Quality by Design – Paradigmenwechsel bei der Bioprozessentwicklung
In der Bioprozesstechnologie hat ein grundlegender Wandel in Bezug auf die Bewertungskriterien der Produktqualität stattgefunden: Vor gut zehn Jahren revidierte die U.S. Food and Drug Administration (FDA) bestehende Richtlinien der Bioprozesstechnologie und läutete später mit der ‚process analytical technology‘- (PAT-)Initiative einen Paradigmenwechsel ein. Vormals statisch definierte, an ein Endprodukt angelegte Gütekriterien sollten durch prozessorientierte abgelöst werden. Wie sich diese Entwicklung auf Unternehmen auswirkt, erklärt Dr. Helmut Trautmann, CEO der abiotec AG, im Gespräch.
Dr. Helmut Trautmann, Geschäftsführer der abiotec AG, beschäftigt sich seit fast zwei Jahrzehnten mit Bioprozesstechnologie.
© Helmut Trautmann
Herr Dr. Trautmann, was hat den Paradigmenwechsel von statischen hin zu dynamisch-prozessorientiert definierten Qualitätskriterien veranlasst?
Eine durch Rückrufe, Beschwerden und andere Indikatoren belegte, mangelhafte Arzneimittelqualität aus sogenannten ‚validierten‘ Herstellungsprozessen wies ursächlich auf einen Mangel an Prozessverständnis und eine damit verbundene inadäquate Prozesskontrolle hin. Dies war seitens der U.S. Food and Drug Administration (FDA) bereits vor gut zehn Jahren der Anstoß zur Revision bestehender Richtlinien aus dem Jahr 1987. 2004 veröffentlichte die FDA unter dem Titel „Pharmaceutical cGMPs for the 21st Century: A Risk Based Approach“ ihre PAT-, also ‚process analytical technology‘-Initiative. Weitergehende Richtlinien zu ‚quality by design‘ (QbD) wurden in den folgenden Jahren erarbeitet. Der damit verbundene radikale Paradigmenwechsel von einem ursprünglich statischen, Endprodukt-orientierten Denken zu einem dynamischen und umfassend wissenschaftlich motivierten Qualitätskonzept hin stellt den Beginn einer neuen Ära dar: Durch Umsetzung jeweils neuester Erkenntnisse aus den verschiedenen Wissenschaftsbereichen soll der Produktionsprozess von Anfang an konsistent zu einer gesicherten Produktqualität führen. Das letztendlich angestrebte Ziel ist eine sogenannte ‚quality by design‘.
Welche Widerstände haben sich dem einmal begonnenen PAT-Prozess in den Weg gestellt und welche Auswirkungen auf produzierende Unternehmen bringt er mit sich?
Der Ressourcenaufwand für die Arzneimittel-Produzenten erhöht sich deutlich: Ganze PAT-Arbeitsgruppen müssen neu gebildet werden, die dann in meist langwierigen Prozessen versuchen, dem komplexen Thema mit dem Aufbau neuer, teilweise aufwändiger Systeme gerecht zu werden. Neben dem personellen und materiellen Mehraufwand im Bereich des ‚process engineering‘ ist zudem mit erhöhtem Bürokratieaufwand für die gesamte Dokumentation zu rechnen – also werden gegenwärtig Projekte eher durch den regulatorischen Druck als auf Basis ökonomischer Triebkräfte bewilligt. Gleichzeitig ist aus industrieller Sicht der angestrebte Vorteil einer Chargenfreigabe alleine basierend auf der Dokumentation des Prozessverlaufs noch nicht wirklich sichtbar. Daneben stellen noch immer offene Fragen zur Inspektionspraxis seitens der Behörden eine zusätzliche Hürde dar. Als vorläufiges Fazit könnte man sagen, dass industrielle Kosten-Nutzen-Überlegungen oft im Wege stehen.
