Personalisierte Antibiotikatherapie: Weniger resistente Keime
Lange Zeit wurden Antibiotika als Allzweck-Waffen gegen Infektionskrankheiten eingesetzt. Viel zu oft und zu schnell, wie man heute weiß. Denn viele Bakterien sind dadurch mittlerweile resistent geworden gegen die gängigen Wirkstoffe. Die Suche nach neuen Wirkstoffklassen gestaltet sich schwierig. Deshalb muss mit den verfügbaren Antibiotika sparsam umgegangen werden, damit sich langfristig weniger resistente Keime entwickeln. Forscher vom IMTEK und vom BIOSS der Universität Freiburg haben nun gemeinsam eine Sensor-Plattform entwickelt, mit deren Hilfe gleich mehrere Antibiotika innerhalb weniger Minuten im Blut nachgewiesen werden können. So können Dauer und Dosierung einer Therapie ganz individuell auf jeden Patienten abgestimmt werden. Der Biosensor wird nun auch für andere Anwendungen der medizinischen Diagnostik weiterentwickelt.
Wie man heute weiß, können Menschen mit einer identischen Erkrankung ganz unterschiedlich auf die gleiche Therapie reagieren: Während für den einen Patienten die Dosis eines Medikaments zu gering ist und keine oder wenig Wirkung zeigt, ist die gleiche Dosis für einen anderen viel zu hoch und führt vielleicht sogar zu Nebenwirkungen. Grund hierfür ist die unterschiedliche Ausstattung des jeweiligen Organismus mit Enzymvarianten, die Arzneimittel schnell, langsam oder sogar gar nicht abbauen. Dies gilt auch für Antibiotika, für die darüber hinaus auch noch das Problem besteht, dass die Bakterien, die diese Medikamente eigentlich bekämpfen sollen, auf viele gängige Wirkstoffe gar nicht mehr ansprechen: Ein allzu häufiger und schlecht dosierter Einsatz hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Krankheitserreger Resistenzen entwickeln konnten. Multiresistente Keime sind immer häufiger dafür verantwortlich, dass lebensbedrohliche Infektionen mit den derzeit verfügbaren Wirkstoffen oft schwer zu behandeln sind. An Strategien, wie man die Erreger langfristig daran hindern kann Resistenzen zu entwickeln, wird deshalb mit Hochdruck geforscht.
Biosensor kann bis zu acht Antibiotika nachweisen
An der Professur für Sensoren (Prof. Dr. Gerald Urban) am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg hat Dr. Can Dincer mit seiner Arbeitsgruppe in den letzten Jahren einen Biosensor entwickelt. Dafür wurde der Mikrosystemtechniker 2017 mit dem Gips-Schüle-Nachwuchspreis ausgezeichnet. Mit dem Sensor können verschiedene medizinische Parameter in Körperflüssigkeiten bestimmt werden, unter anderem nun auch die Konzentration von Antibiotika. Die Sensor-Plattform basiert auf Fotofilmen, die ähnlich wie Blätterteig aufeinandergelegt werden, wie Dincer sie beschreibt. „Der größte Vorteil dieses fluidischen Systems ist, dass es ganz einfach und günstig herzustellen ist und ohne große Zusatzausrüstung in jedem Labor angewandt werden kann“, sagt er. „Hierfür nutzen wir einen einfachen fotolithografischen Prozess, der Standard auf der ganzen Welt ist.“ Das Biosensorsystem besteht aus relativ hohen mikrofluidischen Kanälen von rund 60 Mikrometern, in denen elektrochemische Tests stattfinden können. Es existieren verschiedene Sensorformate mit zwei, vier und acht Kanälen oder ein klassisches Einkanalsystem, je nachdem, wie viele Substanzen parallel nachgewiesen werden sollen.
Elektrochemisches Biosensorsystem für eine patientennahe Labordiagnostik, beispielsweise zur Unterstützung einer personalisierten Antibiotika-Therapie
© IMTEK, Bild: Andreas Weltin
Der Antibiotikatest, der in den Kanälen stattfindet, beruht auf einer Methode, die der Freiburger Biotechnologe Prof. Dr. Wilfried Weber (BIOSS Centre for Biological Signalling Studies), Projektpartner der Mikrosystemtechniker, gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe mitentwickelt hat. Für den Nachweis des entsprechenden antibiotischen Wirkstoffs nutzen die Forscher ein natürliches Sensorsystem resistenter Bakterien. „Dabei handelt es sich um eine DNA-Sequenz plus Repressorprotein – ähnlich wie ein Haus mit Hund“, erklärt Dincer. „Dabei erkennt der Repressor das Antibiotikum als Eindringling, die DNA wird abgelesen. Und wir können mithilfe eines markierten Proteins nachweisen, ob Antibiotikum gebunden wird. Denn dann bekommen wir ein Signal.“ Von der Probenentnahme bis zum Ablesen des Ergebnisses vergehen lediglich 15 Minuten.
