zum Inhalt springen
Powered by

Neues Analyseverfahren zur Epigenetik – im Dienst des medizinischen Fortschritts

Nicht nur genetische Faktoren beeinflussen Entwicklungsvorgänge und Erkrankungen. Immer mehr zeigt sich auch die große Rolle epigenetischer Veränderungen. Dank einer neuen Methode der Universität Stuttgart können die Vorgänge nun erstmals kontinuierlich in der lebenden Zelle verfolgt werden.

Vieles wurde in den letzten Jahrzehnten herausgefunden über den Einfluss von Genen bzw. Genmutationen beim Entstehen und dem Verlauf von Krankheiten. Die DNA-Sequenz der Gene ist dabei jedoch nicht alles. Seit einigen Jahren sind die Forscher einem Aspekt auf der Spur, der größeren Einfluss auf die Genaktivitäten hat als ursprünglich angenommen. Ohne in die DNA-Sequenz und damit den Bauplan der Proteine einzugreifen, können die Basen der DNA chemisch modifiziert werden. Am häufigsten sind Methylierungen, etwa das Anfügen einer Methylgruppe an die Cytosinbase der DNA.

Prof. Dr. Albert Jeltsch leitet seit 2011 die Abteilung Biochemie an der Universität Stuttgart. © A. Jeltsch, IBTB, Uni Stuttgart

Solche gewissermaßen übergeordneten – epigenetischen – Veränderungen bestimmen ganz wesentlich mit, ob und in welchem Umfang Gene aktiviert oder stillgelegt werden. Manche DNA-Abschnitte werden regelrecht gespickt mit Methylgruppen, die zu charakteristischen Mustern führen. Dabei ist das Geschehen fließend, viele Faktoren und eben auch Krankheiten können die Methylierungsmuster beeinflussen. Und um das Ganze noch zu komplizieren, können auch Histone, die „Verpackungsproteine“ der DNA im Chromosom, methyliert werden, was ebenfalls die Genaktivität in der Umgebung beeinflussen kann.

Epigenetische Veränderungen und Einflüsse genauer zu untersuchen, ist daher ein wichtiges Forschungsziel. Gerade in Hinblick auf Erkrankungen an der Schnittstelle zwischen dem Genom und Umgebungseinflüssen – wie etwa Krebs. Dahinter steckt die Hoffnung, über gezielte Eingriffe in die epigenetischen Modifikationen neue therapeutische Ansätze zu finden. Bisher war es jedoch nicht möglich, das epigenetische Geschehen live – also in der lebenden Zelle – zu betrachten. Es fehlte schlicht an Methoden dafür.

Prof. Dr. Albert Jeltsch leitet die Abteilung Biochemie am Institut für Biochemie und Technische Biochemie an der Universität Stuttgart und hat mit seinem Team nun einen echten Meilenstein zur Erforschung epigenetischer Veränderungen geliefert. Durch Einsatz einer ausgetüftelten Fluoreszenz-Markierungs-Strategie können die Forscher nun über einen längeren Zeitraum von Tagen und Wochen hinweg epigenetische Prozesse gezielt verfolgen.

Live dabei: den Fluss des epigenetischen Geschehens beobachten

Mithilfe des BiAD-Sensors werden methylierte DNA-Regionen (gelb) im Kern einer menschlichen Zelle sichtbar. Die Sensor-Komponenten sind links oben schematisch dargestellt. Blau markiert ist das Ankerprotein (Zinkfingerprotein), rot das Detektorprotein (MBD2-Protein); beide Proteine sind an Teile eines Fluorophors gekoppelt, die sich zu einem aktiven Fluorophor zusammenlagern können (grün). © A. Jeltsch, IBTB, Uni Stuttgart

„Mit der neuen Methode können wir dynamische epigenetische Prozesse während der zellulären Entwicklung beziehungsweise während pathologischer Veränderungen online verfolgen, und das gibt es so bisher nicht. Standardverfahren zur Analyse von DNA-Methylierung und Chromatin-Modifikationen sind diskontinuierliche Verfahren, mit denen wir nicht das Profil einer einzelnen Zelle erhalten, sondern eine heterogene Mischung von Zellen mit unterschiedlichen Methylierungsstadien, die wir nicht mit dem Phänotyp einer Zelle korrelieren können“, erklärt Jeltsch. Nun sind Fluoreszenzmarkierungen, auch bei lebenden Zellen, eigentlich nichts Neues, sondern gehören zum Standard-Repertoire der Forscher. Allerdings konnten mithilfe fluoreszenzmarkierter Proteine bisher keine epigenetischen Vorgänge einzelner Genorte analysiert werden.

