Stammzellforschung zum Schutz vor Entwicklungsschäden durch Strahlung
Auch wenn bekannt ist, dass ionisierende Strahlung Zellschäden und genetische Veränderungen hervorrufen kann, sind ihre Auswirkungen auf die Embryonalentwicklung noch wenig erforscht. Darum untersucht Prof. Dr. Suzanne Kadereit von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen in einem Kooperationsprojekt eben diese Auswirkungen auf die pränatale Gehirnentwicklung mit Hilfe von humanen embryonalen Stammzellen. Sie leitet die einzige Arbeitsgruppe an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) in Deutschland, die eine Lizenz für die Verwendung dieser Zellen hat.
An der Hochschule für angewandte Wissenschaften Albstadt-Sigmaringen entwickelt Prof. Dr. Suzanne Kadereit Zellmodelle, die auf humanen embryonalen Stammzellen basieren.
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Im Alltag sind wir immer wieder ionisierender Strahlung ausgesetzt, sei es aus künstlichen oder auch aus natürlichen Quellen. Kosmische Strahlung durch hochenergetische Teilchen aus dem Weltraum spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Strahlung durch diagnostische bildgebende Verfahren wie CT und Röntgen. Dies ist nicht ganz unproblematisch, da ionisierende Strahlung Zellschäden erzeugen kann, die schlimmstenfalls zum Tod der betroffenen Zellen oder zu genetischen Veränderungen in den überlebenden Zellen führen. Vor allem dicht ionisierende Strahlung ist kritisch, da sie im Vergleich zu dünn ionisierender bei gleicher Dosis häufiger zu Schäden an biologischen Molekülen führt.
„Neben der direkten Wirkung durch Ionisation im biologischen Molekül übt die Strahlung auch eine indirekte Wirkung durch die Bildung freier Wasserradikale aus, die dann insbesondere die zelluläre DNA und Proteine schädigen, was wiederum zu oxidativem Stress und vielfältigen Veränderungen in der Zelle oder dem ganzen Organismus führen kann“, erklärt Prof. Dr. Suzanne Kadereit von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, die sich in ihrer aktuellen Forschung mit den Auswirkungen von ionisierender Strahlung auf die frühe menschliche Gehirnentwicklung beschäftigt.
Während die Folgen einer Strahlenexposition im Kindes- und Erwachsenenalter hinreichend bekannt sind, ist der Einfluss auf die pränatale Entwicklung des Menschen bisher kaum erforscht. Die verfügbaren Daten basieren hauptsächlich auf Tierversuchen und einigen epidemiologischen Studien, die zeigten, dass die befruchtete Eizelle vor der Einnistung die höchste Strahlenempfindlichkeit aufweist, wodurch Strahlung zum Tod des Embryos führen kann. „Neben der Letalität kann ionisierende Strahlung aber auch eine veränderte Zellproliferation, genetische Veränderungen oder Störungen von Signalkaskaden und der normalen Entwicklung zur Folge haben“, beschreibt Kadereit weiter.
Strahlung als Gefahr für die Embryonalentwicklung
Der Erforschung dieser Folgen widmet sich nun das BMBF-Verbundprojekt „In-vitro Untersuchungen zur Wirkung von dicht und dünn ionisierender Strahlung auf die frühe pränatale Entwicklung“, das Kadereit gemeinsam mit Dr. Sylvia Ritter vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und Prof. Dr.-Ing. Christiane Thielemann von der Hochschule Aschaffenburg durchführt. In diesem interdisziplinären Projekt werden mithilfe humaner embryonaler Stammzellen als Modell Untersuchungen zu Unterschieden in Strahlenqualität und Bestimmung des Strahlenrisikos mit molekular-und zellbiologischen sowie elektrophysiologischen Methoden durchgeführt. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und läuft bis Ende August 2016.
