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Schützen probiotische Milchsäurebakterien den Darm vor Pathogenen?

Milliarden von Mikroben bevölkern den menschlichen Verdauungstrakt. Dabei haben die Mikroorganismen zwei Gesichter – sie können schädlich oder gesundheitsfördernd sein. Ernährungswissenschaftler vom Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe untersuchen, wie humane Pathogene und sogenannte probiotische Bakterienstämme in unserem Magen-Darm-Trakt miteinander in Wechselwirkung treten. Können Probiotika im Joghurt oder in sauer eingelegtem Gemüse zum Beispiel das Treiben von Krankheitserregern entschärfen? Ellenbogen sind gefragt, denn im Darm herrscht ein Ansturm auf begrenzte Kapazitäten.

Milchsäurebakterien im Mikroskop (stäbchenförmige Gebilde) © Janice Carr

Auf einer Reise durch Bulgarien zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte der spätere Nobelpreisträger Ilja Iljitsch Metschnikow fest, dass saure Milchprodukte gesund machen können. Im bulgarischen Gebirge lernte er Bauern kennen, die viel älter wurden als andere Menschen. Als das Lebenselixier des Bergvolks identifizierte der Mikrobiologe zu seinem Erstaunen bald: Joghurt. In den letzten Jahrzehnten haben Wissenschaftler zahlreiche Stämme von Milchsäurebakterien in Milchprodukten, eingelegtem Sauerkraut und anderen sauer fermentierten Lebensmitteln beschrieben, die gesundheitsfördernde (probiotische) Wirkungen haben können. Unter anderem sind Lactobacillus und Co. in der Lage, für den Menschen pathogenen Bakterien wie Listerien und Staphylokokken im Darm das Leben schwer zu machen. „Wie machen sie das?“, fragt Dr. Claudia Guigas vom Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie am Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe. „Um das zu beantworten, konzentrieren wir uns in unserem Labor auf die Fähigkeit probiotischer und pathogener Stämme, sich an Darmzellen anzuheften.“

Konkurrenz im turbulenten Milieu

Der menschliche Verdauungstrakt ist Lebensraum für 10 bis 100 Billionen Bakterien (das ist mehr als die Summe aller humanen Zellen in einem Menschen). „In den letzten Jahren haben Wissenschaftler immer deutlicher gezeigt, dass die komplexe Darmflora auf mannigfaltigen Ebenen mit dem menschlichen Organismus wechselwirkt“, sagt Prof. Dr. Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am MRI. „Stoffwechselstörungen wie Diabetes oder Leberverfettung hängen mit der Zusammensetzung der Darmflora zusammen, außerdem haben die Mikroorganismen einen Einfluss auf das Immunsystem.“ Heute besteht deshalb bei Forschern verschiedener Disziplinen ein enormes Interesse daran, die Interaktionen in den komplexen Bakteriengesellschaften unseres Darms sowie ihre Einflüsse auf den Gesamtorganismus Mensch besser zu erforschen. Und hier sind auch probiotische Bakterienstämme von Bedeutung. Aber um die Auswirkungen von Mikroorganismen auf die menschliche Gesundheit zu verstehen, müssen zunächst grundlegende Fragestellungen geklärt werden.

Alle Bakterien bemühen sich um Andockstellen an der Oberfläche der Darmwand, an der sie sich im turbulenten Milieu festklammern, um nicht weggespült und ausgeschieden zu werden. „Wir verwenden In-vitro-Kulturen von Darmzellen, in denen wir testen können, ob potenziell probiotische Bakterien den Kampf um Andockstellen gegen Krankheitserreger gewinnen können“, sagt Guigas. Es gibt mannigfaltige Wirkmechanismen von Probiotika im menschlichen Körper. Eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass solche Wirkmechanismen zum Tragen kommen, ist jedoch die Anheftung (Adhäsion) der probiotischen Kulturen an die Darmzellen. Guigas hat zusammen mit Kollegen vor ein paar Jahren Kulturen aus verschiedenen Joghurts getestet, um zu prüfen, ob die Lebensmittel halten, was sie versprechen. „Wir wollten zunächst einmal zwei Dinge wissen“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin und Zellbiologin. „Überleben die angeblich probiotischen Bakterienstämme überhaupt die heftigen Bedingungen der Magen-Darm-Passage und können sie anschließend an Darmzellen binden?“ Wobei die erstgenannte Eigenschaft die Grundlage dafür ist, dass ein probiotisches Bakterium sich (zumindest vorübergehend) überhaupt im Darm etablieren und dort seine positive Wirkung entfalten kann.

In ihren Untersuchungen verwendete Guigas probiotische Bakterienstämme, die ein Mikrobiologie-Kollege zuvor aus verschiedenen kommerziellen Joghurtmarken isoliert hatte. Diese Stämme setzten die Forscher unter unterschiedlichen sauren und alkalischen Bedingungen einem sogenannten In-vitro-Verdauungsprozess aus. Sie konnten feststellen, dass alle als probiotisch deklarierten Stämme die simulierte Magen-Darm-Passage überstanden. Anschließend führten die Forscher am HT-29-Zellkulturmodel In-vitro-Adhäsionsversuche durch: Hierbei wird ermittelt, wie viele zuvor auf Darmzellen aufgebrachte Bakterienzellen nach einer Inkubationszeit von zwei bis vier Stunden und nach Durchlaufen eines Waschschritts an den Darmzellen haften bleiben.

