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Schutz vor Darmkrebs durch naturtrüben Apfelsaft?

Das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, ist stark von ernährungsbedingten Faktoren abhängig. Nahrungsinhaltsstoffe mit antioxidativen und entzündungshemmenden Eigenschaften verringern das Risiko. Die Ergebnisse Karlsruher Forscher am Max Rubner-Institut legen nahe, dass naturtrüber Apfelsaft präventive Eigenschaften gegen die Entstehung von Darmkrebs haben könnte. Die molekularen Zusammenhänge sind aber noch wenig verstanden.

Darmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebskrankheit und Krebstodesursache; jedes Jahr sterben über 27.000 Männer und Frauen an einer Krebserkrankung des Dickdarms oder Mastdarms (zusammengefasst als Kolorektalkarzinom). In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nahm die Erkrankungsrate in Deutschland und anderen westlichen Industrienationen stetig zu; erst in den letzten Jahren ist ein leichter Rückgang zu beobachten.

Apfelsaft gegen Krebs © MRI

Viele epidemiologische Studien zeigen einen Zusammenhang des Erkrankungsrisikos mit Faktoren des Lebensstils auf, besonders mit Ernährung und  körperlicher Aktivität: Übergewicht, Bewegungsmangel, metabolische Störungen wie bei Diabetes Typ 2, fettreiche, ballaststoffarme Nahrung, wenig Gemüse, viel rote (eisenhaltige) Fleisch- und Wurstwaren, dazu hoher Alkohol- und Tabakkonsum - sie alle erhöhen das Darmkrebsrisiko. Über die molekularen Wirkmechanismen dieser Faktoren gibt es zwar mehr oder weniger plausible Hypothesen, aber wenig gesicherte Erkenntnisse. Das Gleiche gilt für Faktoren, die eine Schutzwirkung vor der Entstehung von Darmkrebs haben.

Prävention von Darmkrebs durch Apfelinhaltsstoffe?

Für eine Reihe von polyphenolischen Naturstoffen, die in vielen Pflanzen vorkommen, hat man antioxidative und entzündungshemmende Wirkungen - teilweise auch tumorpräventive oder das Krebswachstum hemmende Wirkungen - beschrieben. Solche Polyphenole (zum Beispiel das Hypericin des Johanniskrauts, Quercetin der Eiche oder Gossypol der Baumwolle) spielen in der traditionellen Pflanzenheilkunde eine bedeutende Rolle und manchen, wie den im grünen Tee enthaltenen Polyphenolen wie EGCG (Epigallocatechingallat) wird seit langem eine vorbeugende Wirkung gegen eine Erkrankung an Kolorektalkarzinom nachgesagt.

Strukturformel von Phloretin, einem Polyphenol aus Äpfeln © MRI

Wissenschaftler am Max Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, untersuchen die Bioaktivität derartiger Substanzen in Zellkultur, im Tierexperiment und auch im Ernährungsverhalten des Menschen. Zur Enttäuschung von Anhängern der biologisch-organischen Landwirtschaft zeigte eine Langzeitstudie, die vom MRI zusammen mit der Universität Gießen und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick (Schweiz) durchgeführt wurde, dass es bezüglich der antioxidativen Kapazität und der Bioverfügbarkeit der in Äpfeln enthaltenen Polyphenole Phloretin (siehe Formel) und Coumarsäure für Menschen keinen Unterschied machte, ob die Äpfel aus konventionellem oder organischem Anbau stammten (Eur. J. Nutr. 49, 301-310; 2010).

