Proteinkomplex sorgt für Ordnung in der Zelle
Forscher nehmen an, dass Fehltransporte der Proteine im Körper mit Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht werden können. Die Molekularbiologen Prof. Dr. Elke Deuerling und Dr. Martin Gamerdinger von der Universität Konstanz haben nun herausgefunden, wie solche Proteintransporte in Zellen störungsfrei ablaufen können.
Proteine sind die Bausteine des Lebens. Ihre Herstellung und ihr Transport in den Zellen funktioniert nach komplexen Mustern. Sollen die Eiweißstoffe störungsfrei in den für sie vorgesehenen Zellorganellen ankommen, sind Signale in den Proteinen und spezifische Transportfaktoren erforderlich, die ihre Erkennung und Sortierung zum Beispiel in das Endoplasmatische Retikulum (ER) oder in die Mitochondrien übernehmen. Das Team um Elke Deuerling, Lehrstuhlinhaberin für Molekulare Mikrobiologie der Universität Konstanz, fand nun heraus, dass neben dem "Signal Recognition Particle" (SRP), das den Proteintransport ins ER stimuliert, auch der Nascent Polypeptide-associated Complex (NAC) zwingend erforderlich ist, um den reibungslosen Ablauf des Proteintransports zu gewährleisten und Fehltransporte zu vermeiden. Was seine Aufgabe in der Zelle ist, war bisher weitgehend unklar. „Für NAC wurden viele verschiedene Funktionen postuliert, darunter auch eine Rolle beim kotranslationalen Transport von Proteinen ins ER. Die Daten über NAC waren bislang allerdings sehr widersprüchlich", beschreibt Deuerling die Situation. Gemeinsam mit Martin Gamerdinger hat sie deshalb erforscht, wie NAC wirkt und welche Bedeutung dem Komplex zukommt.
Gemeinsam erforschen die Molekularbiologen Dr. Martin Gamerdinger und Prof. Dr. Elke Deuerling die Bedeutung des Nascent Polypeptide-associated Complex (NAC) für den Proteintransport.
© Universität Konstanz
Elke Deuerling und ihre Arbeitsgruppe konzentrieren sich auf Ribosomen-assoziierte Chaperone, zu denen auch NAC zählt. Darauf aufbauend soll die Funktion des Komplexes am Ribosom aufgeklärt werden. Ribosomen haben generell eine hohe intrinsische Affinität zur Translokationspore der ER-Membran, ganz unabhängig davon, ob sie aktiv sind oder ein Protein mit einer Signalsequenz für den spezifischen SRP-vermittelten ER-Transport synthetisieren. Das legte den Schluss nahe, dass es eine inhibitorische Aktivität geben muss, die diese unspezifische Bindung von Ribosomen unterbindet. „Wir wollten wissen, ob NAC eine solche Funktion ausübt und wie es die Transportvorgänge in der Zelle beeinflusst", erklärt Deuerling. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat Gamerdinger die Funktion des Proteinkomplexes NAC im Tiermodell untersucht. Dabei wurde bereits aus den ersten Befunden ersichtlich, dass NAC beim Proteintransport eine wichtige regulatorische Aufgabe erfüllt. „Ein Schlüsselexperiment war, die Genexpression von NAC und SRP gleichzeitig zu reduzieren. Dies führte zu einer stark potenzierten ER-Stressantwort. Somit war klar, dass NAC den Proteintransport zum ER entscheidend beeinflusst", erläutert Martin Gamerdinger seine Vorgehensweise.
Ein Fadenwurm liefert das Ergebnis
Zu dem Ergebnis, dass NAC eine wichtige regulatorische Funktion beim kotranslationalen Proteintransport zum ER ausübt, kam Gamerdinger mithilfe eines Versuchsaufbaus, in dessen Zentrum der Fadenwurm Caenorhabditis elegans (C. elegans) stand. „Gerade diesen Fadenwurm als Modellorganismus auszuwählen war eine ganz gezielte Entscheidung, denn NAC ist für diesen Organismus essenziell. Gleichzeitig ist es relativ einfach möglich, über RNA-Interferenz-Techniken die Menge an NAC in adulten Tieren zu reduzieren", begründet Deuerling die Entscheidung. Dadurch ist es gelungen, Defekte, die durch das Fehlen von NAC entstanden sind, sowohl am lebenden Tier als auch auf molekularer Ebene durch biochemische Techniken zu verfolgen. „Ein weiterer entscheidender Vorteil für die Erforschung von NAC war, dass der adulte C. elegans ein völlig postmitotischer Organismus ist und daher bei Zellstress nicht den programmierten Zelltod einleitet. So konnten wir die Primäreffekte, die durch die Depletion von NAC entstehen, präzise analysieren", ergänzt Gamerdinger.
