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Tierversuchsfreie Diabetesforschung mit dem Pankreas-Chip

Vielversprechende Arzneimittel-Kandidaten zur Behandlung der Zuckerkrankheit gibt es derzeit einige. So sind auch neuartige Medikamente denkbar, die die Regeneration der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse anregen sollen. Sie müssten aber im Tierversuch getestet werden - eine zuverlässige und behördlich akzeptierte tierversuchsfreie Methode existiert bisher nicht. Wissenschaftler am Universitätsklinikum Ulm haben nun damit begonnen, einen Pankreas-Chip aus Stammzellen zu entwickeln, mit dem die Pharmazeutische Industrie in Zukunft eine Vielzahl an Wirkstoffen in hohem Durchsatz testen könnte.

Das Team von Prof. Alexander Kleger (3. von links oben) entwickelt am Ulmer Universitätsklinikum im Projekt PancChip, ein In-vitro-Modell der Bauchspeicheldrüse, mit dem Erkrankungen besser erforscht und neue Wirkstoffe getestet werden können. © Sandra Heller, Universitätsklinikum Ulm

Zuckerkrankheit, Diabetes mellitus, nennt man eine Reihe von Stoffwechselstörungen, bei denen entweder die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse ganz oder teilweise durch das eigene Immunsystem zerstört wurden (Typ 1) bzw. das Insulin an sich durch eine erworbene Insulinresistenz nicht mehr richtig wirkt (Typ 2), so dass der Blutzucker nicht mehr ausreichend reguliert werden kann. Die derzeit gängige Behandlung besteht in der Gabe von Insulin von außen, das heißt eine Therapie, die die eigentliche Ursache bekämpft, fehlt bisher. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass Wissenschaftler noch kein komplexes In-vitro-Modell zur Hand haben, das das Organ und seine Interaktion im Körper möglichst naturgetreu abbildet, und mit dem die Entstehung der Erkrankung detaillierter erforscht und damit die Wirkstoffentwicklung vorangetrieben werden könnte. Dies gilt auch für andere Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse.

Deshalb wurde nun an der Klinik für Innere Medizin I am Ulmer Universitätsklinikum unter der Leitung von Prof. Dr. rer. med. Alexander Kleger ein Projekt gestartet, in dem Wissenschaftler gemeinsam mit Dr. Matthias Meier vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg im Konsortium PancChip unter Leitung von Prof. Dr. Heiko Lickert vom Institut für Diabetes und Regenerationsforschung am Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH) funktionale Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse aus reprogrammierten Stammzellen auf einem mikrofluidischen Chip etablieren wollen. Dieser Pankreas-Chip soll einmal als patientenspezifisches Modell der Erforschung der Entstehung aber auch der Behandlung von Diabetes und Bauchspeicheldrüsenentzündungen und -krebs dienen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und ist auf drei Jahre angelegt.

Ergebnisse aus Tierversuchen oft nicht übertragbar

Dr. Sandra Heller forscht am Ulmer Universitätsklinikum an neuartigen Diabetes-Arzneimitteln und ist kürzlich für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der tierversuchsfreien Forschungsmethoden mit dem Lush Prize 2017 ausgezeichnet worden. © Sandra Heller, Universitätsklinikum Ulm

Für die experimentellen Arbeiten mit den Stammzellkulturen in Ulm ist die Biologin Dr. Sandra Heller verantwortlich. Ihr liegt der Tierschutz besonders am Herzen, wie sie selbst sagt, und sie beschäftigt sich deshalb schon seit längerem mit der Erforschung tierversuchsfreier Methoden. Für ihre Arbeiten auf diesem Gebiet wurde sie kürzlich mit dem Lush Prize 2017 für alternative und tierversuchsfreie Forschungsmethoden als beste Nachwuchswissenschaftlerin ausgezeichnet.

„Stand der Diabetesforschung ist es derzeit, dass mögliche Medikamente am Tiermodell getestet werden müssen und nicht an Zellen, die man einfach im Brutschrank züchten kann“, erklärt Heller. „Das Problem dabei ist aber nicht nur, dass Tiere verwendet werden, sondern auch, dass ein Tier nun einmal anders ist als der Mensch und die Ergebnisse nicht eins zu eins übertragen werden können. Deshalb ist es unser Ziel, Arzneimittel-Kandidaten möglichst bald schon in humanen Zellkulturen unter Bedingungen testen zu können, die das menschliche System besser abbilden.“ Dabei versprechen sich die Forscher von solchen Therapien besonders viel, die die erkrankten Pankreaszellen regenerieren oder ersetzen könnten. Hierfür sollen Stammzellen als Quelle für die insulinproduzierenden Zellen dienen, und zwar solche, die aus Körperzellen gesunder Spender zu pluripotenten Stammzellen reprogrammiert wurden, aber auch aus Patientenzellen.

