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Ralf Reski: Vom Moos in den Menschen

Prof. Dr. Ralf Reski betreibt Grundlagenforschung an der Universität Freiburg. Dies allein reicht dem renommierten Pflanzenbiotechnologen aber noch nicht: Aus seinen Ideen sollen auch einmal konkrete Produkte hervorgehen. Und so gründete er schon vor Jahren die Greenovation Biotech GmbH – eine Firma, die neuartige Medikamente in Moosen produziert. Nun wird ein erster Wirkstoff – Moos-aGal, eine rekombinante Form der menschlichen α-Galactosidase – in einer klinischen Studie am Menschen getestet.

Prof. Dr. Ralf Reski ist Pflanzenbiotechnologe an der Universität Freiburg. Er hat die Greenovation gegründet – eine Firma, die neuartige Medikamente für seltene Erkrankungen in Moosen herstellt. © Sigrid Gombert

Auf die Idee, kompliziertere menschliche Proteine mithilfe von Mooszellen herzustellen, kam der Biologe Prof. Dr. Ralf Reski schon während der Studienzeit, als sein damaliger Doktorvater ihn um eine Projektskizze für ein Graduiertenkolleg Biotechnologie der DFG bat. Mit Erfolg: Das Forschungsprogramm wurde genehmigt, und am Ende der sechsjährigen Förderphase wurde das erste menschliche Protein von einem Moos hergestellt.

Die Bryotechnologie – Moose werden systematisch als Bryophyten bezeichnet – blieb in der Folge auch weiterhin eines seiner bevorzugten Forschungsgebiete, auch nachdem der Wissenschaftler den Lehrstuhl für Pflanzenbiotechnologie an der Universität Freiburg übernahm. 1999 gründete der Professor dann gemeinsam mit dem Zellbiologen Prof. Dr. Gunther Neuhaus die Greenovation Biotech GmbH. Die Idee zur Unternehmensgründung kam den beiden Wissenschaftlern, weil sie beide Forschung betrieben, die praxisrelevant war, wie Reski sagt: „Mein Lehrstuhl macht exzellente, pflanzenbiotechnologische Grundlagenforschung, aber die konkrete Umsetzung konnte an der Uni nicht geleistet werden – dazu musste eine Firma her. Unsere Ideen sollten auch irgendwann einmal den Schritt in die Klinik finden – sozusagen vom Moos in den Menschen.“

Mooszellen produzieren Pharmawirkstoffe

Damals startete die junge Biotechfirma mit einem breiten Paket an Ideen. Aber den Gründern war bald klar, dass man sich auf ein einziges Gebiet fokussieren musste, wenn man Erfolg haben wollte. Heute entwickelt die Greenovation neuartige Therapeutika für seltene Erkrankungen. Dabei werden die Therapeutika in Mooszellen und großen Bioreaktoren produziert. BryoTechnology wird diese Plattform genannt, die entwickelt wurde, um menschliche Glykoproteine in großem Maßstab herstellen zu können.

Für die Grundlagenforschung werden die Moospflänzchen zunächst in kleinerem Maßstab gezüchtet. © Pflanzenbiotechnologie, Universität Freiburg

Im Herbst 2015 erhielt die Firma die Genehmigung für eine klinische Phase–I-Studie mit dem ersten in Moos produzierten Pharmawirkstoff. Solche Erfolge sind es, die Reski bestätigen, dass es richtig war, den Schritt der Firmengründung zu wagen: „Das ist das Gütesiegel für mich als Wissenschaftler“, sagt er. „Die offizielle Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM, die bedeutet, dass das Produktionssystem sicher und die Daten super sind, das ist eine tolle Sache. Ich bin zuallererst Professor, und meine Aufgabe ist die Forschung, habe aber als Miteigentümer noch einen kleinen Anteil an der Firma und bin wissenschaftlicher Beirat. Meiner Meinung nach muss es auch eine ganz klare Trennung zwischen Lehrstuhl und Firma geben, das ist mir sehr wichtig.“

Neuartige Wirkstoffkandidaten für seltene Erkrankungen

Das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens kann menschliche Proteine produzieren. © Pflanzenbiotechnologie, Universität Freiburg

Täglich präsent ist Reski bei der Greenovation also nicht mehr. Allerdings gibt es Kooperationen zwischen Lehrstuhl und Unternehmen. Bisher erfolgreichstes Produkt der Firma ist das Moos-aGal – eine rekombinante Form der menschlichen α-Galactosidase –, das derzeit in einer klinischen Studie getestet wird. Das Protein wird in der Enzymersatztherapie bei Patienten mit der genetisch bedingten Fabry-Krankheit verwendet. „Das Enzym gibt es zwar schon auf dem Markt, aber bisher nur aus tierischen Zellen, was den Nachteil hat, dass das Glykosylierungsmuster der Proteine sehr heterogen sein kann“, erklärt der Professor. „Wir hoffen, dass Moos-aGal wesentlich besser wirkt.“

Und auch einen zweiten Wirkstoff haben Lehrstuhl und Unternehmen an den Start geschickt: Moos-FH – ein rekombinantes Protein, das sehr stark dem Faktor H des menschlichen Komplementsystems ähnelt und als Therapeutikum für das atypische hämolytisch urämische Syndrom (aHUS) dienen soll, einer seltenen Erkrankung, die die Durchblutung der Organe beeinträchtigt und diese dauerhaft schädigt.