Bislang wurde die Machbarkeit in einer Studie mit dem Test menschlichen Bluts auf die beiden Antibiotika Tetracyclin und Streptogramin bewiesen.1 „Man könnte aber bis zu acht Substanzen gleichzeitig nachweisen“, erklärt der Freiburger Wissenschaftler. „Wir arbeiten derzeit daran, den Test noch weiter zu verbessern, sodass man mit möglichst wenig Probenmenge innerhalb kürzester Zeit messen kann. Zudem haben wir im Moment praktisch nur den Sensor, wollen aber dazu auch noch ein geeignetes Auslesesystem mit Mikropumpen entwickeln, sodass man idealerweise nur noch einen Tropfen der Probe (z.B. Blut) eingeben muss und die Maschine dann das Ergebnis automatisch herausgibt.“
Personalisierte Antibiotikatherapie mit Proben aller Art
Prinzipiell kann man mit dem Biosensor-System praktisch alle menschlichen Körperflüssigkeiten/Atemgase ohne größere Probenvorbereitung messen: Plasma, Urin, Atemgas und sogar dickflüssiges Vollblut können analysiert werden. Die zukünftige Anwendbarkeit ist also dementsprechend groß: „Beispielsweise könnte man während einer Operation immer wieder die Antibiotikakonzentration von Patientenproben messen und so die Wirkstoffe exakt der Operationsdauer und dem jeweiligen Organismus anpassen“, sagt Dincer. „Eine solche personalisierte Therapie vermindert Resistenzen und Schäden am Körper erheblich.“ Getestet haben die Forscher eine solche Möglichkeit auch schon, und die Ergebnisse seien sinnvoll, wie Dincer berichtet.
Angedacht haben die Freiburger Forscher auch, den Biosensor dafür einzusetzen, um exakt festzustellen, wie schnell ein einzelner Organismus ein Antibiotikum verbraucht, und damit die für ihn individuelle Dosierung zu ermitteln. Auch den Anfang und das Ende einer Antibiotikatherapie könnte man mithilfe des Sensors individuell festlegen. „Wir könnten dann genau sagen, wann die Einnahme des Medikaments beendet werden soll“, so der Mikrosystemtechniker. „Denn nimmt man das Antibiotikum zu lange, belastet dies Leber und Niere unnötig; nimmt man es aber zu kurz ein, besteht die Gefahr, dass sich Resistenzen entwickeln. Diese Technik könnte uns deshalb den Weg zu einer personalisierten Antibiotikatherapie öffnen.“
Sensor als „Plug-and-Play-System“
Aber nicht nur Antibiotika lassen sich mithilfe der Sensor-Plattform analysieren. „Mit diesem System kann man vieles tun“, sagt Dincer. So wollen die Forscher demnächst auch microRNA mit diesem Biosensor untersuchen. „Denn man vermutet stark, dass das Verhältnis dieser RNA als Biomarker für unterschiedlichste Krankheiten verwendet werden könnte“, so Dincer. „Seit 2016 laufen hier zwei DFG-Projekte bei uns.“ Dabei ist die Produktionsweise für den Chip genau gleich, und der Biosensor wird ähnlich aussehen wie die Sensoren für die personalisierte Antibiotikatherapie. Dass die microRNA-Detektion funktioniert, wissen die Forscher schon. Nun ist man am IMTEK dabei, die Tests zu optimieren und vielleicht eine Möglichkeit zu finden, die Ribonukleinsäuren noch schneller – also gar ohne Polymerasekettenreaktion – detektieren zu können. „Dabei stehen wir aber noch ganz am Anfang“, wie Dincer sagt. „Aber wir hoffen, dass wir damit in zwei bis drei Jahren ein komplett neues Gebiet in der Diagnostik erschließen können.“
Überhaupt wollen die Wissenschaftler aus der Sensor-Plattform eine Art „Plug-and-Play-Spielzeug für Biochemiker und Mediziner“ machen, wie der Forscher sagt: Unser größtes Ziel ist es, ein tragbares System zu schaffen, das autonom arbeitet und das jeder Patient einmal bei sich tragen könnte. Damit könnte man Substanzen dann über längere Zeit analysieren. Allerdings sind vorher noch viele Fragen offen – auch ethische.“