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Science to Business - Exit-Strategien für Biotech-Unternehmen

In der Biotechnologie gibt es viele gute Ideen und Ansätze, um Innovationen auf den Markt zu bringen. Dennoch hat die Biotechnologie die Erwartungen, die Ende der 90er Jahre den Aufbruch in ein neues Zeitalter begleitet haben, nicht erfüllt. Die durch das US-Vorbild geprägte Finanzierungsstrategie, Ideen mit Venture Capital reifen zu lassen, um dann durch einen Börsengang das eingesetzte Kapital gewinnbringend zurück zu bekommen, funktioniert spätestens seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes nur noch in Ausnahmefällen. Eine andere Exit-Strategie ist die Vergabe von Lizenzen oder der Verkauf von Unternehmen an strategische Investoren, die meist aus der Pharmaindustrie oder reifen Biotechnologie-Unternehmen kommen. Im Gespräch mit Dr. Barbara Jonischkeit von der BIOPRO Baden-Württemberg erläutern die beiden Geschäftsführer der Unternehmensberatung LSCN Ltd., Dr. Alrik Koppenhöfer und Dr. Volker Ungermann, worauf es bei Verhandlungen zu M&A- oder Lizenzdeals ankommt und wie sie Biotechnologie-Unternehmen oder strategische Investoren auf diesem Weg begleiten. Beide plädieren dabei für eine gehörige Portion Realismus.

Wie sehen Sie den aktuellen M&A-Markt im Bereich Biotechnologie in Deutschland?

Dr. Alrik Koppenhöfer: "Ob Knowhow, ob Technologie, ob Produkte: Alles, was einen Mehrwert innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette liefert, ist interessant für Pharma-Unternehmen, um einen Deal abzuschließen." © LSCN

Koppenhöfer: Merger & Akquisition, sprich Firmenübernahmen, sind nach wie vor eher die Ausnahme. Wir haben im letzten Jahr große Deals gesehen – beispielsweise CorImmun oder AiCuris, aber das waren Lizenzdeals.

Ungermann: M&A bietet sich oft an, wenn das Biotech-Unternehmen nicht nur ein Projekt, sondern eine Technologieplattform hat. Und zwar eine Technologie, die zu Core Technologien eines strategischen Investors passt und die dieser gerne exklusiv nutzen will - ich argumentiere hier von meinem langjährigen Hintergrund in der Pharmaindustrie. Ein schönes Beispiel ist MorphoSys, die Sloning BioTechnology erworben hat.

Koppenhöfer: Neben der Passgenauigkeit der Technologieplattform zum eigenen Unternehmen ist ein weiteres wichtiges Kriterium für einen M&A, dass die Technologie oder das Produkt schon eine gewisse Marktreife hat. Der Investor will nicht nur einen Technologie-Zugang haben, sondern braucht einen erweiterten Markt-Zugang. In diesem Fall sind es eher Vertriebsgesellschaften, die übernommen werden. Ein dritter Grund für M&A ist die „Economy of Scale“. Zwei kleinere Unternehmen gehen zusammen, um Synergien heben zu können und effizienter tätig zu werden.

Wer ist der Treiber von M&A- bzw. Lizenzdeals? Biotech-Unternehmen oder Pharma-Unternehmen?

Koppenhöfer: Aus unserer Sicht sind das Biotech-Unternehmen beziehungsweise deren Investoren. Unternehmen, die mit drei bis vier Personen losgelegt haben, fragen uns: Wie können wir den Markt adressieren? Wie bauen wir das Vertriebsmodell auf? Wie internationalisieren wir uns? Das hat über kurz oder lang immer auch Investoren sehr interessiert.

Ungermann: Wir als LSCN werden sicher eher von der Biotech-Seite angefragt.  Als Pharmaunternehmen kann ich ja abwarten und auswählen.

Ist hier eine Veränderung zu beobachten? Pharmaunternehmen setzen heute nicht mehr komplett auf eigene Forschung. Und damit müssen sie viel offener und auch strategischer den Markt beobachten.

