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Promotoren für die Konstruktion genetischer Schaltkreise

Genschalter oder Promotoren sind für die Steuerung aller Aktivitäten der Zelle von zentraler Bedeutung. Sie stehen daher auch für die Konstruktion extern steuerbarer genetischer Schaltkreise mit Methoden der Synthetischen Biologie im Mittelpunkt des Interesses. Das heute in der Biotechnologie am weitesten verbreitete künstliche Regelsystem benutzt die von Bujard und Mitarbeitern erfundene Tet-Technologie mit Tetracyclin-sensitiven Promotoren.

Die kontrollierte Genexpression, also das willkürliche An- und Abschalten spezifischer Gene durch den Experimentator, ist für die Grundlagenforschung eine der wichtigsten Methoden zur Untersuchung von Genfunktionen. Sie ist auch ein unerlässliches Instrument der Synthetischen Biologie, um zelluläre Regelkreise („regulatory circuits“) zielgerichtet zu modifizieren und von außen zu steuern. Genschalter, mit denen man durch Hinzufügen oder Weglassen von Molekülen die Aktivität spezifischer Gene gezielt steuern kann, spielen daher bei der Konstruktion genetischer Schaltkreise eine entscheidende Rolle. Mit ihrer Hilfe könnte man, zum Beispiel für Bioproduktionsprozesse, die Stoffwechselwege der Zelle für die gewünschten Syntheseleistungen optimieren, oder man könnte, zum Beispiel in der Gentherapie, fehlgeleitete Prozesse bei Krebs oder genetisch bedingten Stoffwechselkrankheiten korrigieren.

Das Tet-System

Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Hermann Bujard © Universität Heidelberg

Die am häufigsten eingesetzte Technologie zur Kontrolle der Genexpression in höheren Organismen ist heute die von Gossen und Bujard 1992 erstmals vorgestellte Tet-Technologie. Sie basiert auf einem genetischen Regelkreis, der in Bakterien die Resistenz gegen das Antibiotikum Tetracyclin (das die bakterielle Proteinbiosynthese durch Bindung an die A-Stelle der Ribosomen inhibiert) reguliert. Die Transkription des Tetracyclinresistenz-Operons wird durch den Tet-Repressor in Abwesenheit des Antibiotikums inhibiert und erst durch Bindung von Tetracyclin an den Repressor aktiviert. Bujard und Mitarbeitern gelang es auch, dieses Regulationssystem für Eukaryontenzellen zu adaptieren, so dass einzelne spezifische Gene zum Beispiel in Säugerzellen gezielt an- oder abgeschaltet werden können. So konnte in einer mit dem Tet-Schalter ausgestatteten menschlichen Tumorzelllinie die Aktivität eines einklonierten Gens um das 250.000fache (gemessen an der Konzentration des Genproduktes) reguliert werden, indem man die Tetracyclinmenge im Kulturmedium veränderte. Das System ist so empfindlich, dass aus der Rindermast stammende Spuren des Antibiotikums im fötalen Kälberserum, das für die Zellkultur verwendet wird, noch das Experiment verfälschen können. Drei Nanogramm pro Milliliter des heute meist verwendeten Tetracyclinderivats Doxycyclin genügen, um den Promotor vollständig abzuschalten.

Für die Genexpression in Eukaryontenzellen muss dem einklonierten Gen ein Promotor vorgeschaltet sein, der die Transkription in dem Zellsystem ermöglicht. Beim Tet-System wird der Tet-Repressor mit einer viralen Aktivierungsdomäne fusioniert und in einen Transkriptionsaktivator, den sogenannten „tetracyclinabhängigen Transaktivator“ (tTA) überführt, der auf einem der beiden Vektoren des Tet-Systems kodiert ist. Der andere Vektor enthält im Promotor eine multiple Klonierungsstelle (oder „Polylinker“) für das zu klonierende Gen, dessen Transkription durch Tetracyclin kontrolliert wird. In der „Tet-off“-Variante des Systems wird das einklonierte Gen in Abwesenheit des Antibiotikums transkribiert; gibt man hingegen Tetracyclin oder Doxycyclin, so findet keine Transkription statt. In der „Tet-on“-Variante liegt ein reverser tetracyclinabhängiger Transaktivator vor, der eine Transkription erst nach Zugabe von Tetracyclin oder Doxycyclin ermöglicht.