Der Fadenwurm C. elegans eignet sich besonders gut als Modellorganismus.
© Universität Konstanz / Martin Gamerdinger
Wenn NAC fehlt, wird Stress im ER ausgelöst. Dies passiert, weil Ribosomen unspezifisch an die ER-Membran gelangen und so teilweise auch Proteine, die an diesen Ribosomen synthetisiert werden, fälschlicherweise ins ER transportiert werden. Wie die Studie zeigt, gilt dies vor allem für Proteine, die eigentlich für Mitochondrien bestimmt waren. Dass vor allem mitochondriale Proteine in Abwesenheit von NAC fehlgeleitet werden, erregte besonders das Interesse der Forscher, denn frühere Studien wiesen auf eine Funktion von NAC im mitochondrialen Proteintransport hin. „Unsere Studie zeigt nun, dass NAC Fehltransporte ins ER verhindert und so indirekt den korrekten Transport von Proteinen zu Mitochondrien fördert", beschreibt der Molekularbiologe den Erfolg der Studie. Er hat nachgewiesen, dass die Tiere nur halb so lange leben, wenn wenig NAC vorhanden ist, und konnte klären, dass der ER- und mitochondriale Stress durch die Fehltransporte von Ribosomen zum ER ausgelöst wird, wenn die inhibitorische Funktion von NAC fehlt.
Die Kombination von Fluoreszenzmikroskopie und Bioinformatik führt zum Erfolg
Um die Funktion von NAC nachzuweisen, mussten verschiedene Techniken kombiniert werden. „Nur durch die Verknüpfung verschiedener Methoden konnten wir zu einem umfassenden Bild kommen und klare Aussagen treffen", erklärt Deuerling. Dabei wurde die hochauflösende, konfokale Fluoreszenzmikroskopie zum Nachweis von fehllokalisierten Proteinen im ER-Lumen eingesetzt, während Ansätze aus der Bioinformatik zur systemweiten Auswertung der Daten genutzt wurden. „So konnten wir feststellen, dass NAC vor allem die Anheftung von zytosolischen Ribosomen an die ER-Membran verhindert, die Proteine ohne ER-Signalsequenz translatieren, während Ribosomen, die die ER-spezifischen Proteine herstellen, größtenteils unbeeinflusst von NAC ganz normal durch SRP-vermittelten Transport korrekt am ER ankommen", erläutert Gamerdinger.
Grundlagenforschung für die Alzheimertherapie von morgen
Die Studie versteht sich als Grundlagenforschung und klärt auf, warum NAC essenziell ist und welche Prozesse in den Zellen von diesem Proteinkomplex beeinflusst werden. Dennoch gibt es interessante anwendungsbezogene Aspekte. „Wir haben gesehen, dass Tiere mit zu wenig NAC nur halb so lang leben wie solche mit normalen NAC-Mengen in den Zellen. Zudem wurde von Forschern beobachtet, dass Alzheimerpatienten reduzierte Mengen an NAC haben. Ob NAC sich direkt auf die Ausbildung von Alzheimer auswirkt, ist jedoch unklar und muss in Zukunft erforscht werden", erklärt Deuerling.
Über eine Strukturanalyse soll deshalb in einem nächsten Schritt geklärt werden, wie NAC mechanisch im Zusammenspiel mit SRP beim Proteintransport wirkt. „Wir wollen wissen, wie NAC auf dem Ribosom sitzt und die Bildung an die ER-Translokationspore verhindern kann", erläutert Gamerdinger. „Der Frage auf den Grund zu gehen, ob die Funktion von NAC während des Alterns und unter Proteinstress, der unter anderem zu Alzheimer führt, beeinträchtigt ist, wird eine Aufgabe sein, der wir uns in Zukunft widmen werden", sagt Deuerling abschließend.