Smarte Ulmer Messtechnologie kann nicht nur Atemgas analysieren
Technisch machbar, aber aufwendig und teuer ist die Suche nach Molekülen im Atemgas, die auf Krankheiten hinweisen. „µbreath“ könnte das ändern. Das Verfahren bringt wichtige Voraussetzungen für den kommerziellen Erfolg in der Gesundheitswirtschaft mit: es ist kompakt, genau, hochempfindlich und schnell. Sein Entwickler, der Ulmer Chemiker Prof. Dr. Boris Mizaikoff, will mit Partnern binnen Jahresfrist die Fertigung erster Prototypen für Klinik und Industrie angehen.
Das jüngst vom britischen Berufsverband der Chemiker wegen seiner Anwendungsnähe gepriesene Verfahren besteht aus Infrarot(IR)-Sensoren, die auf einem substratintegrierten hohlen Lichtwellenleiter basieren (1). Dieser ist extrem kompakt und leicht herstellbar und macht laut Mizaikoff den „Kern der Entwicklung“ aus. Die Atemgasanalytik ist nur eine von vielen Anwendungen. Denn der hohle Lichtwellenleiter lässt sich zusammen mit breitbandigen Spektrometern, schmalbandigen Laserlichtquellen und allen Arten von Infrarot-Sensorkonfigurationen „nahezu universell“ einsetzen.
µbreath misst Biomarker mit IR-Sensorik
Das am Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie (IABC) entwickelte Messgerät.
© Eberhardt/kiz
Fallen Infrarotstrahlen in diesen speziell beschichteten Hohlraum, werden sie an der Wand reflektiert und entlang dieses Hohlraums transportiert. Wird in den Hohlraum gleichzeitig Messgas eingebracht, regt die IR-Strahlung die Moleküle zu Schwingungen an. Jedes Molekül besitzt ein eigenes optisches Profil. Eine Detektionseinheit misst, wie viel IR-Licht die Moleküle zum Schwingen brachte. Da ähnliche Moleküle auch ähnliche Schwingungsmuster hervorbringen, rechnen statistische Datenauswertungsverfahren heraus, wie viel jedes Molekül zum gesamten Signal beigetragen hat.
Das Verfahren der Atemgasdiagnostik ist schon relativ alt, wird aber rasch komplex, will man die aus einer Vielzahl von Molekülen bestehende Gasmatrix analysieren. Das können Gaschromatografie und Massenspektrometrie – sie sind aber teuer und aufwendig, und daher für den medizinischen Alltag eine limitierte Option. Die Kunst besteht darin, aus den vielen Molekülen diejenigen wenigen quantitativ zu messen, die auf eine bestimmte Krankheit oder einen Therapiefortschritt hindeuten.
„µbreath“ kann die leichtflüchtigen Biomarker bestimmen. Rund 40 krankheitsassoziierte Biomarker sind derzeit bekannt. Damit lassen sich Erkrankungen der Atemwege, zystische Fibrose, aber auch Brustkrebs (2,3) oder Diabetes feststellen. Denn Abbauprodukte von Erkrankungen gelangen über die Blutbahn irgendwann an die Barriere zur Lunge und damit in die ausgeatmete Atemluft.
Da Abbauprodukte physiologischer und metabolischer Vorgänge auch die molekulare Zusammensetzung im Atemgas beeinflussen, müsste eine zweite diagnostische Methode den Befund der ersten erhärten. Deshalb sei es laut Mizaikoff noch schwierig, die veränderte Konzentration des Biomarkers auf eine bestimmte Krankheit zurückzuführen. Momentan wäre Mizaikoffs IR-Sensorik sozusagen ein „Add-on“, das aber schneller und idealerweise kostengünstiger zu werden verspricht.
Wichtiger Meilenstein am Mausmodell erreicht
Prof. Dr. Boris Mizaikoff leitet das Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie (IABC).
© privat
Inzwischen erfasst „µbreath“ eine Vielzahl relevanter volatiler Biomarker im Atemgas. In Zusammenarbeit mit dem Ulmer Kollegen Prof. Dr. Peter Radermacher (Institut für Anästhesiologische Pathophysiologie und Verfahrensentwicklung) erreichte „µbreath“ einen wichtigen Meilenstein: Am Tiermodell der Maus gelang es, über den IR-Sensor die Leberfunktion kontinuierlich und permanent mittels Verabreichung 13C-markierter Glucose durch Bestimmung des 13CO2-Gehaltes im ausgeatmeten Atemgas direkt zu analysieren (4,5). Gerade am Mausmodell bestand Bedarf, schnell und in geringsten Volumina präzise und quantitativ messen zu können. Die Tierversuche haben die präklinische Phase noch nicht erreicht. Sie sind aber so weit gediehen, dass die Technologie im Rahmen des Ulmer Trauma-SFB bei Maus-Messungen integriert ist, nachdem die Ethikkommission grünes Licht gegeben hat. Da die Messtechnologie nichtinvasiv ist, kann sie auf der Mäuse-Intensivstation immer im Hintergrund mitlaufen. Dieses kontinuierliche Monitoring im Hintergrund ermöglicht Mizaikoffs Team, alle möglichen ‚Kinderkrankheiten‘ dieser Messtechnik auszumerzen und diese weiterzuentwickeln.