Dr. Stephan Barth und PD Dr. Achim Bub vom Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung am MRI in Karlsruhe haben die Bioaktivität der Apfelinhaltsstoffe zur Prävention von Darmkrebs im Tiermodell und in Interventionsstudien (das heißt Studien, die den Zustand vor und nach der Gabe des Mittels) an adipösen und Typ-2-diabetischen Männern untersucht. Dabei analysierten die Forscher verschiedene für die Krebsentstehung relevante Biomarker nach Verabreichung von naturtrübem und klarem Apfelsaft, die sich nicht nur in ihrem Gehalt an Schwebstoffen (sogenannten Trubstoffen), sondern auch an Polyphenolen stark unterscheiden. Auch wurden einzelne Apfelsaftfraktionen auf ihre Wirkung hin untersucht. Als Tiermodell diente standardmäßig das in der Ratte durch 1,2-Dimethylhydrazin selektiv induzierte Kolonkarzinom.

Naturtrüb ist besser

An den Tieren zeigte sich, dass bei Intervention mit trübem Apfelsaft - aber nicht mit klarem Apfelsaft - genotoxische Schäden am Dickdarmepithel, Hyperproliferationen des Epithels und Größe und Häufigkeit von Krebsvorstufen im Dickdarm deutlich verringert waren. Allerdings ließen sich diese Effekte nicht nachweisen, wenn einzelne Komponenten des trüben Apfelsaftes - Trubstoffe und Polyphenole – getrennt untersucht wurden. Sind also noch andere Faktoren verantwortlich? Oder handelt es sich um Synergie-Effekte?

Es ist bekannt, dass Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas), die häufig auch mit Zuckerkrankheit vom Typ-2-Diabetes einhergehen, das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, erhöhen. In einem entsprechenden Tiermodell, der „adipösen Zucker-Ratte“, untersuchten die Karlsruher Forscher den Einfluss der Adipositas-assoziierten metabolischen Risikofaktoren auf die Kolonkarzinogenese. Es zeigte sich, dass die Energieaufnahme einen wesentlichen Einfluss auf die Krebsentstehung hatte. Eine krebspräventive Wirkung durch Apfelsaft konnte nur bei dünnen Tieren, nicht jedoch bei dicken Tieren beobachtet werden.

Apfelschälen am „Reichsinstitut für Lebensmittelfrischhaltung“, einem Vorläufer des MRI © MRI

Die Wirkung von naturtrübem Apfelsaft im Vergleich zu klarem Apfelsaft gleicher Kalorienmenge als Kontrollgetränk auf das Adipositas‑assoziierte Dickdarmkrebsrisiko beim Menschen wurde bei übergewichtigen Männern und Typ-2-Diabetikern in zwei Interventionsstudien untersucht. Gemessen wurden auch diverse Parameter des Fett‑ und Glukose-Stoffwechsels und die Konzentration an Fettgewebshormonen (Adipokine) im Blutplasma. Auch hier war der trübe Apfelsaft dem klaren Apfelsaft klar überlegen. Das Ausmaß von genotoxischen Schäden in Blutlymphozyten war nach Verzehr von trübem Apfelsaft im Vergleich zum Kontrollgetränk sowohl bei Adipösen wie bei Diabetikern reduziert, was auf krebspräventive Eigenschaften für den Menschen schließen lässt. Darüber hinaus war die Blutzuckerverwertung bei Diabetikern durch naturtrüben Apfelsaft nachweislich verbessert.

Food Metabolomics

Die von Barth und Bub durchgeführten Studien an Ratten hatten allerdings auch deutlich gemacht, dass metabolische Faktoren – insbesondere solche im Zusammenhang mit der Energieaufnahme und der Aufrechterhaltung des Energiegleichgewichtes - für die Entstehung von Darmkrebs wichtiger sind als die Inhaltsstoffe des trüben Apfelsaftes. Zur Klärung sind genauere Analysen des Stoffwechsels bis auf die molekulare Ebene hinunter erforderlich. Auf einer internationalen Konferenz am MRI in Karlsruhe im Oktober 2011 über „Food Metabolomics“ wurden neue methodische Ansätze für eine hochauflösende Analytik von Lebensmitteln diskutiert.

