Seltener Nierentumor als Wegbereiter für neuartige Krebstherapie
Das Nierenzellkarzinom gehört zu den seltenen Erkrankungen – und zu den schlecht behandelbaren noch dazu. Doch die Entwicklung neuer Medikamente hierfür ist den meisten Pharmafirmen zu riskant. Ihr Argument: Der Markt ist zu klein, um die hohen Entwicklungskosten aufzufangen. Das Tübinger Biotech-Unternehmen immatics bewies Mut und wird dafür jetzt belohnt. Die Wissenschaftler von immatics entwickelten nämlich ein Therapieverfahren, das nicht nur beim Nierenzellkarzinom, sondern auch bei anderen Krebsarten große Erfolge verspricht.
Mehr als 15.000 Menschen erkranken jedes Jahr allein in Deutschland an einem Nierenzellkarzinom. Eigentlich eine beeindruckende Zahl – doch in der täglichen Praxis gehört der Tumor, der von den Epithelzellen des Nierengewebes ausgeht, damit zu den seltenen Erkrankungen. Aus diesem Grund wurde das Nierenzellkarzinom von der pharmazeutischen Industrie bisher ziemlich stiefmütterlich behandelt. Denn der Markt für ein Medikament zur Behandlung dieser Erkrankung ist vergleichsweise klein, und die meisten Firmen befürchten deshalb, dass sie auf ihren Entwicklungskosten sitzen bleiben.
Dr. Jürgen Frisch ist Chief Medical Officer (CMO) von immatics. (Foto: immatics)
Dabei werden neue Therapien für das Nierenzellkarzinom dringend benötigt. Bislang bestehen nur in der Frühphase der Erkrankung, wenn der Tumor die Organgrenzen noch nicht überschritten hat, gute Heilungschancen. Bei der Hälfte der Patienten ist der Tumor aber schon so weit fortgeschritten, dass die operative Entfernung der erkrankten Niere allein nicht mehr ausreicht. Die klassische Chemotherapie ist beim Nierenzellkarzinom aber genauso wirkungslos wie eine strahlentherapeutische Behandlung. Neue in der jüngeren Vergangenheit zugelassene Chemotherapeutika haben die Behandlungsmöglichkeit zwar deutlich verbessert, aber zu heilen ist der Tumor nach wie vor nicht. Ein neuartiger Krebsimpfstoff des Tübinger Biotech-Unternehmens immatics biotechnologies GmbH könnte jetzt endlich den erhofften Durchbruch bringen.
Krebsimpfstoff liefert innovativen Therapieansatz
„Es ist seit langem bekannt, dass das Nierenzellkarzinom sehr empfindlich auf Medikamente reagiert, die das körpereigene Immunsystem stimulieren“, berichtet Dr.med. Jürgen Frisch, Medizinischer Leiter und Mitglied der Geschäftsführung bei immatics. So gelingt es beispielsweise bei einem kleinen Teil der Patienten mit Hilfe von Interleukin-2 (IL-2) oder auch Interfereon (IFN), den Krebs über einen gewissen Zeitraum unter Kontrolle zu halten. Die Nebenwirkungen dieser Therapie sind aber beträchtlich und können die Lebensqualität der Patienten erheblich einschränken. „Die Behandlung mit IL-2 löst nur eine unspezifische Immunantwort aus, was die Erfolgsaussichten schmälert“, weiß der Mediziner Frisch, „wir hingegen haben jetzt einen Ansatz entwickelt, mit dem sich die Krebszellen gezielt attackieren lassen und der zudem noch sehr gut verträglich ist.“
Die Wissenschaftler von immatics nutzen dabei den Umstand, dass Nierenkrebszellen auf ihrer Oberfläche charakteristische Eiweißstrukturen (tumorassoziierte Peptide, TUMAPs) tragen, die im gesunden Gewebe nicht vorkommen. Diese TUMAPs wirken - ähnlich wie Bakterien und Viren - als Antigene, die vom Immunsystem erkannt und eliminiert werden. Um den Kampf der körpereigenen Immunabwehr gegen das Nierenzellkarzinom zu unterstützen, entwickelte immatics jetzt einen Impfstoff mit dem Namen IMA901, der zehn solcher TUMAPs enthält. „Dadurch wird eine hochspezifische Immunantwort ausgelöst, von der wir erwarten, dass sie selektiv die Tumorzellen zerstören kann“, erläutert Frisch das neuartige Konzept.