„Das CRISPR/Cas-Verfahren hat einen wichtigen Durchbruch gebracht. Mit seiner Hilfe können wir unsere neue BiAD-Methode leicht an neue Genorte adressieren und dort die Methylierung untersuchen“, so Jeltsch. BiAD steht für „Bimolecular Anchor Detector“, ein raffiniertes Zwei-Komponenten-System. Hierzu wird in die Zelle das Gen für ein Ankerprotein mit zwei wesentlichen Eigenschaften eingebracht: Es bindet spezifisch an einen bestimmten Genort und es verfügt über ein Teilstück eines Fluorophors. Für sich allein kann dieses Teilstück kein Leuchtsignal aussenden, dafür muss es erst mit einem zweiten Teilstück fusionieren. Und dieses zweite Teilstück ist an ein Leseprotein gebunden, das typische methylierte Stellen der DNA erkennt und daran bindet. Nur wenn sich Leseprotein und Ankerprotein in unmittelbarer Nachbarschaft befinden – sprich, wenn das zu untersuchende Gen entsprechend methyliert ist –, können die Teilstücke zum fluoreszierenden Gesamtprotein fusionieren. Das Fluoreszenzsignal kann dann mikroskopisch detektiert werden. „Das Sensorsystem ist spezifisch, robust und modular, das heißt, mit verschiedenen Lesedomänen kombinierbar. Und es funktioniert im Prinzip mit allen Zelltypen“, fasst Jeltsch die wesentlichen Vorteile zusammen.

Die grafische Übersicht zeigt links BiAD-Sensoren vor der Bindung an ihre
Zielstrukturen; zu sehen ist eine Ankerdomäne (orange), die DNA
sequenzspezifisch binden kann, und eine Detektordomäne (violett), die
eine Chromatinmodifikation binden kann. Beide Proteine sind jeweils an
ein Teilstück eines Fluorophors (grau) gekoppelt. Auf der rechten Hälfte
der Grafik sind die gebundenen Sensorkomponenten zu sehen und – nach der
Zusammenlagerung – ein komplettes Fluorophor (grün) namens „Venus", das
ein Signal aussendet, was durch einen grünlichen Hof um das Molekül
symbolisiert wird.
BiAD-Sensoren bestehen aus einer Ankerdomäne (orange), die DNA sequenzspezifisch bindet, und einer Lese- bzw. Detektordomäne (violett), die eine Chromatinmodifikation bindet. Beide Proteine sind an Teile eines Fluorophors (grau) gekoppelt, die sich zu einem aktiven Fluorophor (grün) zusammenlagern, wenn sie sich nahekommen. © A. Jeltsch, IBTB, Uni Stuttgart

Epigenetische Modifikationen könnten Schlüssel für neue Therapien liefern

Noch steht die Forschung mit BiAD ganz am Anfang. Jedoch zeichnen sich bereits einige hoch interessante Anwendungen ab. So ist bei Krebszellen zum Beispiel bekannt, dass bestimmte repetitive DNA-Elemente untermethyliert werden, während Tumorrepressorgene zunehmend methyliert und dadurch außer Gefecht gesetzt werden. Um hier die Zusammenhänge genauer zu untersuchen, könnten unterschiedliche Fluoreszenzen eingesetzt werden. Gen-reprimierende epigenetische Veränderungen könnten dann zum Beispiel grün fluoreszieren und aktivierende Veränderungen rot. Und es muss auch nicht immer nur um die DNA-Methylierung gehen. Das System kann auch für andere epigenetische Veränderungen angepasst werden, zum Beispiel solche, bei denen Chromatin-Strukturen acetyliert werden. Das Spiel der Möglichkeiten ist eröffnet und es sind viele Spielzüge denkbar.

Bei aller Euphorie müssen die Auswirkungen der Methode auf die Zelle jedoch noch näher untersucht werden, wie Jeltsch sagt: „Die Grundvoraussetzung für die Qualität der Analyse ist, dass die Zelle durch die Untersuchung nicht zu sehr gestört wird. Wir müssen zum Beispiel den Effekt auf die Chromatinstruktur noch näher untersuchen.“ Parallel dazu ist er mit seinem Team dabei, weitere Fluorophore mit noch stärkerer Leuchtkraft einzubauen. Zurzeit liegt die Detektionsgrenze bei 15 bis 25 Fluorophoren pro Genabschnitt, weshalb sich das Team bisher vor allem auf repetitive DNA-Elemente als Zielorte konzentriert hat. Da ist also noch Luft nach oben bis hin zum Einzelsignal. „In Kooperation mit dem Team um Prof. Dr. Monilola Olayioye vom Institut für Zellbiologie hier in Stuttgart wollen wir die Methode jetzt zur Single-Spot-Detektion weiterentwickeln“, bestätigt Jeltsch.

Langfristig ist es der große visionäre Ansatz, mittels BiAD entwicklungs- oder krankheitsbedingte Umprogrammierungen der epigenetischen Muster im lebenden Organismus zu entschlüsseln. Klinisch ließe sich die neue Analyse-Methode zum Beispiel im Tumormodell einsetzen, um zu klären, wie und wann sich abnormale epigenetische Muster im Tumorgewebe entwickeln. Noch weiter gedacht, böten solche Befunde dann Ansatzpunkte für neue Therapien, bei denen zum Beispiel Methylierungen und andere epigenetische Veränderungen des Chromatins gezielt verhindert oder gefördert werden.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/neues-analyseverfahren-zur-epigenetik-im-dienst-des-medizinischen-fortschritts