Bei dem neuen Forschungsgebiet der „Food Metabolomics“ geht es um die Charakterisierung und Erfassung der Gesamtheit aller kleinen Moleküle, des sogenannten Metaboloms, die in einem Lebensmittel enthalten sind. Das können Produkte des primären oder sekundären Stoffwechsels sein, aber auch Substanzen, die durch die Verarbeitung der Lebensmittel entstehen, einschließlich Rückständen und Verunreinigungen. Insgesamt geht es dabei um die Analyse von mehreren tausend Verbindungen, die unter anderem eine Charakterisierung der Lebensmittel in Bezug auf ihre Herkunft und auf ihre Anbau- und Lagerbedingungen ermöglichen. Auch der Reifegrad oder Pilzbefall bewirken Unterschiede im Metabolom, die gemessen werden können. Die modernen analytischen Methoden umfassen zum Beispiel Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) und Kernspinresonanz (NMR, nuclear magnetic resonance) einschließlich aufwändiger Datenprozessierung und Einsatz umfangreicher Datenbanken.

Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max Rubner-Instituts © MRI

Die Firma Bruker Biospin GmbH, eine Tochter der Bruker Corporation mit Sitz in Rheinstetten bei Karlsruhe, stellte auf der Konferenz erstmals eine kommerziell eingesetzte Methode zur Charakterisierung und Qualitätssicherung von Fruchtsäften mithilfe der NMR vor.

Der Präsident des MRI, Professor Gerhard Rechkemmer, hob die Bedeutung der Food Metabolomics als zukunftsweisende Technologie der Lebensmittel- und Ernährungsforschung hervor und betonte, dass das MRI mit den modernen Methoden die vielfältigen Fragen im Zusammenhang mit gesunden, hochwertigen Lebensmitteln und im Sinne eines umfassenden Verbraucherschutzes erforschen werde.

Das Max Rubner-Institut

Das Max Rubner-Institut - Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel – entstand am 1. Januar 2008 aus der Zusammenfassung der Bundesforschungsanstalten für Ernährung in Karlsruhe, für Milchforschung in Kiel, für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold und Münster, für Fleischforschung in Kulmbach sowie Teilen der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg. Damit sind alle mit Ernährung und Lebensmitteln befassten Forschungsinstitute im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter einem Dach vereinigt; sie verteilen sich auf derzeit noch sechs, zukünftig vier Standorte. Am Hauptsitz in Karlsruhe sind die Institute für Physiologie und Biochemie der Ernährung, für Ernährungsverhalten, für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik und für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse angesiedelt.

Prof. Dr. Max Rubner (1854-1932), ein Wissenschaftler für das Volk. © MRI

Namensgeber des MRI ist der Mediziner, Physiologe und Hygieniker Max Rubner (1854 -1932), der vor allem mit seinen Forschungen über die Bioenergetik des Stoffwechsels, mit denen er unter anderem die Gültigkeit des Energieerhaltungssatzes in lebenden Organismen bewies, berühmt wurde. Seine experimentellen Arbeiten schufen die Basis für die bis heute gültigen Kalorientabellen.

Für alle Institute des MRI bildet der gesundheitliche Verbraucherschutz im Ernährungsbereich den Forschungsschwerpunkt. Wichtige Teilbereiche sind die Bestimmung und ernährungsphysiologische Bewertung gesundheitlich relevanter Inhaltsstoffe in Lebensmitteln, die Untersuchung schonender, Ressourcen erhaltender Bearbeitungs- und Verarbeitungsverfahren, die Qualitätssicherung von Lebensmitteln sowie die Untersuchung soziologischer Parameter der Ernährung und die Verbesserung der Ernährungsinformationen. Die Wissenschaftler des MRI sind in vielfältiger Weise in nationale und internationale Forschungsprogramme eingebunden und in nationalen und internationalen Gremien und Fachbehörden vertreten.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/schutz-vor-darmkrebs-durch-naturtrueben-apfelsaft