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Orthobion - Ein "Titankunststoff" für die Wirbelsäule

Die Zahl von Bandscheibenvorfällen und Rückenproblemen durch mangelnde oder falsche Bewegung wächst zunehmend und erfordert in vielen Fällen den Einsatz von Implantaten. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung erhöht sich der Bedarf - und parallel dazu auch die Nachfrage nach verbesserten Material-Eigenschaften der verwendeten Wirbelsäulenimplantate. Um die Schwachstellen bisheriger Implantate zu überwinden, hat die Orthobion GmbH verschiedene Materialien neu kombiniert: Der "Titan-Kunststoff" TSC (Titanium Sputter Coated PEEK) stimuliert den Knochenaufbau und trägt maßgeblich zur Bildung einer stabilen und dichten Knochenbrücke bei. Die Entwicklung entstand aus einer Kooperation mit der Universität Konstanz, die der BioLAGO e.V. initiierte.

Dr. Dietmar Schaffarczyk, Geschäftsführer der Orthobion GmbH, arbeitet an der Optimierung von Wirbelsäulenimplantaten, insbesondere an Kunststoffimplantaten, überzogen mit einer Titanschicht. © BioLAGO

Bereits im 18. Jahrhundert wurde die erste Metallschraube beim Menschen implantiert. Seitdem gehören Implantate als Bandscheibenersatz je nach Anwendung aus Metall (z.B. Titan) oder Kunststoff zum Alltag in der Wirbelsäulenchirurgie. Beide bisher verwendeten Materialien bringen für den Einsatz in der Wirbelsäule Vor- und Nachteile mit sich. So weist Titan eine sehr gute Zelladhäsion auf und verfügt im Vergleich zu Stahl auch über bessere mechanische Eigenschaften. „Titan ist jedoch auch ein sehr steifes Material und die Implantate können in die Endplatten der Wirbel einsinken, was für den Patienten schmerzhaft ist“, erklärt Dr. Dietmar Schaffarczyk, Geschäftsführer des Konstanzer Medizintechnikunternehmens Orthobion GmbH. Noch dazu kann bei Implantaten aus Titan wegen der Undurchlässigkeit des Materials die Osseo-Integration in bildgebenden Verfahren wie z.B. Röntgen schlecht analysiert werden.

Dagegen besitzt der häufig in der Praxis eingesetzte Kunststoff Polyetheretherketon (PEEK), welcher als Biomaterial seit den 80er-Jahren in der Wirbelsäulenchirurgie eingesetzt wird, bessere mechanische Eigenschaften als Titan und ist durchlässig für Röntgenstrahlen. „Das hat den Vorteil, dass man die Bildung einer Knochenbrücke postoperativ beobachten kann“, so Schaffarczyk. PEEK ist im Vergleich zu Titan als Material etwas weicher. Jedoch ist es ein sehr reaktionsträges Material, was zu einer schwächeren Zelladhäsion und einem beeinträchtigten Einwachsverhalten führt.

Die Lösung: Kunststoff von Titanschicht umhüllt

Orthobion hat mit TSC die positiven Eigenschaften beider Materialien kombiniert. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass es gelungen ist, eine dünne Titanschicht auf den Kunststoff aufzubringen. Dadurch behält man die guten mechanischen Eigenschaften des Kunststoffs, profitiert gleichzeitig aber auch von den zellwachstumsfördernden Merkmalen von Titan. Die Röntgentransparenz, welche bis jetzt bei Titanimplantaten so nicht gegeben war, ist auf Grund der extrem dünnen Beschichtung nicht beeinträchtigt“, so Schaffarczyk. Die Schichtdicke beträgt circa 250 Nanometer, wodurch das Implantat nur als leichter Schatten wahrgenommen wird. Der Aufbau von Knochenbrücken sowie die konkrete Position des Implantats lassen sich so klar und deutlich erkennen.