Bis heute sind weit über 6.000 wissenschaftliche Publikationen erschienen, bei denen das Tet-System eingesetzt wird. Die Rechte an der durch ein breites Patentportfolio geschützten Technologie wurden auf die von Bujard und seinen Kollegen gegründete Firma TET Systems Holding GmbH & Co. KG in Heidelberg übertragen. Die TET Systems Holding vermarktet Lizenzen auf die Tet-Technologie durch ihr Tochterunternehmen IP Merchandisers. Über 150 Organisationen, darunter große akademische Institutionen, wissenschaftliche Stiftungen sowie Pharma- und Biotech-Unternehmen haben Lizenzen für ihre eigenen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten erworben. Darunter befinden sich allein 17 der 20 großen globalen Pharmakonzerne. Für akademische Forschung ist die Lizenz kostenfrei, wenn die Technologie über die Firma Clontech (die heute zu Takara gehört), die das Tet-System seit Anbeginn vertreibt, erworben werden.

Modular aufgebaute Regulationssysteme

Die meisten Funktionen in der Zelle und auch die meisten krankheitsauslösenden Ereignisse werden durch mehrere oder sogar viele Gene beeinflusst. Um diese Vorgänge zu verstehen und zukünftig vielleicht auch verändern zu können, muss man mehrere Gene gleichzeitig, unabhängig voneinander regulieren können. Es ist ein Vorteil, dass sich das Tet-System als sehr anpassungsfähig erwiesen hat und weiterentwickelt, modifiziert und für unterschiedliche Funktionen optimiert wird. So stehen mehrere Operatorsequenzen zur Verfügung, die unabhängig voneinander spezifisch und selektiv von entsprechenden Tet-Repressor-Allelen erkannt werden. Von Bedeutung ist auch, dass gewebespezifische Promotoren vorhanden sind; sie sind, gerade für medizinisch orientierte Anwendungen, meist interessanter als ubiquitär aktive Promotoren.

Neben dem Tet-System sind in den vergangenen Jahren unabhängig viele weitere genetische Schaltkreise entwickelt worden. Erwähnt werden soll nur das vielfach verwendete Cre/loxP-System, mit dem man gezielt DNA-Sequenzen aus lebenden Zellen entfernen kann. Im Unterschied zum Tet-System, das reversibel ist, so dass Gene mehrfach an- und abgeschaltet werden können, ist Cre/loxP irreversibel. Es ist abzusehen, dass für die Zwecke der Synthetischen Biologie mehrere regulatorische Systeme modular nach dem Baukastenprinzip („Biobricks“) miteinander kombiniert werden. Dabei können komplexe kybernetische Systeme mit positiven und negativen Rückkopplungen entstehen, deren Zusammenspiel kaum vorhersagbar ist und experimentell analysiert werden muss. Bei der Konstruktion komplexer genetischer Schaltkreise müssen klassische Biotechnologie, Systembiologie und Synthetische Biologie zusammenarbeiten.

Ein internationaler Wettbewerb der Synthetischen Biologie

Auf fast spielerische Weise arbeiten Heidelberger Studenten in den Laborräumen des BioQuant an der Konstruktion solcher genetischer Schaltkreise für Säugetierzellen. „Die Arbeit mit Säugetierzellen ist für uns in Heidelberg besonders wichtig, um die Methoden der Synthetischen Biologie auch auf die Krebsforschung ausweiten zu können“, erklärte Professor Roland Eils vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Universität Heidelberg, der das „Spybricks“ genannte Projekt leitet.

Das Heidelberger Team beim Sieg im iGEM-Wettbewerb 2009 © DKFZ

Zunächst generierte das Heidelberger Team aus 13 Studenten mit einem neuen chemischen Syntheseverfahren unterschiedliche Promotorensequenzen nach dem Zufallsprinzip und prüfte die verschiedenen Versionen auf ihre Fähigkeit zur Genaktivierung und ihre Funktionsfähigkeit in der Zelle. Außerdem wurden auch Promotoren zunächst am Computer entworfen, die an bestimmte Steuerungsproteine andocken können, und ihre Funktion experimentell überprüft. Das Ziel ist, neue Genschalter zum Beispiel für Krebszellen zu erzeugen, die nur auf streng definierte Signale reagieren. Die Sequenzen aller neu synthetisierten Genschalter wurden in einer Bibliothek zusammengestellt, die als Baukasten dient, aus dem sich alle Wissenschaftler im Bereich der Synthetischen Biologie bedienen können.

Mit dem „Spybricks“-Projekt nahm das Heidelberger Team mit Projektleiter Eils an dem vom Massachusetts Institute of Technology in Boston ausgetragenen hochkarätigen internationalen Studentenwettbewerb iGEM („International Competition of Genetically Engineered Machines“) im November 2009 teil. Unter den 110 Teams und über 1.100 Studenten der weltbesten Universitäten errangen die Heidelberger sensationell den zweiten Platz in der Gesamtwertung; sie erhielten außerdem den Preis für den besten neuen technischen Standard und den besten Internetauftritt. Bereits im Jahr zuvor hatte das Team bei seiner ersten Teilnahme am iGEM-Wettbewerb drei Spezialpreise gewonnen.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/promotoren-fuer-die-konstruktion-genetischer-schaltkreise