Dr. Volker Ungermann: "Wir machen Firmen fit für die Diskussionen mit einem strategischen Investor." © LSCN

Ungermann: Da ist ganz sicher ein Shift zu beobachten. Heute sind bis zu 60 Prozent der neuen Produkte in Pharmafirmen Linzenznahmen von Dritten. Relativ neu ist, dass Pharmafirmen heute auch eine Domäne, die sie bisher als ihre eigene betrachtet haben, nämlich frühe Forschung & Entwicklung, nach außen geben. Da gibt es große Chancen für Unternehmen, die sich im Service-Bereich positioniert haben - diese Outsourcing-Welle ist sehr stark. Sie ist unter anderem deshalb sehr stark, weil Pharmaunternehmen unter dem zunehmenden Kosten- und Effizienzdruck mit den Outsourcing-Aktivitäten auch in kostengünstige Länder gehen. Indien oder China sind im Trend. Aber wenn es um anspruchsvolle Fragestellungen oder innovative Lösungen geht, dann haben Serviceunternehmen aus Europa und USA gute Chancen einen wesentlichen Teil vom Outsourcing-Budget zu akquirieren. Bei anspruchsvollen Fragestellungen ist den Pharmaunternehmen die Interaktion mit Dienstleitern sehr wichtig.

Als LSCN unterstützen wir hier beide Parteien: pharmazeutische Unternehmen und kleine, innovative Service-Provider, die zwar nicht mit den Angeboten eines „Emerging-Market-Unternehmens“ konkurrieren können, die aber neben ihrer Dienstleistung einen Mehrwert an Expertisen bieten. Sie bieten innovative Problemlösungen und kommunizieren interaktiv auf Augenhöhe mit ihren Kollegen aus den Pharmaunternehmen. Sie wissen, wie man effizient Reports kommuniziert und - nicht zuletzt - wann sie wen anrufen und Auffälligkeiten mitteilen müssen. Das damit einhergehende Zeitersparnis ist Pharmaunternehmen bares Geld wert.

Die Herausforderung für die Pharmafirmen ist aus meiner Sicht, dass sie sehr gute Leute brauchen, um ein solches „Orchester der Aktivitäten“ zu dirigieren und stimmig zusammenzuführen. Es muss für einen Wissenschaftler attraktiv sein, nicht selbst aktiv Forschung zu betreiben, sondern andere Wissenschaftler von externen Unternehmen als Projektkoordinator zielgerichtet anzuleiten. Dieser muss ein Alliance-Manager sein und er muss zugleich einen perfekten Überblick über die Expertisen externer Anbieter besitzen, damit die F&E-Projekte effizient vorankommen.

Beflügelt das aus ihrer Sicht den Biotech-Markt, dass sich die Pharmakultur in diesem Bereich gerade ändert?

Koppenhöfer: Ich denke, die Antwort ist ganz klar ja. Große Pharmaunternehmen haben Business-Development-Experten und Alliance-Management-Teams; es gibt also ganze Abteilungen, die es so vor 15 Jahren gar nicht gegeben hat. Die großen Unternehmen, wie Boehringer Ingelheim, haben heute professionelle Webseiten, um sich als Partner der Wahl für bestimmte Indikationen oder Technologien darzustellen. Pharma hat schon vor 20 Jahren erkannt, dass sie ihre eigene Inhouse-Pipeline durch externe Projekte ergänzen müssen. Ob Knowhow, ob Technologie, ob Produkte: Alles, was einen Mehrwert innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette liefert, ist interessant.

Ungermann: Die Pharmafirmen werden damit auch abhängiger von externen Projekten. Aber es gibt viele Projekte und es ist wichtig zu realisieren, dass aus Sicht der Pharmaunternehmen nur ein ganz geringer Prozentsatz einen attraktiven Mehrwert bietet. Es gibt wenige Projekte, um die sich die Unternehmen geradezu schlagen. Das ist ja das Problem. Und dann müssen diese Unternehmen, die vielleicht einmal in ihrem Leben einen solchen Deal machen, sich mit diesen perfekt trainierten, professionellen Leuten auseinandersetzen. Roche hat beispielsweise eine eigene Abteilung mit Experten, die ausschließlich verhandeln. Hier können wir - LSCN - kleinere Unternehmen unterstützen, um diesem Kompetenzaufgebot eine Gleichwertigkeit entgegenzusetzen.

Ungermann (li) und Koppenhöfer (re) sind Geschäftsführer des Life Sciences Consulting Networks (LSCN), Partner für Corporate Development. © LSCN

Eignen sich auch frühe Projekte für einen M&A- oder Lizenzdeal?

Ungermann: Es ist inzwischen so, dass Pharmaunternehmen, aufgrund des intensiven Wettbewerbs um vielversprechende Innovationen, auch in frühe Projekte gehen. Früher wurden in der Regel klinische Daten abgewartet. Heute gehen Pharmafirmen eher ein Risiko ein. Es gibt die Tendenz, Mischformen zwischen M&A- und Lizenzdeals abzuschließen. Wenn ich mich auf den Standpunkt eines großen Unternehmens stelle und einen guten Deal mit einem attraktiven, frühen Projekt machen möchte, dann würde ich immer einen Risikoshare zwischen dem jetzigen Eigentümer, der Biotech, und mir als Pharmaunternehmen anstreben.