Weltweit einzigartiges Analyseverfahren
Mit Hilfe eines patentierten Analyse- und Produktionsverfahrens gelingt es immatics, diese TUMAPs nämlich nicht nur zu identifizieren, sondern auch synthetisch herzustellen. „Unser Ansatz ist weltweit einzigartig“, weiß Frisch – und zudem unterscheidet er sich deutlich von denen der Konkurrenz. Einige Unternehmen setzen nämlich auf Impfstoffe, die direkt aus dem individuellen Tumormaterial für jeden Patienten einzeln gewonnen werden. Der Mediziner Frisch hält dieses Vorgehen aber nicht nur für weniger effektiv, sondern auch für fehleranfällig und teuer: „Sie müssen nämlich von jedem einzelnen Patienten zuerst das Tumormaterial gewinnen, um daraus anschließend die Vakzine herzustellen. Das ist sehr aufwändig und stellt hohe Anforderungen an die Qualitätskontrolle, weil der Produktionsprozess jedesmal eine Einzelaktion darstellt.“ Auch könne mit diesem Ansatz nicht immer eindeutig sichergestellt werden, welche Antigene sich in den einzelnen Impfstoffen befinden.
Krebsimpfstoffe von immatics befinden sich bereits in der klinischen Entwicklungsphase. (Foto: immatics)
Der von immatics nach einem standardisierten Verfahren hergestellte Impfstoff IMA901 eignet sich hingegen für fast alle Patienten mit einem Nierenzellkarzinom. „Wir konnten zeigen, dass nahezu 90 Prozent der Patienten eines oder mehrere dieser TUMAPs auf ihrem Tumor tragen“, so Frisch. Und je mehr, desto besser - die Tumorzellen versuchen nämlich, durch das Herunterregulieren bestimmter Oberflächen-Antigene die Attacke des Immunsystems abzuwehren. „Weil wir aber mehrere TUMAPs gleichzeitig einsetzen, haben wir eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Escape-Phänomene umgehen können“, berichtet Frisch.
Aktive Immuntherapie bei Krebs ist absolutes Neuland
Jetzt gilt es noch, die Wirksamkeit des Krebsimpfstoffs – die in der Theorie so einleuchtend klingt - in der Praxis zu bestätigen. In einer klinischen Phase-1-Studie konnte bereits gezeigt werden, dass die von IMA901 ausgelöste Immunantwort mit einer Stabilisierung der Erkrankung korreliert. „Zudem war das Medikament extrem gut verträglich“, berichtet Frisch.
Seit September 2007 läuft nun eine europaweite klinische Phase-2-Studie, deren Ergebnisse Ende nächsten Jahres erwartet werden. immatics will zudem prüfen, ob die Kombination des Impfstoffes mit anderen Substanzen - beispielsweise einer Standard-Chemotherapie - die Wirksamkeit erhöht. „Man muss für alle Aspekte offen sein“, so Frisch, „schließlich betreten wir mit der aktiven Immuntherapie bei der Behandlung von Krebs echtes Neuland.“
Verfahren eignet sich grundsätzlich auch für andere Krebsarten
Falls alle Studien erfolgreich verlaufen, rechnet immatics bis in etwa fünf Jahren mit der Markteinführung von IMA901. Dass sich die hohen Entwicklungskosten für das Tübinger Biotech-Unternehmen dann auch bezahlt machen, soll der Orphan-Drug-Status garantieren, den IMA901 von der europäischen Arzneimittelagentur EMEA gewährt bekam. Damit wird nicht nur das Zulassungsverfahren erleichtert, sondern es verlängert sich auch die Patentlaufzeit des Medikaments. „Von Seiten der Politik möchte man die Firmen damit motivieren, in die Entwicklung von Therapien für seltene Krankheiten zu investieren“, so Frisch.
Doch immatics hat inzwischen einen weiteren Weg gefunden, wie sich die Forschungsausgaben refinanzieren lassen. „Wir gehen davon aus, dass sich unser Verfahren mit synthetisch hergestellten TUMAPs prinzipiell für die Behandlung zahlreicher Tumorerkrankungen eignet – also nicht nur für das Nierenzellkarzinom“, so Frisch. In Ansätzen wurde inzwischen ein gutes halbes Dutzend verschiedenster Tumoren im Labor analysiert und getestet. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend. Ein Impfstoff für Dickdarmkrebs durchläuft bereits die klinische Testphase, ein weiterer für das Glioblastom steht kurz davor. Grund genug für Frisch, optimistisch in die Zukunft zu blicken: „Die aktive Immuntherapie ist eine große Chance in der Behandlung von Krebs, und unser Ansatz ist absolut konkurrenzfähig, wenn nicht sogar besser als viele andere Ansätze, die auch auf dem Markt sind.“
sb – 27.08.08
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