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Medizintechnik

OP-Raum der Zukunft: Minimalinvasive und zukunftsorientierte Interventionstechniken

Tumorpatienten in nur wenigen Stunden einer kompletten Diagnose und Therapie zu unterziehen – dies stellt nur eines der vielen hoffnungsträchtigen Ziele der Fraunhofer-Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB dar. Übergreifendes Ziel eines Teil-Arbeitsbereichs „Intervention und Therapie“ ist, innovative Technologien für Diagnostik sowie therapeutische Interventionen zu entwickeln, die von minimalinvasiven Instrumenten, medizinischen Robotern, computergesteuerten Manipulatoren bis hin zu Implantaten reichen und die Entwicklung im Labor bis zur Realisierung von Prototypen für die klinische Prüfung einschließen.

Die Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie (PAMB) wurde vom Land Baden-Württemberg und der Fraunhofer-Gesellschaft 2011 unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Jan Stallkamp an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg eingerichtet. Als erste bekannte Einrichtung dieses Schwerpunktes inmitten der Klinik lässt sich hier ein herausragender Vorteil erkennen: „In einer klinisch-universitären Umgebung können Kernkompetenzen aus Forschungseinrichtungen, Klinken, KMUs sowie Startups zusammenfließen, um innovative Automatisierungspotenziale in der Medizin und Biotechnologie zu erschließen“, so Stallkamp.

Prof. Dr.-Ing. Jan Stallkamp entwickelt Automatisierungssysteme und zukunftsorientierte Interventionstechniken in der Chirurgie. © Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB des Fraunhofer IPA

Automatisierungstechniken in der Medizin, das ist die Spielwiese des Ingenieurs, der an der RWTH Aachen Maschinenbau studierte und seine Promotion in optischen 3D-Messverfahren für die Navigation in der roboterassistierten minimal-invasiven Chirurgie ablegte. Bereits 1998 übernahm er die Leitung des Kompetenzzentrums Medizintechnik am Fraunhofer IPA in Stuttgart, bevor er als Leiter für die PAMB nach Mannheim kam und dort 2014 die Professur für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie angetreten hat.

Seit März 2015 befindet sich die Projektgruppe im Gründungszentrum CUBEX41, dem Forschungscampus für Gründungen und Kompetenzen im Bereich Medizintechnologie, inmitten des Universitätsklinikums Mannheim. CUBEX41 wird durch die Europäische Union, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Mannheim gefördert mit dem Ziel, Kliniken, Forschungseinrichtungen und Existenzgründungen zu vernetzen. Stallkamp betont den erfolgreichen Brückenbau zwischen Industrie und Klinik: „Wir können Kunden und Interessenten sowohl Ärzte als auch Wissenschaftler vermitteln, um komplexe Fragestellungen zu lösen.“

In der Biotechnologie ist die Automatisierungstechnik schon lange nicht mehr wegzudenken. Automatisierte Laborsysteme bringen Forschung und Entwicklung effizient und schnell voran und liefern valide Ergebnisse. Aber gerade auch in der Medizin eröffnen übergreifende Automatisierungsprozesse und multidisziplinäre Techniken neue Türen. Seit Gründung der Projektgruppe PAMB des Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA als Schnittstelle für viele Kompetenzen (aus Medizinern, Biotechnologen, Physikern, Ingenieuren, Informatikern u.v.a.) werden dort im Teilbereich Intervention und Therapie neuartige intelligente, selbstregelnde Instrumentensysteme sowie Implantate entwickelt und medizinische Roboter perfektioniert. „Mit unserem inzwischen 37-köpfigen, multidisziplinären Team sind wir in der Lage, Lösungen von der mechanischen Auslegung über die Schaltungsentwicklung bis hin zum Regelungsalgorithmus von Interventions- und Therapiesystemen zu entwickeln“, erklärt Stallkamp begeistert die vielfältigen und zukunftsweisenden Möglichkeiten.