Wie können Sie einem Biotech-Unternehmen helfen?

Ungermann: Wir machen Firmen fit für die Diskussionen mit einem strategischen Investor. Dabei nehmen wir die Perspektive eines strategischen Investors ein und achten darauf, dass die Firmen dessen Beurteilungs- und Bewertungsschema gerecht werden und ihre "Hard-Facts" und "Soft-Facts" richtig platzieren. Wir sind ein Beratungsunternehmen mit 17 Partnern, die geforderte Kompetenzen bei Life-Sciences-Projekten umfassend abdecken. Unsere Partner sind alle Senior Experten mit mindestens 15 Jahren Managementerfahrung in der Biotech- oder der Pharmaindustrie. Wir haben zum Beispiel umfassende Deals abgeschlossen, wie auch Due-Dilligence-Prozesse durchgeführt und können daher - denke ich - ganz gut beurteilen, was die wesentlichen Treiber bei Lizenzprojekten sind und worauf strategische Partner und Investoren besonders Wert legen. Wir helfen Biotech-Firmen auch, strategische Investoren zu finden. Wir analysieren die Firma, stellen fest, welche Assets wir sehen und helfen dabei, ein „Offering-Memorandum“ aufzusetzen. Wir suchen und finden weltweit mögliche Partner für unsere Kunden und begleiten diese Firmen dann auch operativ durch den gesamten Prozess, sei es ein Lizenzdeal oder ein M&A-Mandat.

Koppenhöfer: Unter Assets verstehen wir Technologie- oder Produkt-Knowhow, Herstellungs-Knowhow und IP. Bei Produkten brauchen sie unbedingt IP, bei Technologieplattformen kann auch das Knowhow als solches schon einen erheblichen Wert darstellen. Wir machen quasi eine Prä-Due-Dilligence, bewerten das Unternehmen aus der Sicht eines potenziellen Käufers und legen eine Preisspanne fest. Anschließend gehen wir mit diesem Profil in dem Markt rein und recherchieren, welche potenziellen Käufer hier in Frage kommen, und zwar weltweit.

Lehnen Sie auch Projekte ab?

Koppenhöfer: Wir lehnen auch Projekte ab.

Ungermann: Es gibt manche Unternehmen, die nicht reif sind für das, was sie machen wollen. Dann würde ein Mandat scheitern. Ist das der Fall, sagen wir dem Kunden: "Für euch ist dieser Weg jetzt nicht opportun." Denn es gehört ebenfalls zu den wichtigen Dingen, eine realistische Beurteilung eines Projektes zu geben. Das ist manchmal ein Problem, wenn Biotechs oder ihre Investoren sehr unrealistische und nicht marktkonforme Vorstellungen haben. Man kann lange träumen, aber wenn man jemanden finden will, der wirklich bezahlen muss, wird dieser vorab Fragen stellen.

Wie stellt sich das finanziell für das zu beratende Unternehmen dar? Ist das Honorar auf Tagessatzbasis oder - ähnlich wie im Investmentbanking - abhängig von der Dealsumme?

Koppenhöfer: Das ist eine wichtige Frage, gerade auch vor dem Hintergrund, dass sie fragten, ob wir auch Projekte ablehnen. Wir starten in der Analyse-Phase mit einem Tagessatz, der unsere Aufwendungen ganz klar kompensiert. Wenn wir ein projektbezogenes Team von vielleicht zwei bis vier Leuten zusammenbringen und das Unternehmen analysieren, bekommt das Unternehmen eine Ersteinschätzung, die schon einen eigenen Wert hat. Wenn sie uns dann auch für den Transaktionsprozess beauftragen, erhalten wir einen Tagessatz plus zusätzlich eine Erfolgsprämie, die sich am erzielten Transaktionswert orientiert.

Ungermann: Wir begleiten Unternehmen auch bei ihrer Internationalisierung. Da spielen Vertragsmodelle, die den Wert von bestehenden Assets maximieren, eine große Rolle. Typisches Beispiel ist USA versus Europa. In der Medizintechnik beispielsweise scheint die Zulassung von Medizintechnikprodukten in Europa leichter erreichbar zu sein. Viele US-Unternehmen aus der Medizintechnik kommen daher zunächst hierher. Und wir begleiten europäische, mittelständische Pharma- und Biotech-Unternehmen nach Amerika und in Schwellenländer, vor allem Lateinamerika. Außerdem verfügen wir über Expertise im japanischen Markt, mit einem Partner vor Ort.