Im Gegenzug sind trotz des Aufwandes die Chancen, die ein PAT- und QbD-konformer Prozess systembedingt bietet, natürlich nicht zu übersehen: Hohe Effizienz bei den doch teuren Produktionsprozessen und ein hohes Maß an Produktsicherheit, die ja gerade im sensitiven Bereich medizinischer Anwendungen dringend geboten ist. Die anfangs hohen Aufwendungen für die Umsetzung von PAT und QbD werden also durch die erhöhte Qualität wie auch Produktivität ausgeglichen werden. Gleichwohl ist es für pharmazeutische Firmen wichtig, bereits früh ein Umfeld zu schaffen, in dem auch ökonomisch motivierte Entwicklungsprojekte lanciert werden. Dafür braucht es Methodik und Analytik, welche die Synergien der QbD-Lösungen anderen Produkten, verschiedenen Standorten sowie den unterschiedlichen Phasen von ‚drug discovery‘ über Prozessentwicklung bis hin zur Produktion zur Verfügung stellen.
„Multiple High Precision Bioprocessing“ in Forschung und Entwicklung als Grundlage für eine zuverlässige und effiziente Gewinnung von transferierbarem Prozessverständnis.
© DSM/ Novartis Pharma AG
Wie wirkt sich die PAT-Initiative auf die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft aus?
Die akademische Wissenschaft setzte mit ihren jeweils aktuellen Forschungsthemen und Ergebnissen schon immer Impulse für die industriell relevanten Aufgaben in der Prozesstechnik. Mit der PAT-Initiative hat sich die Situation weitgehend umgekehrt: Jetzt kommen die entsprechenden Impulse primär aus der Industrie. Gerade bei den typischerweise komplexen biologischen Systemen erweist sich die PAT-Thematik oft als sehr anspruchsvoll und umfangreich; hier ist ein entsprechend kompetenter Forschungs- und Technologie-Support seitens der akademischen Wissenschaft natürlich gefragt.
Laut Herrn Prof. Dr. Herwig vom Forschungsbereich Bioverfahrenstechnik an der TU Wien, der die Thematik sowohl durch seine langjährige Industrie-Historie als auch durch seine ausgewiesenen Leistungen im akademischen Bereich bestens kennt und der hier aktuell die wichtigsten Impulse setzt, ist erst durch die Initiativen für PAT und QbD auf breiter Front deutlich geworden, dass die rekombinante Biotechnologie nicht ohne ein wissenschaftlich basiertes Grundverständnis für Produkt und Prozess zu sicheren Produkten bei hoher Wirtschaftlichkeit führen kann. Man kommt daher zum Ergebnis, dass die Bioprozesstechnologie wieder auf Augenhöhe mit der rekombinanten Biotechnologie gesehen und auch verknüpft werden muss.
Was für Schlussfolgerungen ergeben sich aus dem Paradigmenwechsel für die von Ihnen betriebene Prozesstechnologie?
Mit meiner Firma abiotec – advanced bioprocess technologies – biete ich Gesamtlösungen entsprechend dem PAT-Paradigma an. Meine akademischen Ansätze hierzu gehen auf Schwerpunkte meiner Forschungsgruppe für animale Zellkulturen an der ETH Zürich vom Beginn der 1990er-Jahre zurück: Aus der Erkenntnis, dass die Modulation der zellulären Mikro-Umgebung den Stoffwechsel und damit die vielfältigen biochemischen Leistungen der Zellen maßgeblich beeinflusst, leiten sich die erweiterten Strategien einer optimierten Prozessführung ab. Insbesondere der Identifizierung und Regelung geeigneter Konzentrationsverhältnisse von Mediumskomponenten, die für die zelluläre Energiegewinnung oder als Bausteine für die Biosynthese benötigt werden, kommt dabei eine wesentliche Rolle zu.