Schnelles Zusammenwachsen von Knochenbrücken

TSC-Implantate besitzen als eine der positiven Eigenschaften eine bessere Zelladhäsion als reine Kunststoffimplantate. Zellen können somit besser an das Implantat anwachsen. © Orthobion GmbH
„Das neu entwickelte Material bewirkt als Bandscheibenersatz insbesondere eine beschleunigte Entwicklung von Knochenbrücken. Möglich ist das durch die verbesserte Integration des Implantats“, so Felix Kraeft von der Orthobion GmbH. Diese läuft in drei aufeinanderfolgenden Schritten des Knochenwachstums ab: Osteoinduktion, Osteokonduktion, Osseointegration. Osteoinduktion bedeutet, dass pluripotente Zellen stimuliert werden und sich zu Knochenzellen entwickeln. Unter Osteokonduktion wiederum versteht man das Weiterwachsen dieser Knochenzellen zur Oberfläche des Implantats. Osseointegration ist die Befestigung von Knochenzellen am Implantat. Ein langer Halt des Implantats muss erreicht werden, damit das Anwachsen von Knochenzellen als erfolgreich bezeichnet werden kann. Eine mechanisch strukturierte Oberfläche des Implantats, die von der Titanbeschichtung nicht überdeckt wird, sondern erhalten bleibt, hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf das Anwachsen von Knochenzellen. „An Implantaten aus reinem PEEK können die Zellen nur erschwert anwachsen, da die Oberfläche zu glatt ist, was eine instabilere Knochenbrücke zur Folge hat", berichtet Kraeft.

Wie kommt Titan auf Kunststoff?

Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von TSC war, ein Verfahren zu entwickeln, um die hauchdünne Titanschicht auf Kunststoff aufzubringen. Nicht immer ist es in der Wissenschaft der Fall, dass eine Neuentwicklung sofort gelingt. So auch hier: Orthobion beschäftigte die Frage, ob eine Titanschicht auf PEEK überhaupt möglich ist. Bisher wurde nur Plasma-Spray verwendet, um Titan auf Oberflächen aufzubringen. „Die so erreichte Schicht war aber zu dick für die gewünschte Anwendung", erinnern sich Kraeft und Schaffarczyk.

Das Unternehmen wollte statt dessen aber eine Schichtdicke im Nanometerbereich erhalten. „Theoretisch sollte es funktionieren, aber wir wollten unsere Theorie auch in der Praxis erreichen“, berichtet Kraeft. Um zu einer zügigen Problemlösung zu kommen, wandte man sich auf der Suche nach Kooperationspartnern an den BioLAGO e.V. Das Netzwerk vermittelte dann den Kontakt zu Prof. Dr. Günter Schatz von der Universität Konstanz, dessen Forschungsschwerpunkt in der Nanotechnologie liegt. Zusammen konnte man die neue Beschichtungsmethode zur Produktionsreife bringen.

Beschichtung auch mit Calciumphosphat möglich

TSC kombiniert die guten Eigenschaften von PEEK und Titan - neben einer besseren Zelladhäsion bewirkt TSC auch ein größeres Knochenvolumen. © Orthobion GmbH

Außer Titan wurde zur Beschichtung auch Calciumphosphat als chemisches Coating getestet, da es einen ähnlich positiven Einfluss auf das Zellwachstum aufweist. TSC und Calciumphosphat-Coating zeigten in der Anwendung die gleichen Ergebnisse. „Hier wird es dem Arzt überlassen, welches Implantat er verwenden möchte“, bemerkt Schaffarczyk.

Der einzige signifikante Unterschied zwischen den beiden Implantaten ist der Prozess der Beschichtung. TSC ist ein physikalisches Coating, wobei im Plasma Titan fein zerstäubt und als Substrat auf die PEEK-Oberfläche aufgebracht wird. „Calciumphosphat hingegen wird als chemisches Coating aufgebracht, was bedeutet, dass es in einer Sole gelöst wird, in welche das Implantat dann eingetaucht wird“, so Schaffarczyk. Für beide Verfahren hat Orthobion die CE-Kennzeichnung erhalten.

Weitere gemeinsame Forschungsprojekte mit der Universität Konstanz sind in Arbeit. Dabei geht es primär um die Funktionalisierung von Kunststoffoberflächen. „Ein Implantat ist nie perfekt. Wir untersuchen deshalb nun genau, inwieweit man die chemischen Strukturen von PEEK verändern kann, um das Implantat noch zu optimieren“, schließt Kraeft.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/orthobion-ein-titankunststoff-fuer-die-wirbelsaeule