Stichwort Medizintechnik: Können Sie dieses Marktszenario auch zwischen Biotech und Medizintechnik aufzeigen?

Ungermann: Deutschland ist sehr stark in der Medizintechnik. Ich unterteile die Medizintechnik-Branche in drei Teile: Klasse 1 umfasst etwa sterile Disposables, das heißt die einfachen Handschuhe, Cups und so weiter. Zur Klasse 2 zählen wir Implantate, Computertomographen, Operationscomputer und ähnliches. Medizinprodukte der Klasse 3 umfassen Produkte, die direkt im Patienten appliziert und beispielsweise resorbiert werden. Diese benötigen umfassende klinische Studien, orientiert an den Vorgaben für Arzneimittel. Ein bekanntes Beispiel: Hyaluronsäure - also eine Art von „Gelenkschmiere“, die am betroffenen Gelenk appliziert wird. Ein anderes Beispiel das Tissue Engineering. Oder Devices, also Produkte, die Medikamente abgeben. Das sind Projekte, für deren Zulassung eine klinische Entwicklung gefordert wird, bei denen die Entwicklung „Pharma-like“ verläuft.

Diese Klasse 3-Unternehmen sind für LSCN interessant, weil wir insbesondere durch unsere Erfahrung bei der Entwicklung von Pharma- und Biotech-Produkten einen Mehrwert durch den Transfer unserer Expertisen für den Medtech-Kunden anbieten können. In der aktuellen Zulassungsentwicklung in den entwickelten Märkten gibt es immer mehr Vorgaben, die in Richtung dieser arzneimitteltypischen Entwicklungen gehen. Mit der Folge, dass Entwicklungszeiträume länger und notwendige Investitionen höher werden. Ich glaube, dass die Medizintechnik-Unternehmen sich - so wie die Pharma und Biotech - einer Kooperation öffnen werden, um die Kosten und Risiken zu schultern.

Und wie ist Ihre Einschätzung für die industrielle Biotechnologie?

Koppenhöfer: Ich habe Erfahrungen gesammelt durch ein Unternehmen hier in Stuttgart, das in silico Stammoptimierung für Fermentationsprozesse anbietet. Es war interessant zu erfahren, wer überhaupt Interesse daran hatte, Produktionsstämme im Fermentationsbereich zu optimieren. Und es war erschreckend zu sehen, wie schwer sich die Chemie-Industrie - die in unserem Land ja sehr präsent ist - damit getan hat, innovative Ansätze von außen aufzunehmen.

Meine Erfahrungen gehen auf die Jahre 2000 bis 2010 zurück. Inzwischen sehen wir einige Biotechs, die sich stark entwickelt haben und auch gut finanziert sind, wie etwa die BRAIN. Aber: Wir haben im hiesigen industriellen Biotechnologiesektor noch keinen Exit gesehen, keinen transeuropäischen oder transatlantischen Verkauf eines Unternehmens beziehungsweise einer Technologieplattform. Wobei es sich schon lange angeboten hätte, etwas in Richtung USA, zum Beispiel, an DuPont oder in Deutschland an BASF oder Henkel zu verkaufen. All diese Unternehmen haben sich als konservativ dargestellt. Ich sehe und glaube an die Zukunft der industriellen Biotechnologie. Aber solange wir nicht Märkte aufschließen, gegebenenfalls auch durch Fördermittel, wird sich die Entwicklung kaum beschleunigen. Derzeit sehen wir in der industriellen Biotechnologie keine M&A-Aktivitäten.

Über LSCN Ltd.
LSCN Ltd. ist eine führende Beratungsgesellschaft für Geschäftsentwicklung und Interim-Management in den Life-Sciences. Die Gesellschaft zählt heute 17 Partner und Unternehmen, die in 6 Ländern vertreten sind. Das interdisziplinäre Expertenteam bietet fachübergreifende, ganzheitliche Beratung für etablierte Unternehmen, Startups und Investoren im Bereich Pharma, Biotech und Medtech. Im Fokus steht Corporate Development: Strategie und Implementierung sowie Science to Business. Darüber hinaus bietet LSCN Spezialisten z.B. für Pricing & Reimbursement, Regulatory Affairs, Market Research, Valuation, Recht, Kommunikation und Rekrutierung.
 
Kunden profitieren von der umfassenden Management- und Industrieerfahrung der LSCN Partner und deren internationalen, fachspezifischen Netzwerken zu Entscheidungsträgern, Meinungsbildnern und Investoren.
 
Dr. Alrik Koppenhöfer und Dr. Volker Ungermann sind die Geschäftsführer der Gesellschaft, die in 2004 als Life Science Consulting Network in Heidelberg gegründet wurde.

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