Grundsätzlich besteht auch sieben Jahre nach Lancierung der PAT-Initiative in der Industrie noch immer Unsicherheit, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Die mit QbD verbundenen hohen Ansprüche an die Prozessführung lassen sich in der Praxis meist nur schrittweise und unter hohem Aufwand umsetzen. Hier gilt es, zunächst aus der Fülle der wissenschaftlich begründbaren Optionen die wesentlichen Kriterien für eine erfolgreiche Prozessführung mit Blick auf die erforderliche Produktqualität herauszuarbeiten und diese dann möglichst in technisch überschaubare und alltagstaugliche Systeme zu übersetzen. Mit der Etablierung eines ‚EASY-PAT‘-Ansatzes versuche ich, den Schrecken vor der Materie zu nehmen und das Erreichen bereits beachtlicher Fortschritte in diesem grundsätzlich iterativen Prozess mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand zu ermöglichen.
Welche Rolle spielt in Ihrer Prozesstechnologie die Gewinnung von biochemischer und biologischer Information?
Grundsätzlich geht es bei der PAT-Thematik um ein wissenschaftlich begründetes Prozessverständnis im Hinblick auf die zu erzielende Produktqualität. Dazu müssen zunächst die sogenannten ‚critical quality attributes‘ (CQAs) für das jeweilige Produkt erarbeitet werden. Im nächsten Schritt werden dann unter der Fülle der möglichen Prozessbedingungen diejenigen identifiziert, die einen Einfluss auf die Produktqualität haben, die sogenannten ‚critical process parameters‘ (CPPs). Als erster essentieller Schritt für das Prozessverständnis steht zunächst die Gewinnung von biochemischen und biologischen Daten. Aus diesen lassen sich durch weitere Operationen dann Informationen herausarbeiten, die in ihrer Gesamtheit schließlich zum Prozessverständnis beitragen. Um rund um die Uhr automatisiert die erforderliche Messdatendichte zu erhalten, wie sie sonst nur ‚off-line‘ durch qualifiziertes Laborpersonal mit meist unvertretbar hohem Aufwand und unter entsprechendem Zeitverzug möglich wäre, müssen neue automatisierte Analysesysteme entwickelt und eingesetzt werden.
Ein integraler Ansatz zur PAT-konformen Gewinnung von Prozessverständnis aus Rohdaten und daraus abgeleiteten Informationen stellt die Basis für eine effiziente Prozesskontrolle dar. Das Konzept der Bestimmung spezifischer Stoffwechselraten soll den massstabsunabhängigen Transfer der Ergebnisse von der Entwicklung über das Scale-up bis hin zur Produktion ermöglichen.
© H. Trautmann/ C. Herwig, TU Wien
Was für Produkte entwickeln Sie mit Ihrer Firma und wie können sie im erläuterten PAT-Paradigmenwechsel verortet werden?
In der Schrittkette eines PAT-konformen Prozessverständnisses steht primär die Erzeugung von Daten. Neben invasiven Systemen, die über automatisierte sterile Probenentnahme und anschliessende Probenvorbereitung die Anbindung von Routineanalytik ermöglichen, bearbeiten wir zur Zeit im Bereich der nicht-invasiven Techniken ein interessantes Projekt zur Fluoreszenzmessung via optischer Bioreaktorsonden: Unter Ausnutzung der optischen Eigenschaften biogener Fluorophore oder aber auch fluoreszierender Reporter-Proteine lassen sich so prozesstechnisch relevante Zustände schnell und effizient detektieren; diese können sowohl Aspekte des zellulären Stoffwechsels als auch der Produktivität betreffen.
Um als direktes ‚Fluoreszenzauge‘ in den Prozess ein kleines und robustes ‚on-line‘-Messsystem mit der erforderlichen Präzision eines hochwertigen und baulich großen Tischgerätes zur Verfügung zu stellen, entwickeln wir zur Zeit auf der Basis der besonders leistungsstarken Fluoreszenz-Messtechnik der Firma Qiagen Lake Constance GmbH in Stockach ein entsprechendes modulares System für jeweils maßgeschneiderte Anwendungen. Mit dem Ergebnis wollen wir dem ehrgeizigen Ziel eines PAT- und QbD-basierten Prozesses ein Stück näher kommen.