„Automatisierungssysteme in der Medizin dürfen nicht als ‚blecherne Krankenschwester', sondern als riesiges Potenzial erkannt werden. Unser Fokus liegt dabei immer auf den Patienten“, so der Leiter der PAMB. Erkrankungen wie etwa Krebs oder Infektionskrankheiten sollen mit neuartigen Systemen schneller identifiziert und effizient behandelbar werden. Dazu steht auf dem Forschungscampus neben vielen Laboren (für Bioprozess-, Mess- sowie Steuerungstechnik) ein innovativer hochmoderner Interventionsraum zur Verfügung.

Experimenteller Interventionsraum mit mobilem Röntgengerät, Monitoren und OP-Tisch, an den der Interventionsassistent herangefahren werden kann © Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB des Fraunhofer IPA

Hat man einmal die Möglichkeit, diesen experimentellen Raum zu betreten, sticht einem die Interdisziplinarität förmlich ins Auge: In einem großen Raum befinden sich sowohl der OP-Tisch mit Lampen und Geräten als auch ein mobiles Röntgengerät, Apparate mit Hightech-Bedienflächen und Roboterarme sowie hochmoderne Monitore. „Hier erhalten Forscher und Kunden die Möglichkeit, neue Systeme zu erproben und Ideen in einer klinischen Umgebung ausreifen zu lassen“. Neben einem Interventionsraum, der ausschließlich der Forschung und Entwicklung dient, existiert bereits ein weiterer, in dem Eingriffe am Patienten stattfinden. Der Transfer von Know-how kann hier direkt in die Klinik übergehen. „Wir möchten schonendere und schnellere Behandlungen für den Patienten sowie Entlastung des operierenden Arztes ermöglichen." Doch wie finden diese vielversprechende Ziele bei PAMB ihren Weg ins Leben?

Fortschritt in der Medizin durch bessere, gezieltere Methoden sowie Kosteneffizienz

Das flexible Hydraulikinstrument ermöglicht ein präzises Handling ohne Reibung und Kraftübertragungsverlust in der minimalinvasiven Chirurgie. © Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB des Fraunhofer IPA

Die Vorzüge einer Endoskopie als minimalinvasives Verfahren gegenüber Operationen mit großflächigen Schnitten sind bekannt. Jedoch sind dem Operateur auch hier Grenzen gesetzt: Die herkömmliche mechanische Kraftübertragung durch Seilzüge oder Schubstangen ist gerade bei flexiblen oder abwinkelbaren Instrumenten nur sehr gering und erzeugt eine hohe Reibung. Verletzungen an der Schnittstelle und in tieferen Gewebeschichten sind dadurch möglich. PAMB entwickelt leistungsfähigere Instrumente und Spezialsysteme, die über ergonomische Schnittstellen und hydraulische Systeme präzise agieren – ohne großen Kraftaufwand des Operateurs. Chirurgische Instrumente mit hydraulischer Kraftübertragung auf Schneiden, Greifbacken oder Abwinkelung ermöglichen eine reibungs- und verlustarme Bedienung.

„Im Gegensatz zu mechanischen Instrumenten, die oft eine komplizierte Montage und Reinigung erfordern, sind diese Instrumente preiswerter und eröffnen neue Tore“, stellt Stallkamp die Vorteile heraus.

Kosteneffizienz ist ein wichtiger Punkt, an dem die PAMB auch in ihrem Projekt „Mensch-Maschine-Teams im Operationssaal“ anknüpft. Manuell durchgeführte Operationen, wie etwa die Laparoskopie, bedeuten – neben einer hohen physischen Belastung für den Operateur – große Aufbauzeiten und teure Gerätschaften. Informatiker der Projektgruppe entwickeln ein Mensch-Maschine-Team im Operationssaal, bei dem Bedienoberflächen und automatisierte Steuerungen ausgefeilt werden. Beide Verfahren, manuelle sowie computergestützte Intervention, sollen dabei kombiniert werden. Der Operateur kann das Endoskop und Instrumente per Hand bedienen sowie deren Steuerung und präzises Handling mithilfe innovativer Automatisierungssysteme erlauben.