Der Faktor H wurde ursprünglich am Lehrstuhl entwickelt. „In diesem Fall handelt es sich um ein außerordentlich kompliziertes Protein“, berichtet der Biotechnologe. „Und wir bekamen die Anfrage, ob wir auch solche komplexen Moleküle bryotechnologisch herstellen könnten. Wir haben es probiert, und es ging tatsächlich. Dies wurde früher auch schon mit anderen Systemen versucht, aber nie hat es geklappt.“ Und er fügt hinzu: „Zurzeit gibt es nur zwei Therapiemöglichkeiten: Entweder lebenslang zweimal die Woche Bluttransfusion oder einen Antikörper, bei dem es sich um das teuerste Medikament überhaupt handelt, und der Nebenwirkungen hat.“ Die Ergebnisse zum Faktor H wurden schon veröffentlicht, und Moos-FH wird derzeit von der Greenovation gemeinsam mit der Universitätskinderklinik Freiburg in einer präklinischen Phase getestet.

Firma und Lehrstuhl – Kompetenzen, die sich ergänzen

Aber auch in diesem Fall achtet der Professor auf eine ganz klare Trennung zwischen Universität und Unternehmen: „Alle Verträge werden zwischen Universitätsverwaltung und Firma ausgehandelt. Dass wir dann doch unterschiedliche Akteure sind, ist für mich aber eine wunderbare Situation. Denn jeder hat seine Kompetenzen, die er einbringt. Wir haben den Wirkstoff zwar entwickelt, aber die Herstellung in einem 20-Liter-Bioreaktor ist beispielsweise absolut nicht ausreichend. Da hat die Firma ein ganz anderes Produktionssystem, so etwas hat keine Uni. Dieser Entwicklungsprozess bis zum Produkt macht großen Spaß, weil auch ich noch viel dazulerne.“

Bei der Greenovation werden menschliche Proteine als Biopharmazeutika in großen Moos-Bioreaktoren produziert. © Greenovation

So gibt es nach Reskis Aussagen auch absolut keine Probleme mit der Vereinbarkeit von Forschung, Lehre und Firmeninteressen: „Ich bin zwar Professor, aber Uni und Politik sind solchen Industriekooperationen durchaus sehr wohlgesonnen. Gerade Freiburg ist eine außerordentlich gründungswillige Hochschule – dabei, und bei den Industriekooperationen generell, sogar weltweit an der Spitze. Das ist auch für die Grundlagenforschung nur von Vorteil; ich habe beispielsweise bisher in Freiburg über 24 Millionen Euro an Drittmitteln eingeworben, davon stammen 51 Prozent aus Industriekooperationen. Wenn wir Professoren schon vom Steuerzahler finanziert werden, denke ich, dass wir im Gegenzug auch dazu verpflichtet sind, uns Gedanken zu machen, wie wir das Leben der Menschen verbessern können. Und wenn das gelingt, ist das für mich persönlich sehr befriedigend.“

Im Zweifel: Wissenschaft geht vor

Auch in der Lehre sei es gut zu zeigen, dass es noch andere Möglichkeiten als die Universitätslaufbahn gebe, so Reski: „Das macht die Ausbildung breiter. Beispielsweise lernen die jungen Leute ökonomische Denkweisen kennen, das kommt der Lehre zugute. Und für die Attraktivität unseres Lehrstuhls ist das natürlich auch ein Plus.“ Außerdem würden viele Innovationen zwar in Deutschland angestoßen, aber die Ideen dann ins Ausland abwandern, wie er meint. Das habe mit der „Risikoaversität“ der großen Firmen zu tun: „Beispielsweise werden die meisten rekombinanten menschlichen Proteine auf dem Markt mit etablierten Systemen wie den CHO-Zelllinien produziert. Was gibt es da für einen Anreiz, ein komplett anderes Produktionssystem wie Mooszellen zu etablieren?“, stellt er die provokante Frage. „So etwas kann man nur mit Eigenmitteln anstoßen.“

Und dass sich Patent und Publikation gegenseitig behindern könnten, findet der Biotechnologe überhaupt nicht: „Wir forschen möglichst hochklassig, so zum Beispiel im Exzellenzcluster BIOSS oder in FRIAS und USIAS, den Institutes for Advanced Studies in Freiburg und Strasbourg. Das wollen wir natürlich veröffentlichen. Wenn wir aber den Eindruck haben, dass sich die Ergebnisse auch für ein Patent eignen würden, melden wir das an, bevor wir die Daten an die entsprechende Zeitschrift geben. Das gilt auch für die Abschlussarbeiten der Studenten. Die werden dann erst zeitverzögert veröffentlicht. Das ist auch kein Nachteil – es ist eine tolle Erfahrung für die jungen Leute, wenn aus ihren Anstrengungen gleich zwei wissenschaftliche Errungenschaften hervorgehen.“ Und er fügt noch an: „Sollte es aber doch einmal Probleme geben, dann ist meine persönliche Meinung: Wissenschaft zuerst.“

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