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Nur die Liebe zählt – Darwin lässt rocken

Die von Charles Darwin begründete Evolutionstheorie ist so genial, dass sie sich in zwei einfachen Sätzen zusammenfassen lässt. Allerdings ist deren Übersetzung ins Deutsche nicht wirklich geglückt, findet der Tübinger Evolutionsbiologe Professor Dr. Nico Michiels. Mit einem evolutionären Rocksong und einem witzigen Video-Clip will der Wissenschaftler jetzt helfen, ein wesentliches Missverständnis zu korrigieren.

Fast jeder kennt sie noch aus dem Biologieunterricht - Darwins berühmt gewordene Sätze zur Evolutionstheorie: „struggle for life“ und „survival of the fittest“. Letzterer wurde im Deutschen zu „Das Überleben des Stärksten“. Doch diese Übersetzung ist eigentlich irreführend, sagt Professor Dr. Nico Michiels, der in Tübingen den Lehrstuhl für Evolutionsökologie der Tiere inne hat. „Darwins Theorie sieht nicht den körperlich Stärksten im Vorteil, sondern denjenigen, der sich am erfolgreichsten vermehrt“, erklärt der Biologe. Das reine Überleben bringt nämlich gar nichts, solange es keine Nachkommen gibt, die das Aussterben der Population verhindern. „Die treibende Kraft der Evolution ist nun einmal die Fortpflanzung“, so Michiels.

Überhaupt hält Michiels einige Ansichten zum Thema Evolution für dringend überholungsbedürftig. „Viele denken, die Evolution sei der staubige Teil der Biologie, der sich nur noch in den Museen abspielt“, weiß der Wissenschaftler aus eigener Erfahrung. Dabei seien evolutionäre Prozesse nach wie vor in hohem Maße aktuell und in allen Bereichen des Lebens wiederzufinden. „Informationen, die in Abhängigkeit von der Umwelt zu optimieren sind, gibt es nämlich nicht nur in der Biologie, sondern auch in der Informatik, den Wirtschaftswissenschaften und sogar in der Kultur“, erklärt Michiels.

Evolution macht Musik

Der Biologe würde einige Missverständnisse in Sachen Evolution jetzt gerne beseitigen. Schützenhilfe bekommt er dabei von der VolkswagenStiftung, die mit ihrem Ideenwettbewerb „Evolution heute“ eine generelle Diskussion in der Gesellschaft entfachen möchte.

Professor Dr. Nico Michiels zeigt, dass Evolution auch hörbar ist. © Bochum / BioRegioSTERN

„Gefragt waren unkonventionelle Ansätze, wie man das Thema Evolution einer breiten Bevölkerungsschicht auf interessante Weise nahebringen kann", sagt  Michiels. Der Biologe und sein Team wählten den Weg über die Musik und gehören damit zu den acht Gewinnern des Wettbewerbs, die nun mit jeweils 100.000 Euro gefördert werden.

Die Tübinger haben dabei vor, die Mechanismen der Evolution auf die Entstehung eines Musikstückes zu übertragen. Momentan entwickeln sie mit Hilfe des Bioinformatikers Professor Dr. Daniel Huson ein Computerprogramm, mit dem sich die Grundsätze evolutionären Geschehens für jedermann spielerisch leicht nachvollziehen lassen. Michiels primäre Zielgruppe sind dabei Teenager und junge Erwachsene, aber auch alle anderen Interessierten können sich die Software ab Anfang April von der eigens dafür konzipierten Homepage „Darwin Rocks!" herunterladen.

Ohren ersetzen Fraßfeinde

Darwin Rocks! - Die Theorien des britischen Naturforschers sind auch heute noch aktuell. © Michiels

Mit Hilfe des Programms lassen sich aus einzelnen Tönen - der „musikalischen Ursuppe" - durch Mutationen, also kleine Variationen in der Tonhöhe und Tondauer, eine Vielzahl neuer Melodien kreieren. „Die Selektion, welche dieser Tonfolgen überleben und sich in die nächste Generation fortpflanzen dürfen, erfolgt dabei durch den Geschmack des Hörers", so Michiels. Auf diese Weise entsteht aus anfangs einfachen Tönen und Rhythmen im Laufe der Zeit ein komplexes und variantenreiches Musikstück. „Jeder der möchte, kann mit diesem Programm nun seine individuelle Evolutionshymne komponieren und als Klingelton herunterladen", erzählt Michiels.

Eine dieser neu entstandenen Melodien haben die Tübinger jetzt ausgewählt und mit Hilfe von Studenten der Heidelberger Fachhochschule für Musiktherapie zu einem fetzigen Rocksong verarbeitet. „Struggle for love" lautet der Titel des englischsprachigen Songs - in Anlehnung an Darwins  These „struggle for life". In der deutschen Fassung wird das Lied, das von Musikern der Popakademie Mannheim aufgenommen wird, „Überlieben" heißen. „Im Liedtext haben wir das Hauptthema der Evolution, die Fortpflanzung, bewusst wieder aufgegriffen. Wir wollen die Idee vermitteln, dass sich im Prinzip alles um die Liebe dreht", erklärt Michiels, „weil das bloße Überleben in diesem Zusammenhang nicht viel wert ist."

Familienfreundliche Theorie

Ein weiterer Teil des Projektes sieht zudem vor, dass Studenten der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film passend zum Song einen Video-Clip produzieren, der auf der Homepage, aber auch auf verschiedenen Internetplattformen wie beispielsweise YouTube zu sehen sein wird. „Wir wollen auch hier keine trockene Lektion in Evolutionsbiologie erteilen“, so Michiels, „sondern die Themen Leben und Liebe dem Betrachter möglichst unterhaltsam näherbringen.“ Dabei soll deutlich werden, dass jedes Lebewesen ein einzigartiges Produkt der Evolution verkörpert.

Michiels ist es allerdings wichtig, dass das Gesamtkonzept weder belehrend wirkt, noch in irgendeiner Form mit dem moralischen Zeigefinger droht. „Wir möchten aber durchaus die Botschaft vermitteln, dass aus evolutionsbiologischer Sicht gegen Kinder und Familie nichts einzuwenden ist“, verrät der Wissenschaftler mit einem Augenzwinkern. Dies sei auch gesellschaftlich gesehen ein äußerst spannender Betrachtungswinkel. „Es wird ja heutzutage oft so getan, als ob die Karriere das Wichtigste ist im Leben“, sagt Michiels. Der eine oder andere wird das, nachdem er den Video-Clip gesehen hat, vielleicht nochmal ein wenig überdenken.

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