Miniaturisierte Wirkstoffscreenings im Hochdurchsatz

Die Expertise, solche Stammzellen im Labor generieren zu können, haben Heller und ihre Kollegen bereits: „Das System, insulinproduzierende Zellen herzustellen, steht grundsätzlich. Unsere Aufgabe innerhalb des Konsortiums ist es jetzt, einerseits den Reifungsprozess dieser Zellen für die Zellersatztherapie zu verbessern, und andererseits Zellen in einem größeren Maßstab zu züchten“, berichtet die Wissenschaftlerin. „Denn sie sollen dann auf dem Pankreas-Chip zur miniaturisierten Untersuchung potentieller Wirkstoffe im Hochdurchsatz dienen. Das Know-how für den Chip haben unsere Partner. Dieser wird momentan parallel zu den Zellen fertig gestellt.“

Die Tests zur Regeneration der Pankreaszellen sollen an so genannten Mikroinseln aus Stammzellen durchgeführt werden – kleinen Einheiten von weniger als hundert Zellen in dreidimensionaler Kultur, die mit dem Auge nicht erkennbar sind. Um diese zu gewinnen, werden die Stammzellen zunächst mit Wachstumsfaktoren behandelt, damit sie sich in einem mehrstufigen, optimierten Prozess zu den gewünschten insulinproduzierenden Zellen ausdifferenzieren. „Dann gibt es einen Trick. Und zwar muss man die Zellen abzählen und dann in der Kulturschale nochmals so aggregieren, dass sie kleine Klumpen, die Mikroinseln, bilden“, sagt Heller.

Personalisierte Tests für Diabetes-Patienten

Um reprogrammierte Stammzellen zu generieren, werden auch Haarwurzeln von Diabetes-Patienten der Ulmer Universitätsklinik verwendet. So können personalisierte Wirkstoffscreenings durchgeführt werden. © Sandra Heller, Universitätsklinikum Ulm

Um die Zellen zu Forschungszwecken zu generieren, verwenden die Forscher entweder reprogrammierte pluripotente Stammzelllinien, aber auch Stammzellen von Patienten der Ulmer Universitätsklinik: „Wir haben in der Klinik eine Datenbank mit Patienten, die einen genetischen Defekt bezüglich des Pankreas haben. Hier können wir in vielen Fällen Proben in Form von Kopfhaaren bekommen“, so Heller. „Die Verwendung von Probenmaterial für Forschungszwecke wurde durch die Ethik-Kommission begutachtet und unterliegt zudem der Einwilligung der Patienten. Man zupft einfach zehn bis zwanzig Haare aus, das ist nicht sehr schmerzhaft und muss auch nicht von einem qualifizierten Arzt durchgeführt werden. Die Haarwurzelzellen wachsen in Zellkultur aus, und hieraus können wir dann patientenspezifische pluripotente Zellen gewinnen. Bisher haben wir rund 15 solche spezifischer Zelllinien zur Verfügung.“ Da die Zellen direkt vom Patienten stammen, sollen diese einmal für personalisierte Wirkstoffscreenings für die Diabetiker genutzt werden können.

Ausblick: Pankreas-Chip funktioniert wie ein Drucker

Die Idee für die zukünftigen Wirkstofftests ist es dann, dass weiterentwickelte Chips – Micro-Islet-Secretion-Print-Chips (MISP-Chips) genannt - einmal parallel mit mehreren Wirkstoffen beladen werden können. Dabei befinden sich die Zellen für die Wirkstoffinkubation in kleinen Gefäßen. „Das Prinzip funktioniert wie ein Drucker“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das Medium, das die Zellen umgibt, wird auf eine Membran gegeben, und die entsprechende Wirkung wird dort visualisiert und analysiert werden. Dies geschieht über eine spezifische Antikörperreaktion, die mit einer Polymerasekettenreaktion gekoppelt ist. Diese Methoden sind im Einzelnen schon etabliert, aber müssen jetzt noch an das MISP-Chip-System angepasst werden.“

Der Lush-Preis ist zusätzlich zu den anderen Fördermitteln für die Projektentwicklung gedacht – um die Chip-Plattform in Richtung Marktreife zu bringen: „Ein Prototyp-Chip existiert bereits, dieser wurde aber noch nicht mit Zellen beladen“, berichtet die Biologin. „Die Tests hierfür werden aber alleine schon mindestens ein Jahr dauern, denn die Arbeiten mit Stammzellen sind nicht immer ganz einfach, und es braucht einfach seine Zeit, bis hier ein Protokoll entwickelt und vor allem dann auch standardisiert ist. Wir tauschen Probleme und Ergebnisse regelmäßig mit den anderen Arbeitsgruppen aus. So entstand beispielsweise auch der Plan, den Chip nicht nur mit insulinproduzierenden, sondern dann auch mit anderen Bauchspeicheldrüsenzellen zu beladen. Und grundsätzlich sind in Zukunft auch Untersuchungen mit ganz anderen Körperzellen denkbar. Die Plattform soll als universales System entwickelt werden.“

An solch universellen mikrofluidischen Chipsystemen, die mit dreidimensionalen Zellkulturen kombiniert werden, könnte die Pharmazeutische Industrie dann einmal vielseitige Wirkstofftests in hohem Durchsatz durchführen. „Bislang gibt es aber noch keine konkreten Pläne, weil ja noch die Ergebnisse fehlen“, erklärt Heller. „Aber das Konsortium zielt auch selbst auf eine solche Verwertung ab. Es ist angedacht, ein Start-up-Unternehmen im Rahmen des vom BMBF geförderten Programms EXIST und/oder VIP+ ins Leben zu rufen.“

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/tierversuchsfreie-diabetesforschung-mit-dem-pankreas-chip