Ein Kampf in der Arena

„Auch die Bindungsfähigkeit der als probiotisch deklarierten Bakterienstämme war zufriedenstellend“, resümiert Guigas. In Folge untersuchten sie und ihre Kollegen auch das Adhäsionsvermögen von Bakterien, die aus weniger bekannten Lebensmitteln wie etwa kenianischen Milchprodukten oder sauer fermentiertem nepalesischem Gemüse stammten. Basierend auf diesen Bindungsstudien kam Guigas dann aber zu der eigentlich interessanten Frage: Können probiotische Milchsäurebakterien die Besiedelung der menschlichen Darmschleimhaut mit pathogene Bakterien verhindern bzw. vermindern?

Um so viel weniger (in Prozent) Pathogene wachsen auf Darmzellen in einer Zellkulturschale, wenn zwei unterschiedliche probiotische Bakterienstämme gleichzeitig (violett), nach einer ersten Besiedelung mit dem Pathogen (gelb) oder vor einer ersten Besiedelung mit dem Pathogen (orange) inkubiert wurden. Diese Ergebnisse gelten allerdings nur für die In-vitro-Situation (siehe Text). © Dr. Claudia Guigas
Sie startete mehrere Versuchsreihen, in denen sie unter Zuhilfenahme des oben genannten In-vitro-Zellkulturmodells probiotische Stämme gegen pathogene Stämme antreten ließ wie in einer Arena. „Ich versuchte herauszufinden, ob noch genauso viele Pathogene an die Darmzellen binden können, wenn probiotische Bakterien zugegen sind“, sagt die Forscherin. Dabei testete sie jeweils einen probiotischen und einen pathogenen Stamm gegeneinander und bestimmte die Menge der pathogenen Bakterien, die noch an die Darmzellen gebunden waren. Sie verglich diese Menge mit der Menge von Bakterien des gleichen pathogenen Stamms, wenn dieser isoliert inkubiert worden war. Waren im Beisein probiotischer Stämme weniger Pathogene an die Darmzellen gebunden? Die Ergebnisse der Versuche zeigten, dass probiotische Bakterien in der Lage sind, die Besiedlung der in der Petrischale gezüchteten Darmzellen mit Pathogenen vorzubeugen und bereits angesiedelte Pathogene wieder zu verdrängen. Die untersuchten Probiotika verminderten die Bindung von Pathogenen an Darmzellen, je nach Versuchsbedingung und untersuchtem Stamm, um bis zu fünfzig Prozent. Allerdings gelten diese Zahlen nur für die In-vitro-Versuche. Der menschliche Darm ist von einer dicken Schleimschicht ausgekleidet. In dieser Schleimschicht herrschen unterschiedliche Gradienten von Nährstoffen, Sauerstoff und antimikrobiellen Peptiden. Ob probiotische Bakterien, die sich prinzipiell an Darmzellen anlagern können, in dieser natürlichen Umgebung zurechtkommen, verraten die Versuche von Guigas nicht. Außerdem wäre es in Zukunft wichtig, Kombinationen verschiedener probiotischer und verschiedener pathogener Mikroorganismen zu testen, um der Vielfalt der im menschlichen Verdauungstrakt lebenden Bakterien Rechnung zu tragen. Die Mikroflora im menschlichen Darm ist in ihrer funktionellen Komplexität noch weitestgehend unverstanden.

Noch viel Forschung nötig

Und auch andere probiotische Wirkungsmechanismen von Milchsäurebakterien sind offenbar von mehr Faktoren abhängig, als bisher angenommen. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie zeigten Watzl und seine Mitarbeiter zum Beispiel, dass der als probiotisch geltende und in Joghurts verwendete Stamm Lactobacillus casei nicht die erwartete stimulierende Wirkung auf das menschliche Immunsystem hat. Verschiedene Studien hatten im Vorfeld die Hypothese in den Raum gestellt, dass die Bakterien vor allem wirksam sind bei Patienten mit einer niedrigen Aktivität der sogenannten natürlichen Killerzellen. Diese Zellen bilden normalerweise den ersten Abwehrwall gegen Viren oder Tumorzellen – Probiotika sollen diese Zellen angeblich in ihrer Aktivität stimulieren. Watzl und sein Team konnten jedoch keine solche Erhöhung der Aktivität von natürlichen Killerzellen bestätigen. „Der Einsatz von Probiotika zur Steigerung der Gesundheit ist zwar ein interessanter und vielversprechender Ansatz“, resümiert der Forscher. „Aber wir können heute noch überhaupt nicht sagen, welcher Bakterienstamm unter welchen Bedingungen und für welchen Menschen gesundheitsfördernd sein wird. Die Forschung steht noch ziemlich am Anfang.“

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