschel. „Aber wir sind sehr zuversichtlich, dass alles in vier bis fünf Jahren so gut funktionieren wird, dass der Normalpatient routinemäßig vor einem Krankenhausaufenthalt mit dem Wirkstoff behandelt werden kann. Auch wenn es derzeit natürlich noch eine ganze Menge zu bedenken gibt."

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