Die drei Arbeitsgruppen untersuchen dabei verschiedene Aspekte der frühen Entwicklung. Im Fall von Kadereit handelt es sich um die Gehirnentwicklung des Embryos. „Da gerade die sehr komplexe Entwicklung des Nervensystems einen besonders präzisen Ablauf der zellulären und molekularen Prozesse benötigt, wird angenommen, dass eine Strahlenexposition die frühe Gehirnentwicklung im besonderen Maße beeinflussen könnte“, erläutert Kadereit die Hintergründe. Sie hat seit September 2014 die Professur für Stammzellbiologie und Grundlagen in Life Sciences an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen inne und leitet dort die erste und einzige Arbeitsgruppe an einer HAW, die über die Lizenz zur Arbeit mit humanen embryonalen Stammzellen verfügt. "Im Rahmen von Praktika werden Studierende an die Forschung mit induzierten pluripotenten Stammzellen, sogenannten iPSCs, herangeführt. Gerade diese Stammzellen, die alle Zellen des Körpers bilden können, werden zunehmend in der Pharmabranche zur Medikamentenentwicklung eingesetzt. So können wir hoffentlich dazu beitragen, dass in Deutschland mehr anwendungs- und industrieorientierte Forschung und Entwicklung mit Stammzellen stattfindet“, hofft sie.
Zellmodelle zur Risikoeinschätzung
Eine Neurosphäre mit auswachsenden Nervenzellen kann als 3D-Modell der neuralen Differenzierung eingesetzt werden.
© Suzanne Kadereit
Mit Hilfe der humanen Stammzellen hat Kadereit ein In-vitro-Testsystem entwickelt, um die Auswirkungen von Strahlung auf die frühe Gehirnentwicklung zu untersuchen. In dem Modell werden die Stammzellen zunächst zu frühen Vorläuferzellen für das zentrale Nervensystem differenziert, welche den ersten Schritt der pränatalen Gehirnentwicklung darstellen. „In diesem Stadium behandeln wir die Zellen mit einer Dosis von bis zu 2 Gray Röntgen- beziehungsweise Ionenstrahlung und beobachten, wie die Zellen sich weiter entwickeln", erläutert Kadereit.
Dafür werden die Zellen nach einer kurzen Erholungsphase in Suspension gebracht und in Form von sogenannten Neurosphären weiterkultiviert. Dabei handelt es sich um sphärische Zellklumpen, in denen die Vorläuferzellen, in diesem 3D-Modell der neuralen Differenzierung, weiter reifen. „In diesem Stadium untersuchen wir dann neben der Zellviabilität vor allen Dingen die Expression spezifischer Markergene der pränatalen Gehirnentwicklung und wie diese durch die Strahlenexposition verändert werden“, erklärt Kadereit die Herangehensweise.
Auch wenn das Projekt noch am Anfang steht, konnte Kadereit in ersten Experimenten bereits zeigen, dass die Bestrahlung von neuralen Vorläuferzellen zu einer messbaren Veränderung führte. Es werden jedoch weitere Experimente nötig sein, um diese ersten Ergebnisse zu verifizieren und mit zusätzlichen Daten zu ergänzen. „Beispielsweise wollen wir uns zukünftig neben der Genexpression auch den Einfluss der Strahlung auf die zelluläre Zusammensetzung und Organisation in den Neurosphären ansehen, sowie zelluläre Prozesse, die durch oxidativen Stress beeinflusst werden“, schildert Kadereit.
Insgesamt erhoffen sich die Projektpartner, dass ihre In-vitro-Modelle die zellulären Schäden durch Strahlen genauer erfassen können, woraus zukünftig prophylaktische Maßnahmen abgeleitet werden könnten. „Letztendlich wollen wir durch unsere Forschung die Gefahreneinschätzung von Strahlenquellen verbessern und somit einen Beitrag für die Sicherheit ungeborenen Lebens leisten“, erklärt Kadereit.
Anwendungsorientierte Spitzenforschung für wissenschaftlichen Nachwuchs
„Die Bearbeitung von Forschungsprojekten und der direkte Transfer der Ergebnisse in die Lehre sind ein wichtiger Bestandteil des Erfolgskonzeptes des Studiengangs Biomedical Sciences“, sagt Kadereit. Vor allem im Masterstudiengang werden die Studierenden darum im Rahmen von Drittmittelprojekten in die Forschung integriert. In Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz ist auch eine Promotion an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen möglich. „Generell beschäftigt sich der Studiengang mit der Entwicklung von Systemen, die kranken Menschen nutzen“, ergänzt sie. Das bisherige Forschungsspektrum mit Schwerpunkten wie Bioanalytik, Expressionsanalysen, Zellkultursystemen, Gentechnik oder immunologischen Arbeitsmethoden wird nun durch die neu geschaffene Professur für Stammzellbiologie noch erweitert.