Eine weitere große Errungenschaft der PAMB stellt der nichtlineare Bohr-Roboter dar. Dieser Mini-Roboter lässt auf eine Therapie der Zukunft bei Innenohrtumor hoffen. Er bohrt im Felsenbein des Innenohrs einen nur 5 mm breiten Tunnel und umgeht dabei sensible Bereiche wie Blutgefäße und Nerven. Ähnlich einem Gelenk-Omnibus ermöglichen hydraulische Leitungen den Bohrer um Ecken zu schlängeln und präzise zu lenken. Ein bereits fortgeschrittener Prototyp ist auf der MEDICA 2015 auf großes Interesse gestoßen.

Diagnose und Therapie von oligometastasierenden Patienten als „One Stop Shop“ in einer einzigen Sitzung

Tumorpatienten, vor allem solche mit etwa vier bis sechs Metastasen (sogenannte oligometastasierende Patienten), in nur wenigen Stunden einer kompletten Diagnose und Therapie zu unterziehen – diesen Traum versucht die PAMB zu verwirklichen. Markanter Eckpunkt des ehrgeizigen Vorhabens ist die Integration vieler Abläufe in einen Arbeitsprozess. Die Daten aus der Bildgebung (Röntgen- und Fluoreszenzbilder, angestrebt auch CT und MRT) werden durch Fachkompetenzen aus Biotechnologie, Physik und Informatik bis ins Detail ausgewertet und von den Klinikern zu einem Datensatz verschmolzen. Innovativ ist die Generierung dreidimensionaler Bilddatensätze des Patienten mit einem Röntgen-Medizingerät, das an einen Roboter (ArtisZeego®, Siemens Healthcare) gekoppelt ist. So lassen sich zu jedem Zeitpunkt Echtzeit-Bilddaten registrieren, die für eine weitere Intervention – etwa eine radiologische Behandlung mit Hilfe eines weiteren, Instrumente führenden Roboters – genutzt werden können. Beide automatisierten Systeme befinden sich auf einer mobilen Plattform, die somit diagnostische und therapeutische Maßnahmen vereint.

Interventionsassistent und erste Biopsie-Versuche am Wirbelsäulenphantom. Durch Integration eines automatischen Instrumentenwechslers kann ein schneller Prozessablauf gewährleistet werden. © Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB des Fraunhofer IPA

Auf dieser Grundlage läuft derzeit das vom BMBF geförderte Projekt M2OLIE (Mannheim Molecular Intervention Environment), an welchem neben PAMB die Hochschule Mannheim, die Universitäten Heidelberg und Mannheim, das DKFZ sowie Partner aus der Industrie beteiligt sind. Ziel ist es, Krebserkrankungen nicht im Organ oder Gewebe, sondern auf zellulärer oder sogar molekularer Ebene zu behandeln. Eine Biopsienadel soll automatisiert an der durch die Bildgebung diagnostizierten Stelle positioniert werden – möglichst in einem komprimierten Zeitraum von nur fünf bis zehn Minuten.

Die Biopsie, also die Entfernung von verdächtigem Gewebe, liefert wichtige Daten zur Erkrankung. Dazu muss die Gewebeprobe eine bestimmte Anzahl an intakten Tumorzellen enthalten. Deshalb muss eine große Gewebeprobe entnommen und für die nachfolgenden Analysen schonend in Einzelzellen zerlegt werden. PAMB versucht, diese Schleife zu umgehen und arbeitet an einem neuartigen System zur endoskopischen Probenentnahme und gekoppelter Inline-Analyse. Im Anschluss an die Analysenergebnisse, die zu Datensätzen vereint werden sollen, könnte dann direkt eine entsprechende Therapie (Radiotherapie, Exzision, Thermoablation) in einer Sitzung angeschlossen werden.

Noch stecken die interdisziplinären Forscher, Ärzte und Partner in der Entwicklungsphase. Gelingt jedoch ein effizientes und valides Verfahren, stellt dies einen Meilenstein in der Geschichte der Tumordiagnostik- und -therapie dar. Übergreifendes, gemeinsames Ziel ist bei allen Entwicklungen der PAMB, den Patienten eine effiziente und schnellere Behandlung zu ermöglichen sowie den Ärzten anhand von Automatisierungsverfahren die Arbeiten zu erleichtern und damit eine erhöhte Sicherheit zu gewährleisten.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/op-raum-der-zukunft-minimalinvasive-und-zukunftsorientierte-interventionstechniken