Bis 2017 sollen Prototypen entwickelt werden
Ziel ist eine nichtinvasive kontinuierliche Messung von Atemgas am Menschen. Dazu müssten IR-Sensoren direkt, beispielsweise in die Beatmungsgeräte integriert werden, sodass weder Proben vom Patienten genommen, noch gesammelt werden müssten. Auf dem Markt gibt es alternative Messtechnologien wie die Protonentransferreaktions-Massenspektrometrie. Diese ist hochselektiv und hochsensitiv, aber auch aufwendig und kostspielig. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob existierende Messsysteme durch die Ulmer Technologie angepasst, erweitert, oder zum Teil ersetzt werden können, wenn die Atemgasanalytik auf Basis von Infrarot-Sensorik kommerziell nutzbar gemacht wird.
Den Weg in die Anwendung erleichtert das noch bis Ende 2017 laufende, von Mizaikoff koordinierte EU-Projekt Advanced Photonic Sensor Materials (APOSEMA). Dort kooperieren Unis mit Unternehmen, um aus zwei komplementären optischen Messverfahren (Mizaikoffs IR-Sensortechnologie und Fluoreszenz-Sensorik) Prototypen für die Atemgasanalytik zu entwickeln. Bis Ende nächsten Jahres hofft der Ulmer Chemiker einen vorklinischen, vorindustriellen Prototypen etablieren zu können, um anwendbare Messgeräte auf die Beine zu stellen.
Ist die Messtechnik ausgereift, wartet vor dem Markteintritt eine hohe Hürde: In klinischen Studien müssen Tausende von Patienten untersucht und mit deren Daten eine statistische Datenbank gefüttert werden. Kern des Problems ist die Varianz des Atemgases innerhalb des Patienten und dessen Variation von Patient zu Patient. So ist die ausgeatmete Luft über bestimmte Zeiträume nie dieselbe. Sie wird von Ernährung, Sport, Rauchen oder anderen Gewohnheiten beeinflusst. Das krankheitsspezifische Biomarker-Muster erfasst nur, wer möglichst viele Patienten untersucht – das ist der Knackpunkt der Atemgasdiagnostik: nicht die Entwicklung der Technologie, sondern deren Nutzbarmachung.
Momentan drei Anwendungsbereiche
Aus Zwei mach Eins: IR-Strahlen gelangen in den substratintegrierten hohlen Lichtwellenleiter (iHGW) durch die rechteckige Öffnung (oben rechts), die sich abschließen lässt. Damit lässt sich das Tool gleichzeitig als Lichtwellenleiter und miniaturisierte Gasküvette nutzen. Über die zylindrischen Anschlüsse (im Bild rechts unterhalb des Lichtwellenleiterkanals und links unten) kann das Messgas - in diesem Fall das Atemgas - in den iHWG zur Messung eingebracht und kontinuierlich hindurchgeleitet werden.
© Eberhardt/kiz
Zum jetzigen Zeitpunkt sieht Mizaikoff für „µbreath“ drei Einsatzmöglichkeiten: Der naheliegende Einsatz der Online-Messtechnik in Mäuse-Intensivstationen – das käme der klinischen, pharmazeutischen Grundlagenforschung zugute. Schließlich werden alle physiologischen Studien und neuen Therapien am Kleintiermodell erprobt – da ließen sich seine vorteilhaften Eigenschaften (kleines Volumen, hoher Probendurchsatz, kurze Messzeit) direkt nutzen.
Wird die Messtechnik für humanmedizinische Diagnostik hochskaliert, wird momentan eine Nischenanwendung angestrebt, will heißen: Die Atemgasanalytik beschränkt sich auf bestimmte Moleküle, die besonders gut erfasst werden und mit aufwendigen Messtechniken konkurrieren können. Schließlich hofft Boris Mizaikoff auf eine Kostensenkung der Lasertechnologie im mittleren Infrarotspektrum. Diese neue Lichtquellentechnologie findet erst langsam Eingang in unterschiedliche Analysatoren, sei deshalb noch sehr teuer: „Wir hoffen, dass die Atemgasdiagnostik eine der Gerätegruppen wird, die es erlaubt, Lasertechnologie im Spektralbereich des mittleren Infrarot kostengünstiger zu machen und damit diese präzisen Messungen auf breiter Basis zu ermöglichen.“
Auch die Pharmaindustrie interessiert sich für die Ulmer Entwicklung. Denn das Verfahren ließe sich für sogenannte Compliance-Tests nutzen. Würden Medikamente mit einem leicht diagnostizierbaren Label (z.B. 13C oder Deuterium) über die Abbauprodukte versehen, könnte ein Atemgastest mit IR-Sensor rasch zeigen, ob die Testpersonen im Rahmen von Studien das Medikament eingenommen haben.